L’Italia del virus è un tritacarne che mescola umori avvelenati a desideri di rinnovata unità. Ma dalla crisi si esce solo in modo globale.
Gesellschaft & Wissen
Die Herkulesaufgabe
Aus ff 15 vom Donnerstag, den 09. April 2020
Was Seuchen mit einer Gesellschaft machen, hat die Historikerin Elisabeth Dietrich-Daum erforscht. Corona, sagt sie, ist ein „Stresstest für die Gesellschaft und jeden Einzelnen“.
ff: Sie sind Mitherausgeberin einer Zeitschrift mit dem Namen Virus. Ist Ihnen je so ein Virus wie Corona untergekommen?
Elisabeth Dietrich-Daum: Ein Virus dieser Art kennt die Geschichte nicht. Sars-Cov-2 löst die Erkrankung Covid-19 aus, deren Symptomatik ist vielfältig und variiert zwischen symptomfreien Verläufen und schweren Lungenentzündungen mit Lungenversagen. Deshalb wird die aktuelle Pandemie häufig mit der Spanischen Grippe verglichen. Doch ein Vergleich dieser Pandemien hinkt.
Warum?
Zum einen weil die Spanische Grippe durch einen anderen Erreger verursacht wurde; zum anderen, weil die Influenza 1918/19 die Bevölkerung in einer völlig anderen Situation als heute heimsuchte. Es war Krieg, die Ressourcen waren verbraucht, der Winter 1918 war ein Hungerwinter und es herrschte kriegsbedingte Zensur. Viel zu spät erfuhr man, dass aus den USA kommend eine Pandemie Richtung Europa unterwegs war. Außerdem braucht ein Vergleich valide Daten. Bei der Spanischen Grippe wissen wir nicht einmal annähernd die Todeszahlen – die Schätzungen liegen zwischen 25 und 50 Millionen.
Womit kann man die Coronapandemie also vergleichen?
Laut Ärzten am ehesten mit der Sars-Epidemie 2002/2003. Auch dieses Virus stammt aus der Gruppe der Coronaviren und kann zu schweren Atemwegserkrankungen führen. Wie Corona wurde auch sie primär über Tröpfchen verbreitet. Im Unterschied zur jetzigen Coronapandemie infizierten sich damals aber weit weniger Menschen, weltweit etwa 8.000, 774 starben daran. Die Sterblichkeitsrate war damals deutlich höher.
Was ist das Besondere an der Coronapandemie?
Die rasante globale Verbreitung und die damit verbundene hohe Zahl an zu erwartenden Sterbefällen. Allein bis zum heutigen Tag (Freitag, 3. April, Anm. d. Red) ist die Zahl der weltweit bestätigten Infektionen mit dem Coronavirus bereits mehr als 100-mal so hoch wie bei der Sars-Epidemie. Und die Zahl der an Covid-19 Verstorbenen mit weltweit um die 55.000 Toten ist annähernd 70-mal höher als während der ganzen Sars-Epidemie von 2002.
Der Medizinhistoriker Karl Heinz Leven sagte in einem Interview, Seuchen seien der Normalzustand in der Geschichte.
Es hat kaum ein Jahrhundert ohne schwere Epidemien gegeben, manche Erreger wie die Pocken kamen zyklisch alle paar Jahre zurück und führten zu mehreren Todesgipfeln im 19. Jahrhundert. Für frühere Generationen waren Epidemiejahre ganz normal. Unsere Generation will und kann mangels eigener Erfahrung epidemische oder pandemische Ereignisse nicht als Normalzustand akzeptieren.
Was bringen Seuchen mit sich?
Das kommt auf die Art der Epidemie respektive Pandemie an. So haben wir die jährliche Grippewelle inzwischen „normalisiert“, wir fürchten uns nicht, obwohl auch die Grippe jährlich weltweit über hunderttausend Tote fordert. Auch der Respekt vor dem HIV-Erreger hat abgenommen, in den Achtzigerjahren sah das noch ganz anders aus. Ein anderes Beispiel sind die Masern, eine im 19. Jahrhundert ungemein gefährliche Kinderkrankheit, die durch Impfungen eingedämmt werden konnte. Ihre Gefährlichkeit haben wir offenbar total verdrängt, denn wie sonst ist die niedrige Durchimpfungsrate zu erklären. Wir fühlen uns einfach zu sicher – die Seuchen sind immer irgendwo anders.
