In Schweden nimmt das Leben auch in Zeiten von Covid-19 seinen gewohnten Gang. Die Menschen dort scheinen angstfrei zu sein – oder täuschen das zumindest vor.
Gesellschaft & Wissen
Corona Rhapsody
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Drei Wochen Ausgangssperre in Zürich – und ich will fast Isolationshaft schreiben. Selbst wenn ich weiß, dass es um einiges schlimmer geht.
Zu mir ist die Coronakrise vor einem Monat durchgesickert, während einer Chorprobe. Ich hatte kurz vorher von meiner Mutter gehört, dass auch in Südtirol mehrere Patienten mit Covid-19 auf der Intensivstation liegen. Plötzlich fühlte es sich absurd an, mit fünfzig Leuten in einem engen Raum zu sitzen und die Bohemian Rhapsody zu schmettern.
In der Pause sprach ich mit den anderen darüber. Meine Unruhe prallte an jenen ab, deren Leben noch in Ordnung war. Klar, an der Uni Zürich war das Matheinstitut geschlossen, wegen einiger Coronafälle. Und Veranstaltungen mit über 150 Menschen waren schon länger verboten. Aber es fühlte sich sonst noch alles ganz normal an.
Als ich später zuhause den Bericht eines Arztes aus Bergamo las, darüber, dass nicht genug Kapazitäten da wären, um alle zu retten, die es schaffen könnten, ahnte ich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch die Schweiz dichtmachen würde.
Das dauerte allerdings noch eine Weile. Während in Österreich, bei geringerer Fallzahl, im Halbtagstakt immer drakonischere Maßnahmen verkündet wurden, wartete man in der Schweiz noch etwas zu.
Mir wurde bewusst, wie tief liberal dieses Land ist, wie ungern man die Menschen in ihren Grundfreiheiten einschränkt. Das Vertrauen in die Vernunft und den Bürgersinn der Einzelnen ist groß und irgendwie auch erhebend.
Und doch machte es mich nervös, dass Mitte März, Österreichs Straßen waren schon wie leer-gefegt, sich die Menschen in Zürich noch in Trams ins Gesicht atmeten und die Frühlingssonne in Gastgärten genossen. Kurz darauf verkündete aber auch die Schweizer Regierung die „außerordentliche Lage“, schloss Restaurants, Bars und Läden. Schulen, Büros waren, soweit möglich, schon vorher geschlossen worden.
So auch in der Neuen Zürcher Zeitung. Seitdem sitzen die Redakteurinnen virtuell bei Sitzungen zusammen. Selbst jene, die sich bisher den vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten, Slack, Team, Skype, verweigert haben und lieber an die Bürotür klopften, müssen jetzt lernen, wie man den Ton an- und die Kamera ausschaltet.
Wir sprechen über Corona, versuchen, etwas darüber zu schreiben, was noch nicht jeder gelesen hat, versuchen, irgendwas von dem unterzubringen, was „sonst noch“ passiert. Davon gibt es allerdings immer weniger, auch im Auslandsressort.
Wie leicht einem zuhause die Decke auf den Kopf fällt, brauche ich keinem Südtiroler zu erzählen. Dabei haben wir hier noch Glück: In Zürich darf man das Haus ohne Eigenerklärung verlassen, spazieren gehen oder Sport machen. Die Osterfeier-tage werden der Stresstest: Wenn sich die Leute bei Ferien und gutem Wetter an die Regeln halten, wird die Freiheit wohl noch bleiben.
Ich hoffe, wir schaffen das. Umso mehr, wenn ich aus Südtirol und Italien höre, wie man sich gegenseitig überwacht und denunziert.
Hier traut man den anderen zu, dass sie einen Grund haben, wenn sie raus gehen. Und sei es nur, um drinnen nicht verrückt zu werden oder einem Konflikt zu entgehen. Weil man diese Freiheit noch hat.
Das Gefühl, aus eigener Entscheidung zuhause zu bleiben, macht es etwas erträglicher.
Ruth Fulterer
Corona in der Welt: An dieser Stelle berichten in den kommenden Wochen Südtiroler Journalisten im Ausland, wie sie die Krise erleben.
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