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Politik
Die Qual der Wahl
Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020
Die Gemeindewahlen sind verschoben: Termin unbekannt. Wie lange kann ein demokratisches Grundrecht wie Wahlen ausgesetzt werden?
Wolfgang Mayr, Bürgermeisterkandidat der SVP in Eppan, hat vor gut einem Monat Landeshauptmann Arno Kompatscher und SVP-Parteiobmann Philipp Achammer einen Brief geschrieben. Mayr, im Hauptberuf Redakteur von Rai Südtirol, bittet darin darum, „die Gemeindewahlen erst im nächsten Frühjahr anzusetzen: Sie sind nicht dazu angetan, Normalität herzustellen, Wahlkämpfe, so moderat man sie auch halten mag, trennen, führen nicht zusammen.“
Noch hat Wolfgang Mayr weder vom Landeshauptmann noch von seinem Parteiobmann eine befriedigende Antwort auf seine Bitte erhalten. Darüber ärgert er sich. Er sagt: „Im Moment interessiert mich meine Kandidatur überhaupt nicht, was soll man jetzt auf Gemeindeebene groß politisieren? Den Übergang von der Krise in die Normalität sollen die Leute bewerkstelligen, die sich bewährt haben. Und die meisten haben sich bewährt.“
Noch gilt für die SVP der 6. September als Termin für die Gemeindewahlen. Doch die Lega, die im Trentino regiert und mit der SVP die Regionalregierung bildet, hat schon abgewunken: No go. Anderswo ist die Lega weniger streng: Im Veneto etwa will Landeshauptmann Luca Zaia schon am 12. Juli Regionalwahlen abhalten. Und ein Dekret der Regierung macht Gemeindewahlen zwischen 15. September und 15. Dezember möglich.
Die Gemeindewahlen hätten in Südtirol und im Trentino am 3. Mai stattfinden sollen. Sollten die Wahlen mehr als sechs Monate nach dem ursprünglichen Termin stattfinden, müsste das regionale Wahlgesetz geändert werden. Das Team K hat schon einen Vorschlag für eine Gesetzesänderung im Regionalrat deponiert, sie würde es erlauben, die Gemeindewahlen um bis zu einem Jahr zu verschieben. „Die Leute“, sagt Peter Faistnauer, „müssen den Kopf frei haben, um sich für Wahlen zu interessieren.“ Der Landtagsabgeordnete ist im Team K der Koordinator für die Gemeindewahlen.
Die Wahlen also um ein Jahr verschieben? „Den 6. September kann ich mir jedenfalls als Termin schwer vorstellen“, sagt Andreas Schatzer, Bürgermeister von Vahrn und Präsident des Gemeindenverbandes, „wir müssen so weit sein, dass Wahlkampf möglich ist.“ Er würde einen Termin im Oktober oder November dieses Jahres bevorzugen.
Aber was ist die Demokratie ohne Wahlen, ohne Auseinandersetzung, ohne den Streit der Meinungen? Erst langsam kommt dieser Streit wieder in Gang, in Südtirol trat vergangene Woche das erste Mal wieder der Landtag zusammen, um über die Notstandsmaßnahmen der Landesregierung zu beraten – das letzte Mal hatte er Anfang März getagt. Die Gemeinden behelfen sich in der Krise mit Videokonferenzen. In Vahrn etwa werden die Mitschnitte der Sitzungen ins Netz gestellt, man arbeitet an einem Live-Stream.
Viele Gemeinden sind mit Blick auf den 3. Mai schon in den Vorwahlmodus gewechselt, größere Projekte sind auf Eis gelegt. Denn in den 45 Tagen vor der Wahl ist die Arbeit der Gemeindeverwalter auf dringende Tätigkeiten wie die Abschlussrechnung beschränkt. Jetzt müssen sie ihre ordentliche Tätigkeit neu starten, in den Normalmodus wechseln, um wichtige Vorhaben wieder in Gang zu bringen. Und für eine Gemeinde ist der Bau eines Gehsteigs oder die Verlegung eines Glasfaserkabels ein wichtiges Vorhaben.