Wie fordern Seuchen Gesellschaften heraus?
Seuchen reißen uns total aus unserem Alltagsleben, verschieben die Prioritäten und Notwendigkeiten, und zwar in kürzester Zeit. Sie fordern die Akzeptanz der staatlich verordneten Maßnahmen von jeder einzelnen Person. Seuchen beschränken unseren Bewegungsradius, stellen unser individualisiertes Leben auf den Kopf und sortieren die Werte neu. Seuchen sind ein Stresstest für die Gesellschaft, und zwar auf allen Ebenen, für das Individuum und die Gesellschaft als Ganzes.
Wie ist man früher mit Seuchen umgegangen?
Je nach Krankheitsauffassung, also angenommenem Krankheitsauslöser, wurden ganz unterschiedliche Maßnahmen getroffen. War die Miasmatheorie die dominante Erklärung, wurde versucht, durch Räuchern oder Aderlass Abhilfe zu schaffen. Auch religiöse Rituale, wie Gebete oder Bittgänge, fanden häufig Anwendung. Mit der Pest und dann in der Neuzeit setzte sich die Vorstellung durch, dass es Krankheiten gibt, die übertragen werden können, also ansteckend sind. Dies war dann die Zeit der Quarantäne und Isolierung von Kranken.
Was gab es für Vorstellungen über die Ursachen der Seuchen?
Zunächst ging man davon aus, dass Seuchen durch schlechte Dämpfe, eben Miasmen, hervorgerufen werden. Besonders unter Verdacht standen Leichen, Misthaufen, Senkgruben und Moore. Daneben gab es und gibt es die Vorstellung, Epidemien seien die Strafe, die Rache oder ein Fingerzeig Gottes, da halfen natürlich nur Beten, Bereuen und Opfergaben. Sehr früh schon aber gab es auch die Vermutung, ein Zunder oder Funke übertrage eine Seuche, was zu den ersten Isolierungsmaßnahmen führte. Im 19. Jahrhundert setzte sich in der bakteriologischen Ära dann der naturwissenschaftliche Ansatz durch, dass bestimmte Krankheiten übertragen werden und auf einen konkreten, nachweisbaren, Erreger zurückzuführen sind.
Von welchen Seuchen reden wir in der Geschichte?
Die Pest suchte als Schwarzer Tod Mitte des 14. Jahrhunderts Europa heim und entvölkerte es. Durch die aktuelle me-
diale Thematisierung ist vielen nun auch die Spanische Grippe ein Begriff. Weniger bekannt ist, dass in Europa bis in die 1930er-Jahre herauf die Tuberkulose jährlich zu enormen Todesgipfeln führte oder dass im 18. und 19. Jahrhundert die Pocken oder die Masern in mehreren Wellen vor allem die Kinder bedrohten.
Epidemien waren der Tod?
Ganz allgemein haben Epidemien bis etwa 1870/1880 das Todesgeschehen bestimmt. Danach konnten in Europa und den Industrieländern die großen Killer mithilfe unterschiedlicher Maßnahmen zurückgedrängt werden und die degenerativen Krankheiten, die made diseases, wie Herz-Kreislauferkrankungen, Stoffwechselerkrankungen und Krebs, dominieren jetzt die Statistiken. Weltweit aber verursachen Infektionskrankheiten immer noch mehr als ein Drittel der Todesfälle. Sie sind in nicht industrialisierten, wirtschaftlich armen Ländern nach wie vor eine akute Gefahr, und nun wieder eine globale Bedrohung.
Gibt es typische Begleiterscheinungen von Seuchen wie heute Hamsterkäufe oder das Blühen von Verschwörungstheorien?
Die Begleiterscheinungen sind vielfältig: Angst, Resignation, Aggression, aber auch hartnäckiges Leugnen der Gefahr. Seuchen öffnen Tür und Tor für Betrügereien und andere kriminelle Handlungen wie Scharlatanerie oder Plünderungen. Klassisch ist auch die Suche nach Sündenböcken. Es sind zumeist Entsolidarisierungsphänomene in Zeiten der Krise.
