Das Unbehagen der Italiener in Südtirol, sagt Francesco Palermo, sei ähnlich wie jenes der Frauen in einer männlich dominierten Arbeitswelt. Die Lösung? „Brücken bauen, sich entgegenkommen.“
Gesellschaft & Wissen
Ein „Karpf“ wie im Bilderbuch
Aus ff 07 vom Donnerstag, den 16. Februar 2017
Der Vinschger Massimo Mennitti, Südtirols ranghöchster Carabiniere, hat 3 Doktortitel, spricht 5 Sprachen – Südtiroler Dialekt inklusive – und ist mit einer Passeirerin verheiratet. Porträt eines Italieners, der keinen „disagio“ kennt.
Während mich ein freundlicher, etwas zu intensiv nach After shave duftender Adjutant zum Ausgang begleitet, kommen die Zweifel: Verdammt, hat es während des eineinhalb Stunden dauernden Gesprächs einen Moment gegeben, der als Schwäche, als Zweifel gedeutet werden könnte – gar als Anzeichen eines winzigen, schwarzen Flecks? Fehlanzeige. Gibt es etwas in der Karriere dieses Mannes, dem nicht die Aura des Perfekten anhaftet? Fehlanzeige.
Es ist der Tag, an dem nicht weit entfernt der Ausnahmezustand geprobt wird. Am Bozner Gericht findet der Berufungsprozess gegen vier mutmaßliche Islamisten statt. Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte überwachen das Gelände, sogar die Tiefgarage hat man vorsorglich geräumt.
Massimo Mennitti, der das Großaufgebot angeordnet hat, tut so, als sei das ein Kinderspiel: „Wir haben lediglich jene Maßnahmen getroffen, die bei solchen Anlässen notwendig sind.“ Will sagen: Wir machen unseren Job, und wir machen ihn gut.
Mennitti empfängt in seinem gefühlte 100 Quadratmeter großen Büro im ersten Stock der Carabinieri-Zentrale in der Bozner Drususallee. Der Kommandant der Carabinieri-Legion Trentino-Südtirol trägt die mit Abzeichen und Orden geschmückte Uniform eines Brigadegenerals. Er verstehe es immer, „von der Sohle bis zum Scheitel Gentleman“ zu sein, heißt es von ihm. Und tatsächlich: „Eine Tasse Kaffee gefällig – ein Glas Wasser?“
Ein Händedruck wie eine Visitenkarte: An Kraft, Entschlossenheit und Selbstbewusstein scheint es nicht zu fehlen. Die vielen Bilder an den Wänden – darunter Abbildungen des indischen Revolutionärs Gandhi und des ersten farbigen US-Präsidenten Barack Obama – sind ein weiterer Fingerzeig: Kunst, Politik, Geschichte, egal, der Gastgeber ist in allen Gebieten beschlagen.
Sobald er lässig im schwarzen Ledersessel Platz nimmt, beginnen seine blauen Augen im Sonnenlicht zu funkeln. Jetzt glaubt man zu verstehen, warum Frauen leicht in Verlegenheit kommen, wenn dieses uniformierte, elegante Mannsbild vor ihnen Position einnimmt: Massimo Mennitti, heißt es, hätte ebensogut Schauspieler werden können – und scheint dies auch auszukosten.
Die Anfänge? Wie bei so vielen Italienern in Südtirol. Massimo kommt im Jänner 1963 in Schlanders zur Welt, seine Eltern stammen aus Neapel, sein Vater war Heeresoffizier. Und so ist es fast logisch, dass der Bub mit 16 dem wissenschaftlichen Gymnasium in Meran, wo er zwei Jahre lang die Schulbank drückte, Adieu sagt, um nach Neapel zur Militärschule Nunziatella zu wechseln.
Mennitti sagt es offen heraus: „Für einen Italiener, der in Schlanders aufwächst, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass er als Ingenieur oder Architekt nach oben kommt. Aber ich wollte nach oben kommen. Schon als Junge hatte ich den Willen, etwas Wichtiges in meinem Leben zu werden.“
Dieser Mann, der so streng blicken kann, weiß immer wieder mit Witz und Selbstironie zu überraschen. Über seinen ersten großen Erfolg sagt er: „Okay, ich habe bei der Matura 60 Sechzigstel bekommen. Aber ich denke, das lag vor allem daran, dass am Tag meiner Abschlussprüfung ganz Italien den Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft 1982 gefeiert hat.“ Will sagen: Den Tüchtigen hilft das Glück.
Die Diplome, die eine ganze Wand im Büro schmücken, deuten allerdings darauf hin, dass Lernen, Studieren, Weiterbilden für Massimo Mennitti schon fast ein Hobby ist: drei Doktortitel (Jus in Modena, politische Wissenschaften an der „Sapienza“ in Rom und Öffentliche Sicherheit an der „Tor Vergata“, ebenfalls in Rom), Auslandserfahrungen in Belgien und Palästina, Arbeitsaufenthalte in Rom, Meran, Cortina, Siracusa, Mons (Belgien) – und eine beneidenswerte Sprachenkompetenz. Neben Italienisch spricht Mennitti Deutsch und Englisch nahezu perfekt, in Französisch und Spanisch kann er sich gut unterhalten, Arabisch lernt er gerade.
