Gesellschaft & Wissen

Das Drama der Guggenbergs

Aus ff 33 vom Donnerstag, den 16. August 2018

Kurhaus Guggenberg
Bis vor kurzem erste Adresse von Brixen und Anziehungspunkt betuchter Gäste: Rund um das Kurhaus Guggenberg in Brixen tobt heute ein Familienstreit. © Alexander Alber
 

Einst logierten hier Berlusconi, Pavarotti und Eco. Jetzt droht der legendären ­Brixner Kuranstalt das Aus.

Kalt war es draußen, noch kälter drinnen. Als am frühen Nachmittag des 30. November 2017 der Verwaltungsrat der „Privatklinik Dr. von Guggenberg GmbH“ im Haupthaus der Kuranstalt zusammentrat, in der Unterdrittelgasse 17 in Brixen, war die Stimmung der Jahreszeit angepasst.
Wie konnte es bloß so weit kommen? Kann es sein, dass hier, wo einst Prinzessinnen, Grafen, berühmte Schauspieler, potente Politiker, große Denker sich die Klinke in die Hand gaben, tatsächlich die Lichter ausgehen?
Guggenberg war immer weit mehr als nur Wasserheilanstalt, nur Kurhaus. Hier arbeiteten die besten Ärzte, hier traf sich der Jetset von ganz Mitteleuropa. Hier nahm Ende des 19. Jahrhunderts der Aufschwung von Brixen seinen Anfang. Ohne „die Guggenberg“, heißt es, wäre Brixen möglicherweise immer noch ein klerikal-erzkonservatives Dorf und nicht eine pulsierende, weltoffene Stadt. Die Guggenberg-Klinik war über Jahrzehnte hinweg das, was das Meraner Palace erst vor kurzem geworden ist: ein Refugium, wo sich Reiche, Schöne und Berühmte wieder fit trimmen lassen. Und jetzt soll plötzlich Schluss sein?
„Für Brixen ist das eine Katastrophe“, sagt Bürgermeister
Peter Brunner und fügt hinzu: „Viel können wir nicht tun. Trotzdem dürfen wir nichts unversucht lassen, um zu verhindern, dass das Anwesen in die Hände von Spekulanten fällt.“ Zeno Giacomuzzi, Brunners Vorgänger im Rathaus (1968-88), nannte die Guggenberg-Privatklinik gar eine „Prestigesache für Brixen“. Unvorstellbar, dass „dieser Schatz“ verloren gehen könnte.
Auch für die Verwaltungsräte der Guggenberg GmbH dürfte es bis zum Spätherbst des vergangenen Jahres unvorstellbar gewesen sein, vor dermaßen dramatischen Entscheidungen zu stehen. Schlimmer noch für sie: An diesem 30. November mussten sie sich vorkommen wie die Totengräber der bekanntesten und erfolgreichsten Brixner Familiendynastie.
Gertraud Mitterrutzner ergriff als erste das Wort. Die Witwe des 2003 verstorbenen Markus von Guggenberg wird im kommenden Jahr 80 Jahre alt. Sie ist es, die dem Unternehmen vorsteht. Während ihr Mann sich um die ärztlichen Belange kümmerte, war sie die Geschäftsführerin und Managerin – und dies seit über einem halben Jahrhundert. „Frau Doktor“, wie sie hier respektvoll betitelt wird, redete nicht lange um den Brei herum, sagte: Angesichts eines Verlustes im Jahr 2017 von 1,3 Millionen Euro, Schulden in Höhe von 3,5 Millionen Euro, eines negativen Nettovermögens sowie Null Reserven und Null Liquidation habe man nur mehr folgende zwei Optionen: Auflösung der Gesellschaft und Einstellung des Betriebes oder Abdeckung des Verlustes mittels Aufstockung des Gesellschaftskapitals.
Dass diese zweite Option, für die sie plädierte, keine Aussicht auf Erfolg hatte, erkannte sie an der Anwesenheit von Jolanda Guido. Mit der aus Kalabrien stammenden Gattin ihres Sohnes Franz Josef hat sich die Chefin des Hauses nie anfreunden können. Als Signora Guido kurz vor der Sitzung eine Vollmacht zeigte, ausgestellt vom chronisch kränkelnden Franz Josef, war für Gertraud Mitterrutzner klar, dass das Pendel „in die falsche Richtung“ ausschlagen würde.
Familienunternehmen kennen das Dilemma: Wenn die Quoten fifty-fifty aufgeteilt sind, braucht es das Einverständnis aller, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Das war im Hause Guggenberg immer schon so, seit „Otto der Große“, wie der Gründer der Kuranstalt und „beste Bürgermeister aller Zeiten“ in Brixen bezeichnet wird (siehe Kasten), vor seinem Tod 1914 das Imperium Guggenberg auf seine fünf Kinder aufteilte. Irgendwie hatte man immer eine Lösung, einen Kompromiss gefunden. Irgendwie hatte man es immer geschafft, das medizinische und wirtschaftliche Erfolgsmodell „Wasserheilanstalt“ weiterzuführen – trotz zweier Weltkriege, Plünderungen, Enteignungen, Grenzverschiebungen, Faschismus, Option und Naziherrschaft. Irgendwie hat der Stammbaum des Geschlechts der „Guggenberg zu Riedhofen“, das seine Wurzeln 1786 in Welsberg hat, immer einen Arzt hervorgebracht, der den Laden weiterführte, der aus- und dazubaute, der auf die neuen Trends der Medizin und im Wellnessbereich zu reagieren verstand. Dieses Glück, selbst die ärgsten Krisen zu überwinden, scheint im Hause Guggenberg aufgebraucht. Erstmals in der Familiengeschichte gibt es in keiner der beiden Besitzerfamilien einen Arzt.