Gibt es Erfahrungen, die man aus der Geschichte für die Gegenwart ableiten kann?
Ganz konkret wird deutlich, dass die Bekämpfung von Epidemien oder Pandemien nicht nur ein gesundheitliches oder sanitäres Thema ist, sondern ein politisches Thema und damit hoch brisant. Im Speziellen haben wir gelernt, die alten Präventivmethoden wie Isolierung und Quarantäne wieder anzuwenden. Das sind im Augenblick die einzigen Mittel, die wir haben.
Wie verändern Seuchen die Gesellschaft?
Kleinere Ausbrüche übersteht eine Gesellschaft oder Volkswirtschaft allgemein gut. Eine Pandemie wie Corona hat unsere Generation aber noch nicht erlebt, deshalb ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht einfach, belastbare Aussagen zu treffen. Es ist klar, dass die Wirtschaft Schaden nehmen wird. Wie hoch und nachhaltig er in einer Volkswirtschaft ausfallen wird, hängt ja nicht nur davon ab, wie lange der Stillstand anhält, sondern auch, wie die Wirtschaftspartner, also die mit einem Land vernetzten Volkswirtschaften, reagieren. Hier wird es auch zu Ungleichzeitigkeiten kommen.
Was macht Corona mit der Demokratie?
Wie die Seuche auf Politik und Demokratie wirkt und wirken wird, wird von Staat zu Staat sehr unterschiedlich sein. Die absurden und gefährlichen Reaktionen, etwa in Ungarn oder auf den Philippinen, können wir ja augenblicklich beobachten. Für demokratisch verfasste Staaten wird es mit zunehmender Zeit klarerweise noch schwieriger werden, Maßnahmen durchzusetzen, die in die Bürgerrechte eingreifen oder diese massiv einschränken, und dabei transparent, kritikfähig und glaubwürdig zu bleiben. Diese Eingriffe brauchen unbedingt die Begleitung einer kritischen Öffentlichkeit. Medien kommt dabei eine besondere Verantwortung zu.
Und was werden die sozialen Folgen sein?
Die sozialen Auswirkungen der Krise werden enorm sein. Es wird sich zeigen, ob die Kollateralschäden durch die Sonderpakete und Fonds, wie sie in Österreich, Italien oder auch in Südtirol derzeit hochgefahren werden, halbwegs abgemildert werden können. Fakt ist auch, dass Krisen wie diese die sozialen Ungleichheiten in einer Gesellschaft offen zu Tage treten lassen.
Was tun?
Es muss das erklärte Ziel jeder Regierung sein, neben den gesundheitlichen Fragen, die momentan als dringlich prioritär bearbeitet werden müssen, die wirtschaftlichen Folgen und die sozialen Spannungen sorgfältig im Auge zu behalten. Das ist eine Herkulesaufgabe mit hohem Fehlerpotenzial.
Gibt es auch positive Anstöße?
Das werden wir sehen, was wir als Gesellschaft und als Einzelne daraus lernen werden. Die Frage ist, ob und wie wir in der Zeit nach Corona unsere Erfahrungen umsetzen können und dürfen oder ob wir gezwungen sein werden, mit Vollgas einen Neustart hinzulegen, der uns dann alles wieder vergessen lässt.
Wie agiert die Politik im Moment?
Gemeinsam scheint mir zu sein, dass alle Regierungen der pandemischen Entwicklung hinterherlaufen. Die einen schneller, die anderen langsamer. Die Reaktionszeit nach dem Ausbruch war in den meisten Staaten zu lang. Das muss allen eine Lehre sein. Die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation WHO, das sind die Experten, müssen ernster genommen werden. Wie die einzelnen Staaten reagieren, ist höchst unterschiedlich: In Schweden gibt es fast keine Maßnahmen, Cafés und Schigebiete sind offen, während der philippinische Staatschef Duterte am 2. April drohte, Zuwiderhandelnde gegen die Ausgangssperren erschießen zu lassen.
