Keine Sitzungen, keine persönlichen Treffen – die Landespolitik muss sich in der Krise neu erfinden. „Die Opposition“, sagt der Verfassungsrechtler Francesco Palermo, „sollte jetzt Kooperationsfähigkeit zeigen.“
Gesellschaft & Wissen
Auferstehung abgesagt
Aus ff 14 vom Donnerstag, den 02. April 2020
Nach Ostern wieder in den Alltag zurück – das ist die Hoffnung vieler Menschen. Warum wir uns noch wesentlich länger mit dem Virus herumschlagen werden müssen.
Es gibt diejenigen, die die Tage bis Ostern herunterzählen. Noch zehn Tage sind es, neun, acht, sieben, … Dann werde alles wie vorher sein, hoffen sie. Das Osterwunder werde es möglich machen. Der Überlieferung zufolge ist Jesus von Nazareth vor rund 2.000 Jahren von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren.
Ein solches Osterwunder könnten wir heute gut gebrauchen. Mitten in der Coronakrise hoffen viele, dass es nach Ostern wieder da weitergeht, wo wir Ende Februar aufgehört haben. In der Normalität. Im oft so verschmähten Alltag. Schulen sperren wieder auf, die Läden und Betriebe, alles geht wieder seinen gewohnten Gang. Das ist der Traum vieler Menschen. Endlich wieder die Häuser verlassen und spazieren gehen, shoppen oder ausgehen. Es ist ein schöner Traum, er wird sich aber leider nicht erfüllen.
Das Osterwunder wird dieses Jahr nicht stattfinden, zumindest nicht, was die Coronakrise anbelangt. Die Beschränkungen werden anhalten, wie lange genau, weiß derzeit noch niemand.
Die Universitäten von Chicago, Toronto, Bozen (Professor Mirco Tonin) und Johns Hopkins haben erhoben, wie die Menschen in Italien die Beschränkungen bewerten. Ergebnis: Je kürzer und erfolgreicher sie sind, desto eher halten sich die Menschen daran.
Bisher scheinen die Beschränkungen nicht im vollen Umfang gegriffen zu haben. Etwa 50 Prozent der Interviewten gaben zu, sich nicht an alle Beschränkungen gehalten zu haben; zum Beispiel haben sie sich trotz allem mit Freunden getroffen.
Das könnte ein Grund dafür sein, warum die soziale Isolierung in Italien nicht denselben Effekt zeigt wie in China. Dort wurde die Anzahl der Todesfälle pro Tag zwei Wochen nach der Schließung der Millionenstadt Wuhan merklich geringer.
In Italien lässt sich nicht wirklich eine Abflachung der Kurve erkennen und der Effekt der Beschränkungen ist wesentlich kleiner. Das mag auch mit der Salamitaktik zusammenhängen, die Italien angewandt hat. Zuerst die Schulen zu schließen, dann die Pflicht daheim zu bleiben, später die Läden und Bars zuzumachen und schließlich alle nicht lebensnotwendigen Betriebe zu stoppen, war für die Eindämmung des Virus nicht ideal.
Positiv formuliert. Denn, und man muss es so sagen, Italien steht katastrophal da. Es ist ein Beispiel dafür, wie viel man falsch machen kann im Kampf gegen ein Virus. Anderen Ländern wie Spanien oder den USA wird es kaum besser ergehen.
Allerdings haben die USA den Vorteil, dass es dort sehr innovative Forschungseinrichtungen gibt. Seit zwei Tagen ist beispielsweise ein Schnelltest auf dem Markt, der einen Infizierten in 5 Minuten identifizieren kann. Ein weiterer Test, der in 10 Minuten die Antikörper gegen das Coronavirus nachweist, kommt nächste Woche auf den Markt.
In China hingegen waren die Beschränkungen viel massiver als in Italien. Dort durfte zum Beispiel in einem Haushalt nur eine Person höchstens alle drei Tage die Wohnung verlassen, um Lebensmittel einzukaufen. Alle übrigen Haushaltsmitglieder mussten in der Wohnung bleiben. Das ist hart. Aber die Zahlen geben den Chinesen Recht.
Auch in Südkorea griff man hart durch. Und zwar mit Hygienemaßnahmen, flächendeckenden Tests, rigoroser Überwachung (auch über Handy-ortung), Isolierung und Quarantäne. Auf Ausgangsbeschränkungen hat man dort weitgehend verzichtet. Diese Strategie scheint noch wirksamer als jene in China zu sein.
Einer, der die Strategie der Südkoreaner für klug hält, ist der Sarner Immunologe Bernd Gänsbacher. Auch er sagt, es müsse massiv getestet, rückverfolgt und isoliert werden. Nur so sei es möglich, die Infektionswelle zu brechen und das öffentliche Leben schrittweise hochzufahren. Die Frage wird sein, sagt Gänsbacher, wie viel Prozent der Bevölkerung Covid-19 durchgemacht haben. Wenn zum Beispiel 20 Prozent infiziert worden sind und die Krankheit überstanden haben, dann ergebe sich von selbst, dass 80 Prozent der Menschen keine Immunität haben. Sie haben also keine Antikörper gegen das Virus gebildet.
Hebe man in diesem Fall die Restriktionen auf, hieße das ganz klar, dass diese 80 Prozent gefährdet sind und die Infektionswelle wieder startet, sagt der Immunologe Gänsbacher. Daher müsse man sehr vorsichtig vorgehen bei der Lockerung der Beschränkungen. Und sie im Notfall auch wieder aktivieren.