Bislang war es so, dass Gertraud Mitterrutzner (Quotenanteil 25 Prozent) gemeinsam mit ihren Söhnen Franz Josef (10 Prozent) und Laurentius (15 Prozent) genau die Hälfte der Quoten der Guggenberg GmbH hielt. Bei diesem Familienzweig handelt es sich um „die Brixner Linie“, die direkt in der Führung der Kuranstalt involviert ist. Exakt ebenso viel (ebenfalls 50 Prozent) besaß „die Mailänder Linie“. Diese besteht aus dem 87-jährigen Eberhard von Guggenberg (30 Prozent, ein Cousin von Markus von Guggenberg) und dessen Tochter Eleonora (20 Prozent). „Die Mailänder“ haben andere wirtschaftliche Interessen und ließen irgendwann wissen, dass sie ihre Quoten am liebsten abstoßen würden. Konkret: Sie wollen „ausbezahlt“ werden.
An jenem 30. November wechselte Franz Josef (beziehungsweise Jolanda Guido) endgültig die Seiten. Mit seinen 10 Prozent hatte „die Mailänder Linie“ plötzlich die Mehrheit. Und so wurde beschlossen, dass: Gemäß Artikel 2484, Komma 1 und 4 des Zivilgesetzbuches wird die „Privatklinik Dr. von Guggenberg GmbH aufgelöst und in Liquidation gebracht“. Die Aufsichtsräte (Präsident: Friedrich Alber) hatten bereits vor der Sitzung ihren Rücktritt erklärt. Zu Sachwaltern wurden ernannt der Brunecker Wirtschaftsprüfer Gerd Baumgartner (für die Brixner Linie) und sein Brixner Kollege Alexander Tauber (für die Mailänder Linie). Baumgartner und Tauber haben die Aufgabe, „das gesamte Unternehmen zu veräußern und dabei einen möglichst hohen Erlös zu erzielen“ – eventuell auch mittels Verkauf einzelner Unternehmenszweige.
In der Hektik unterlief der Vollversammlung ein Fehler, der sich als fatal erweisen könnte: Zum einen wurde betont, dass unter allen Umständen dafür Sorge zu tragen sei, den Wert des Unternehmens zu erhalten. Gleichzeitig wurde beschlossen, den Kurbetrieb einzustellen und die zuletzt 43 Angestellten zu entlassen. Einzig die Reha-Abteilung blieb von der Schließung ausgeklammert: Helmut Seyr, der von Spitzensportlern und Vips als „Wunderheiler“ hochgeschätzte Physiotherapeut, war es gelungen, seinen Vertrag noch um ein weiteres Jahr zu verlängern (bis November 2018).
Aber mit der Schließung des Kurbetriebes sägte sich die neue Mehrheit im Guggenberg-Verwaltungsrat das wichtigste Standbein ab: die Stammgäste. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es lange gedauert, bis das Kurhaus wieder an seine goldenen Zeiten anknüpfen konnte. Für einen ersten Rückschlag hatten die Bombenanschläge der Sechzigerjahre gesorgt: Jetzt hüteten sich italienische Gäste, nach Brixen zu reisen. Für einen Umschwung sorgte ein Artikel des Corriere della Sera im Jahr 1973, der voll des Lobes war für die „magnifica clinica di Bressanone“. Plötzlich war das Haus ausgebucht.
Alle waren sie da, um sich kuren zu lassen: von Marcello Mastroianni bis zu Umberto Eco, vom Starjournalisten Enzo Biagi bis zum Startenor Luciano Pavarotti. Während Staatspräsident Sandro Pertini in Gröden urlaubte, zog sich seine Frau Carla in Brixen zurück, Berlusconi war hier ebenso Gast und Patient wie Aldo Fabrizi, lange Zeit Italiens beliebtester Schauspieler.
Noch im vergangenen Jahr trug sich Libet Wehrhan zum x-ten Mal ins Gästebuch ein. Die Tochter von Konrad Adenauer reiste trotz ihrer 90 Jahre von Köln nach Brixen. Warum? „Weil ich hier als Mensch behandelt werde. Ich könnte auch nach New York gehen, aber dort wäre ich eine Nummer.“
Es war die familiäre Atmosphäre, die – neben der exzellenten medizinischen Ausstattung – bei den Gästen so gut ankam. Über den fehlenden Luxus wurde hinweggesehen.