Kann man die Gesellschaft lange abriegeln?
Da haben wir noch keine Erfahrungen. Die Präventivmaßnahmen müssen für die Menschen nachvollziehbar bleiben und als vernünftig und notwendig erachtet werden, sonst gibt es bald Widerstand. Wie lange das unsere Wirtschaft packt, weiß niemand, wahrscheinlich nicht viel länger als zwei, drei Monate.
Ist die Quarantäne, eine alte Erfindung, Schutz oder Schikane?
Zweck einer Quarantäne ist der Schutz vor Ansteckung und die Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe und von Todesfällen. Warum sollte ein demokratischer Staat seine Bürger schikanieren wollen und dabei den Zusammenbruch der eigenen Wirtschaft riskieren? Sie als Schikane hinzustellen, ist total absurd.
Was für Verhaltensweise bringt die Pandemie mit sich? Ältere Menschen werden stigmatisiert, Chinesen misstrauisch beäugt, es mehren sich die Denunziationen.
Die Coronakrise provoziert extremes Verhalten von Einzelnen oder einzelnen Gruppen. Die sozialen Medien fördern ein solches Verhalten, indem sie die krudesten Theorien verbreiten und Scharlatanen eine Plattform bieten. Gerüchte und Beschuldigungen verbreiten sich heute viel schneller als früher.
Manche meinen, wir befänden uns im Dritten Weltkrieg.
Kriegsrhetorik finde ich fehl am Platz. Aber zweifellos sind wir global im Moment außer Balance.
Notstand heißt, dass eine Demokratie sich auf einem schmalen Grat bewegt.
Demokratien sind hochkomplex, anspruchsvoll und sensibel. Und Notstand heißt Ausnahmezustand. Und eine Ausnahme muss er auch in der Coronakrise bleiben, es darf nicht zu einer schleichenden und zeitlich unbegrenzten Aushöhlung von Bürgerrechten kommen wie in Ungarn. Kritik, auch die der Opposition, muss möglich sein, Medien müssen frei in ihrer Berichterstattung bleiben. Politisch ist die Pandemie brandgefährlich. Was in Ungarn passiert, weist ganz klar in Richtung autoritärer Staat. Dass Krisenbewältigung hochpolitisch ist, wird man jetzt verstanden haben. Aber die Krise kann auch einzelne Regierungen stärken, wenn diese transparent und vernünftig handeln.
Haben wir uns zu sicher gefühlt? Nach dem Motto: Uns kann nichts passieren.
Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man sieht, wie schnell Gesundheitssysteme an ihre Grenzen kommen oder wie wenige Ressourcen wir für größere Krisen schnell zur Verfügung haben. Die Seuchen haben eben immer nur die anderen. Zu verstehen, dass Infektionskrankheiten ein globales Problem sind, und wir uns gemeinsam darauf vorbereiten müssen, wird die große Lehre und Herausforderung für alle sein.
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Auch Elisabeth Dietrich-Daum arbeitet im Moment von daheim aus: „Der Umstieg auf distance-learning vor zwei Wochen war holprig und ist mit sehr viel Aufwand verbunden. Ich möchte das nicht dauerhaft haben.“ Dietrich Daum, 60, ist außerordentliche Professorin am Institut für Geschichtswissenschaften und europäische Ethnologie an der Uni Innsbruck – habilitiert 2007 mit dem Thema „Die Wiener Krankheit. Eine Sozialgeschichte der Tuberkulose in Österreich.“ Sie leitet das Forschungszentrum Medical Humanities an der Uni Innsbruck und ist Vizepräsidentin des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin und Mitherausgeberin der Zeitschrift Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin. Sie ist Autorin vieler Publikationen, die letzte befasst sich mit der Geschichte der Kinderpsychiatrie an der Uni Innsbruck (Elisabeth Dietrich-Daum/Michaela Ralser/Dirk Rupnow (Hg.), Psychiatrisierte Kindheiten. Die Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation von Maria Nowak-Vogl, 1954-1987). „Im Moment“, sagt sie, „versuche ich, die Fakten zu sortieren, um das Geschehen zu verstehen.“
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