Die wärmere Jahreszeit, haben Wissenschaftler erhoben, springt uns gegen dieses Virus kaum zur Seite. Und die viel beschworene Herdenimmunität? Sie könnte im Falle des Coronavirus nur erreicht werden, indem man die Krankheit durchmacht, da es noch keinen Impfstoff gibt. Das wäre derzeit keine gute Wahl. Ungebremst würde die Zahl der Infizierten und damit derjenigen, die ins Krankenhaus müssen, durch die Decke gehen.
Der Bedarf an Intensivbetten würde wahrscheinlich um ein 8-Faches steigen. Die Folge: Das Gesundheitswesen bricht zusammen. Ein Papier des deutschen Innenministeriums besagt, dass dann 80 Prozent der Intensivpatienten von den Krankenhäusern abgewiesen werden müssten. Allein in Deutschland gebe es mehr als eine Million Tote.
Trotzdem wäre es natürlich das Beste, wenn Menschen immun gegen das Virus sind. Etwa nach überstandener Krankheit oder durch eine Impfung. Dabei ist noch unklar, wie lange diese Immunität andauert. Der Immunologe Gänsbacher rechnet mit zumindest mehreren Monaten bis höchstwahrscheinlich einem Jahr.
Bernd Gänsbacher geht davon aus, dass es früher oder später Medikamente und eine Impfung geben werde. Wann genau, könne derzeit niemand sagen. Aktuell sei es wichtig, Zeit zu gewinnen. Dafür gibt es mindestens neun Gründe:
- Mehrere klinische Vergleichsstudien wären dann abgeschlossen und man wüsste besser, welche Medikamente wirken und welche nicht.
- Weniger Menschen müssen ins Krankenhaus und intensivmedizinisch betreut werden. Die Ärzte müssten dann nicht die Entscheidung treffen, welche Patienten sie intubieren und welche sie sterben lassen.
- Das Gesundheitssystem und die Menschen, die darin arbeiten, werden entlastet.
- Infizierte Ärztinnen und Pfleger können wieder gesund werden und ohne Angst (da nicht mehr ansteckungsgefährdet) zur Arbeit gehen.
- Die Sterblichkeitsrate wird verringert, da man alle Kranken optimal versorgen kann.
- Sogenannte Kollateralschäden bleiben aus, denn wenn das Gesundheitssystem kollabiert, bleiben beispielsweise auch Unfallopfer oder Herzpatienten auf der Strecke.
- Intensivbetten und Schutzausrüstung können aufgestockt werden.
- Es bleibt mehr Zeit für Tests und die Isolierung von Krankheitsherden.
- Man erlangt größeres Wissen über das Virus, das zu besseren Behandlungsmethoden, zu einem Gegenmittel und zu einer Impfung führen sollte.
Wie unser Leben in den kommenden Wochen und Monaten genau aussehen wird, kann niemand voraussagen. Es ist aber davon auszugehen, dass die derzeitigen Beschränkungen in den kommenden Tagen greifen. Irgendwann nach Ostern dürften sie nach und nach gelockert werden.
In Deutschland denkt man beispielsweise daran, mit dem Auto erreichbare Teststationen einzurichten, bei denen sich die Menschen selbst einen Abstrich machen können. Um die Kontakte der Infizierten aufzuspüren, sollen computergestützte Lösungen zum Einsatz kommen. Vor allem mithilfe der Telefondaten. Auch die Kontaktpersonen werden rigoros getestet. Alle positiv Getesteten müssen sodann isoliert werden, entweder zu Hause oder in speziell dafür eingerichteten Quarantänestationen. Sobald diese Verfahren eingespielt seien, könnten sie „relativ kostengünstig über mehrere Jahre hinaus die wahrscheinlich immer wieder aufflackernden kleinen Ausbrüche sofort eindämmen“, zitiert die Süddeutsche Zeitung aus einem Papier des Innenministeriums.
Auch für Italien wäre das ein denkbares Szenario – sobald man die Pandemie unter Kontrolle gebracht hat.
Zur Tagesordnung übergehen werden wir aber so schnell nicht. Weder in Italien noch in Deutschland oder anderswo auf der Welt. Solange kein Gegenmittel und keine Impfung gegen das Virus gefunden ist, werden wir uns vorsichtig bewegen müssen.
Die Menschen werden Atemmasken und eventuell auch Handschuhe tragen und sich oft die Hände waschen. Hände schütteln, Küsschen links und rechts – das war einmal. Vielmehr werden wir auf Abstand gehen, mindestens 1,5 Meter sollten es sein.
Betriebe werden wieder geöffnet, aber es wird rigoros auf die Hygiene geachtet. Arbeiten in Großraumbüros ist kaum mehr vorstellbar, Homeoffice dagegen schon. Auch könnte es von Zeit zu Zeit wieder Schließungen geben, der Schulen, der Kitas, der Bars oder der Geschäfte. Je nachdem, wie stark die Kurve wieder nach oben zeigt. Das sind keine guten Aussichten.
Bernd Gänsbacher ist Realist. „Das Leben, so wie wir es gekannt haben“, sagt er, „wird nicht so schnell zurückkehren.“ Trotzdem würden die Beschränkungen früher oder später gelockert. Danach sei es die Aufgabe von Gesundheitsbehörde und Bevölkerungsschutz, den Menschen den verträglichsten
Maßnahmenmix zu verabreichen.
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