Wann begann die Schieflage? Vertraute der Familie sagen, dass das Traditionshaus „einen typischen Fehler“ begangen habe, den Familienbetriebe oft machen: Man wollte unbedingt, dass jemand aus der Familie den Betrieb weiterführt – und dieser Jemand musste auch noch männlichen Geschlechts sein. Aber von den drei Buben studierte nur einer (Laurenz) Medizin, ohne allerdings das Studium abzuschließen. Die anderen beiden (Franz Josef und Athanas) haben andere Interessen. Die drei Mädchen (Camilla, Johanna und Valerie) spielten in der Erbfolge keine Rolle. Ein Fehler, wie man inzwischen weiß: Heute gesteht die Seniorchefin ein, dass zumindest Camilla „zweifelsohne die Fähigkeiten mitbringen würde, so ein Haus erfolgreich zu führen“. Das erfolglose „Warten auf die Söhne“ führte dazu, dass Gertraud Mitterrutzner-Guggenberg das Kommando behielt – bis zu ihrem 75. Geburtstag. Sie regierte mit eiserner Hand, manövrierte sich freilich auch in eine schier aussichtslose Situation: Eberhard von Guggenberg, der in Mailand lebende Verwandte, dem das Kurhaus zur Hälfte gehört, wollte von Investitionen nichts mehr wissen. Während in Südtirol Spitzenhotels die Anziehungskraft von Wellnessprogrammen samt klinischer Dienstleistungen entdeckten, versäumte die Guggenberg-Klinik die Zeichen der Zeit.
Als man reagierte, reagierte man falsch. Die vor rund fünf Jahren geborene Idee: Das sogenannte Lutzenhaus der Guggenberg-Klinik als Reha-Abteilung für die Privatklinik Brixsana umzubauen. Rund zwei Millionen Euro kostete der Umbau. Aber Missverständnisse und Probleme führten dazu, dass der Sanitätsbetrieb des Landes der Reha-Abteilung keine Lizenz erteilte. Der Grund: Die Türen seien zu eng, der Eingang nicht behindertengerecht. Der Vertrag zwischen Guggenberg und Brixsana war das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben stand. Die Investition ins Lutzenhaus riss in der GmbH ein großes Loch auf, Insider sagen gar, „diese Sache war für die Guggenberg-Klinik wie ein Stich ins Herz“.
In solchen Situationen braucht es jemanden, der bereit ist, Geld in die Hand zu nehmen, der in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen. Nichts davon geschah: Der Verwaltungsrat der Guggenberg GmbH lähmte sich selbst, „die Mailänder Linie“ ließ ausrichten, dass sie nicht investieren, sondern kassieren wolle – und Franz Josef, der Sohn von Markus und Gertraud Guggenberg-Mitterrutzner, schloss sich dieser Forderung an. Als im Spätsommer 2017 die Aufsichtsräte auf einen gefährlichen Liquidationsengpass hinwiesen, war es bereits zu spät.
Von der Villa von Zeno Giacomuzzi hat man einen schönen Blick auf die Guggenberg-Villa. So konnte der ehemalige Brixner Bürgermeister Markus von Guggenberg dabei beobachten, wie dieser jeden Morgen am Balkon seine Turnübungen machte. Noch 2012 hatte Giacomuzzi in einer Rede daran erinnert, wie es den Guggenbergs immer wieder gelungen war, selbst schwierigste Zeiten zu überwinden. Jetzt hegt er Zweifel, ob dies auch diesmal gelingen wird: „Ich hoffe bloß, dass nicht die Spekulanten kommen und alles zunichte machen.“
Gertraud Guggenberg-Mitterrutzner bemüht sich seit Wochen, genau dies zu verhindern und stattdessen die Quoten von Eberhard von Guggenberg zurückzukaufen. Zu diesem Zweck hat sie sogar einen Teil ihres Privatbesitzes verkauft (ein Grundstück direkt angrenzend an das Kurhaus), um finanzielle Mittel frei zu machen.
Aber es reicht nicht. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Schulden von 3,5 Millionen Euro auf die Mitbesitzer aufgeteilt werden, braucht es an die 10 Millionen Euro, „um die Gegenseite hinauszukaufen“. Auch damit wäre es nicht getan: Experten schätzen, dass im Kurhaus Investitionen in Höhe von 3 bis 4 Millionen Euro nötig sind, um es den heutigen Erfordernissen anzupassen.
Und schließlich bräuchte es – wie Helmut Seyr sagt – „einen super Arzt, jemanden, der sein Handwerk versteht, der aber auch einen Namen hat, der das Zeug hat, Leute in seinen Bann zu ziehen, wie einst Otto von Guggenberg, wie zuletzt Markus von Guggenberg“. Zunächst schien es, als könne die Privatklinik Brixsana weiterhelfen: Ein Blick in die letzte Bilanz der mit viel Vorschusslorbeeren gestarteten Brixner Privatklinik lässt diese Hoffnung platzen.
„Die Tradition (dieses Kurhauses) ist durch fünfzehn Generationen in der Geschichte dieses alttirolischen Geschlechts bis heute erhalten geblieben.“ Dies schrieb mit sichtlichem Stolz Paul von Guggenberg in seiner bemerkenswerten Familienchronik. Jetzt sieht es so aus, als würden die Dynamiken eines komplizierten Familiengeflechtes aus einer jahrhundertelangen Erfolgsgeschichte ein Drama schmieden. Nicht nur Brixen schaut mit Sorge auf das, was am Unterdrittelweg passiert.