„Ende Februar“, sagt Markus Frei, Gemeinderat für die grüne Bürgerliste in Brixen, „haben wir eine Vollbremsung hinlegen müssen.“ Die 13-köpfige Kandidatenliste war schon fixiert und der Öffentlichkeit präsentiert. „Und dann“, sagt Frei, „war erst einmal Stille.“ Jetzt will man die Aktivitäten wieder hochfahren. Sind die Leute im Herbst noch alle da, wie ist ihre Befindlichkeit, fragt er sich. Er sagt: „Wir sind froh, dass die Lega den 6. September blockiert hat.“ Warum, meint er, lege man das Referendum über die Verkleinerung des Parlaments nicht mit den Gemeindewahlen zusammen, etwa im Januar 2021.
Gemeindewahlen Anfang September wären ein Segen für die SVP und ein Fluch für die Opposition, vor allem für die vielen Bürgerlisten: Sie müssten im August mit bescheidenen Mitteln Wahlkampf machen, während die SVP ihre Organisationsmaschinerie in Stellung bringen könnte. Und der 6. September hätte noch einen Vorteil für die große Partei: Sie würde vom Rückenwind profitieren, den in der Corona-Krise die Regierenden genießen. Finden Wahlen im November statt oder gar im kommenden Jahr, wüsste man, wie die Maßnahmen gegen die Corona-Krise wirken, wer davon profitiert und wer nicht, dann wären die Themenstellungen auch in einem Gemeindewahlkampf andere. „Der 6. September“, sagt denn auch Andreas Leiter Reber, Landtagsabgeordneter und Parteiobmann der Freiheitlichen, „ist vielleicht für die SVP ein günstiger Termin.“
„Die Demokratie“, sagt Angelika Wiedmer, „muss irgendwann wieder in Gang kommen, eine Verschiebung in das kommende Frühjahr hinein halte ich nicht für sinnvoll.“ Wiedmer ist stellvertretende Obfrau der Südtiroler Volkspartei und Bürgermeisterin in Mölten, sie tritt bei den nächsten Wahlen nicht mehr an. Als SVP-Ortsobfrau wird sie weiter in der Gemeindepolitik mitmischen, Sie zweifelt, ob es „angebracht ist, jetzt mit politischen Themen an die Leute heranzutreten.“
Das Team für die Gemeindewahlen in Mölten hatte sie schon zusammen. 18 Leute, die jetzt darauf warten, wieder aktiv zu werden. „Wir hatten“, sagt Wiedmer, „einen Fahrplan bis zu den Wahlen, waren kurz davor, die Listen zu hinterlegen, die Leute waren motiviert, aber ich habe keine Ahnung, wie es sich auf die Gruppe auswirkt, wenn es keine Gespräche und Treffen gibt.“
Laut Artikel 2 der UN-Menschenrechtskonvention müssen Wahlen regelmäßig stattfinden. „Natürlich“, sagt der Politikwissenschaftler Günther Pallaver, „darf man sie verschieben, zumal in einer solchen Notlage. Aber Notstandsmaßnahmen müssen zeitlich begrenzt sein, nicht akzeptabel wäre es, Gemeinderäte und Bürgermeister eine weitere Amtszeit im Amt zu belassen.“ Pallaver sieht in der Krise eine Chance, die „Cyber-Demokratie“, also digitale Abstimmungen, auszubauen: „Homeoffice und Homevoting, das Land Südtirol müsste sich aktivieren, um elektronische Abstimmungen möglich zu machen.“
Die Grundsätze des Wahlrechts sind: Unmittelbarkeit, Gleichheit, Direktheit und Privatheit. „Sind diese Grundsätze und die Sicherheit gewährleistet“, sagt Pallaver, „ist eine elektronische Abstimmung ohne Weiteres möglich.“
Würden die Wahlen um ein Jahr aufgeschoben, könnte das die Arbeit von Monaten zunichte machen, Kandidatenliste durcheinanderwirbeln. In Auer etwa muss Stefanie Unterkofler einen Restart hinlegen, sie tritt nach einer Bürgerlisten-Karriere jetzt als Bürgermeisterkandidatin für die SVP an. „Wir hatten alles schon durchgeplant“, sagt sie, „die Vorstellung der Liste, Fototermine, Pressemitteilungen. Die Verschiebung hat uns den Wind aus den Segeln genommen. Aber es gibt im Moment Wichtigeres als Gemeindewahlen, nämlich die Krise zu überstehen.“
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