Fragt man ihn nach dem Grund, kommt als Antwort nicht wie erwartet der Hinweis, dass es für einen Carabiniere von Nutzen sei, die Sprache des Feindes zu sprechen. Stattdessen: „Arabisch lernen ist die beste Übung gegen das Altern. Da ist alles verkehrt und hintenrum, da muss man klaren Kopf behalten. Denn Sie wissen ja: Wir Männer riskieren mit zunehmendem Alter zu verblöden.“ Sich hin und wieder mit der linken Hand zu rasieren, auch das sei hilfreich.
Zunächst habe er es mit Portugiesisch versucht („zu einfach, ja fast schon banal“), dann mit Japanisch („zu rigide, zu formal, meinem Beruf zu ähnlich“) und mit Chinesisch („zu vulgär, zu grob“). Alles nichts im Vergleich zur arabischen Sprache, die richtig Spaß mache und darüber hinaus eben auch hilfreich sei.
Plötzlich wechselt Mennitti in einen nahezu akzentfreien Südtiroler Dialekt. Wieso er das kann? „Nun, zum einen glaube ich sagen zu können, über eine gewisse Sprachenbegabung zu verfügen.“ Außerdem ist er mit der aus dem Passeiertal stammenden Verena Reiterer verheiratet. Die beiden haben drei Kinder im Alter zwischen 13 und 15 Jahren. Zu Hause spricht man mal Deutsch, mal Italienisch. Mennitti: „Für andere Kulturen und Sprachen offen zu sein, ist etwas vom Wichtigsten überhaupt.“
Das ist „vielleicht das Einzige“, was ihn an Südtirol etwas störe: „Dieses Land ist zu sehr in sich geschlossen. Wer hier geboren wird, gründet hier Familie, geht hier zur Arbeit. Irgendwo anders sein Glück zu versuchen, gehört nicht zu den primären Tugenden der Südtiroler.“
Wer bei den Carabinieri Karriere macht, wählt einen anderen Weg: „Man muss immer bereit sein zu wechseln und sich ins Spiel zu bringen.“ Es war nicht schwer zu erraten: Im Zweifel steht der Job über Familie und Lebensqualität. Mennitti: „Wenn jemand um eine Beförderung bittet, mache ich einen kleinen Test, um zu verstehen, was er mit Beförderung meint: Will er nur mehr bekommen – oder will er auch mehr geben?“
Wie reagiert er wohl auf das Stichwort „disagio“? Mit einer politisch korrekten Allerweltsantwort? Fehlanzeige. Dieser Mennitti kennt keinen „disagio“, er gehöre nicht zu jenen, „die ihr Leben damit verschwenden, sich als Migrant zu definieren und zu jammern“. Nein, er sei einer, der „die Logik des unterdrückten Volkes längst überwunden“ hat: „Konzentrieren wir uns doch nicht auf die wenigen Dinge, die nicht passen, sondern auf die Chancen, die sich uns bieten.“
Nicht erst während seines Aufenthaltes in Palästina habe er erfahren, was es heißt, wenn das Zusammenleben wirklich nicht funktioniert. Es klingt wie ein Ratschlag an seine Landsleute, die diesen Schritt noch nicht geschafft haben: „Man muss offen sein für Neues.“ So habe er zum Beispiel entdeckt, dass ein Blindwatter spannender und lustiger sein könne als das italienische Standardspiel „Briscola“.
Aber schon nimmt Massimo Mennitti wieder Haltung ein. Jetzt spricht er von seinem Job, der eben nicht bloß ein Job sei: Es genüge nicht, General zu sein, „bisogna anche farlo“, man muss es auch tun. Ihm gefalle es, Befehle zu erteilen. Deshalb habe er sich nie hinterm Schreibtisch versteckt, sondern immer Kommando geführt. Der besondere Reiz daran? „Ich trage eine direkte Verantwortung für meine Befehle. In einem zivilen Beruf kann man immer sagen, dass ein Angestellter einen Fehler gemacht habe. Bei uns geht das nicht. Bei uns werden Befehle ausgeführt.“
Was ihm bislang gelungen sei, wollen wir wissen. Mennitti nennt die Wettbewerbe für zweisprachige Carabinieri und die zurückgegangene Anzahl der Überfälle („Wir zeigen Präsenz auf den Straßen, das sehen die Guten wie die Bösen“). Er sei überzeugt, dass die effizienteste Verbrechensbekämpfung immer noch die Prävention sei. Wenn keine spektakulären Verfolgungsjagden stattfinden, dann sei das „die eigentlich gute Nachricht“.
Er kann Smart Face und Gentleman, er kann aber auch anders. Das lässt Massimo Mennitti erahnen, wenn seine Beziehungen zu Politikern und Wirtschaftsbossen zur Sprache kommen. Immer höflich und korrekt, „aber das Wichtigste“, sagt er – und es klingt wie eine subtile Drohung –, sei die Gewaltenteilung: „Wer war es, der Garibaldi und Mussolini verhaftet hat? Wir, die Carabinieri!“
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Massimo Mennitti, geboren 1963 in Schlanders, kann auf eine Bilderbuchkarriere blicken. Er hat drei Doktortitel und spricht fünf Sprachen, außerdem perfekten Südtiroler Dialekt. Seit August 2015 ist Mennitti Kommandant der Carabinieri-Legion Trentino-Südtirol und damit Chef der 2.000 in der Region stationierten Carabinieri. Er ist mit Verena Reiterer verheiratet, die beiden haben drei Kinder. Ein Lieblingsmotto des Freizeitsportlers (Schwimmen, Tennis, Ski, Golf) lautet: „Am besten wäre es, wenn es uns Carabinieri nicht brauchen würde. Aber noch braucht es uns.“
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