weitere Bilder

  • Familie Gertraud von Guggenberg Therapie Guggenberg-Klinik Tafel

Brixner Filetstück. Der Stammbaum der Guggenberg hat seine Wurzeln in Welsberg und Vint. Das Brixner Kurhaus wurde von Otto von Guggenberg (1848-1914) gegründet (siehe Seite 25). Bereits seit der nächsten Generation des Gründers gibt es zwei familiäre Linien, denen das Unternehmen in gleichen
Teilen gehört. Zunächst waren das Ottos Söhne Franz (1877-1957) und Hans von Guggenberg (1881-1963), dann deren Söhne Eberhard (geboren 1930) und Markus (1912-2003).
In der Chronik fällt auf: Töchter haben in der Erbfolge nie eine Rolle gespielt. Markus von Guggenberg war der letzte Kurarzt, sein Cousin Eberhard, der in Mailand lebt, beschränkte sich auf die Rolle des stillen Teilhabers. Kurios: Zum ersten Mal in der Familiengeschichte gibt es in beiden Besitzerfamilien keinen Arzt. Die sechs Kinder von Markus und seiner Frau Gertraud (Laurenz, Johanna, Franz Josef, Athanas, Camilla und Valerie) sowie die Tochter Eberhards (Eleonora) haben andere Interessen. Diese unterschiedlichen Interessen könnte jetzt dem Traditionsunternehmen ein Ende setzen. Das Schicksal „der Südtiroler Schwarzwaldklinik“ beschäftigt auch die Brixner Stadtverwaltung. Der Grund: Die riesige Anlage befindet sich in einer Wiedergewinnungszone. Wie Bürgermeister Peter Brunner mit besorgtem Blick sagt, „wäre es also nicht verboten, dort Wohnungen zu errichten.“ Sollte der Familienstreit eskalieren, könnte dieses Szenarium eintreten.

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