Gesellschaft & Wissen

Jetzt haben sie’s verstanden

Aus ff 14 vom Donnerstag, den 02. April 2020

Katharina von Tschurtschenthaler
Katharina von Tschurtschenthaler, 37, stammt aus Bozen und hat mehrere Jahre für die ARD aus Brüssel berichtet. Seit 2019 lebt sie in Hamburg und arbeitet unter anderem für die Tagesschau als Reporterin. © Privat
 

In der Hamburger ARD-Redaktion passen die Mitarbeiter besonders gut auf sich auf. Wenn alles Gewohnte verschwindet, muss wenigstens die Tagesschau gesendet werden.

Die Bilder und Videos aus Südtirol, die mich Tag für Tag erreichen, wirken wie Szenen von einem anderen Planeten: ein leergefegter Waltherplatz, der Obstmarkt verwaist. Meine Eltern verlassen schon seit Wochen ihre Wohnung nur noch in Ausnahmefällen und wenn, dann stets mit Maske und Gummihandschuhen. Und in Hamburg? Hier saßen die Menschen zur selben Zeit noch beim Aperitivo in der Sonne im Biergarten. Rund um die Alster, dem Hamburger Stadtsee, flanierten sie auf der Promenade und standen Schlange vor der Eisdiele. „Wir sind ja keine Gefängnisinsassen,“ erzählte mir eine Frau, und: „Ich bin mir ganz sicher, es nicht zu haben.“

„Es“ schien bis vor Kurzem in der Realität der Bürger hierzulande nicht zu existieren. Restaurants, Geschäfte, auch Kneipen, hatten geöffnet, in den Parks traf man sich zum Grillen, Biertrinken und Ratschen. Meine Eltern sahen die Bilder und schickten mir aufgebrachte Nachrichten: „Ihr habt es noch nicht verstanden, oder?“

Vor zwei Wochen sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel eindringliche Worte: Es war ein flammender Appell, doch bitte zuhause zu bleiben. Die Menschen gaben sich beeindruckt – und gingen trotzdem raus. Ein Großteil der Deutschen hat Angst vor Corona, hat eine Umfrage ergeben. Das Gesundheitssystem ist gut aufgestellt, aber die Sorge, es könne einen treffen, ist da.

Seit im ganzen Land Versammlungsverbot herrscht, sich also nie mehr als zwei Personen an einem Ort aufhalten dürfen, werden auch die deutschen Städte leerer. Genauso wie die Regale in den Supermärkten. Hamsterkäufer stürmen die Läden: Nudeln, Reis, Mehl und Klopapier sind ständig ausverkauft. Gleichzeitig wächst die Solidarität. Freiwillige melden sich, um für Ältere einzukaufen oder um eine Telefonpatenschaft zu übernehmen.

Viele Menschen haben in ihrer Heimquarantäne niemanden mehr, mit dem sie ihre Sorgen teilen könnten. Wie umgehen mit der Angst, ist ein Thema, das wir Medien bislang viel zu wenig beleuchtet haben. Dabei ist es genauso wichtig wie die aktuellen Fallzahlen.

Ich arbeite für einen großen Sender, allein beim Norddeutschen Rundfunk, Teil der ARD, arbeiten mehrere tausend Menschen. Täglich werden die Maßnahmen für unsere Arbeit verschärft. Immer mehr Mitarbeiter verlegen ihren Arbeitsplatz ins Homeoffice. In der Kantine, in der ich normalerweise um die Mittagszeit kaum einen Platz ergattere, sitze ich jetzt allein am Tisch.

Unsere Dreharbeiten werden immer schwieriger: Anfangs mussten wir unsere Mikrofone mit einer Folie umwickeln, die nach jedem Interview entsorgt wurde. Mittlerweile dürfen wir kein Handmikrofon mehr verwenden, stattdessen wird der Ton „geangelt“, um den Abstand zu gewährleisten.

Besonders kompliziert wird es, wenn man über die Situation in Pflegeheimen und Krankenhäusern berichten möchte. Dort ist der Zugang, aus guten Gründen, stark begrenzt. Es geht so weit, dass wir Interviews über Gegensprechanlagen führen, damit jeder überflüssige Kontakt unterbunden wird.

Die Nachrichten-Teams arbeiten getrennt voneinander, in unterschiedlichen Schichten. Statt im Großraumbüro sitzen wir in kleinen Einzelzimmern, kommunizieren über Mail und Telefon miteinander. Würde sich ein Mitarbeiter der Tagesschau-Redaktion infizieren, wäre das der Super-GAU. In Zeiten, in denen alles Gewohnte verschwindet, müssen die Menschen wenigstens mit der Tagesschau um 20 Uhr versorgt werden.

Katharina von Tschurtschenthaler

Corona in der Welt: An dieser Stelle berichten in den kommenden Wochen Südtiroler Journalisten im Ausland, wie sie die Krise erleben.

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