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Gesellschaft & Wissen
Auf dünnem Eis
Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020
Ein Jahr lang driftet die Polarstern auf einer Eisscholle über das nördliche Polarmeer. Es ist die größte Arktisexpedition aller Zeiten. Der Wahlsüdtiroler Nikolaus von Schlebrügge war als Kameramann dabei.
Als die Polarstern vor über einem halben Jahr aus dem Hafen von Tromsø auslief, waren Freude an Deck und Mole groß. Das Schiffshorn tutete, so laut es konnte.
Am 20. September 2019 begann eine Expedition, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Ihre Mission sollte die Polarstern, ein deutsches Forschungsschiff, unter anderem zum Nordpol bringen. Ihr Auslaufen aus dem norwegischen Hafen war der Auftakt zu einem internationalen Jahrhundertprojekt. Kein Wunder, dass es an Deck und Mole laut war.
Sieben Monate später ist es an Bord vergleichsweise ruhig. Die vier Dieselmotoren des Eisbrechers wurden vor Monaten ausgeschaltet, seit 180 Tagen driftet die Polarstern auf einer Eisscholle durch den Arktischen Ozean. Sie steckt fest. So wie es geplant war. Dabei sah es kurz so aus, als ob die Polarfahrer zu spät kämen. Sie hatten Glück.
Seit 180 Tagen forschen an die hundert Wissenschaftler auf Scholle und Schiff. Sie wollen die Arktis, das Epizentrum der Erderwärmung, und ihr Klimasystem besser verstehen lernen. Es ist ein letzter Blick auf das ewige Eis, bevor es für immer schmilzt.
Die Polarstern ist das Herz der MOSAiC-Expedition (Multidisziplinäres Drift-Observatorium für das Studium des arktischen Klimas), allein der Name ist aufwendig. MOSAiC ist keine gemütliche Polarkreuzfahrt, MOSAiC ist die größte Arktisexpedition aller Zeiten, an ihr sind bis zu 20 Länder und insgesamt an die 300 Wissenschaftler beteiligt. Alle paar Monate wird die Crew ausgewechselt. Gerade ist Halbzeit.
Seit 180 Tagen ist die Polarstern nichts weiter als ein kleiner pulsierender Punkt auf der digitalen MOSAiC-Karte, die den aktuellen Standort des Forschungsschiffes anzeigt. Die Strömung bestimmt den Kurs, die Polarstern lässt sich von Sibirien nach Grönland tragen.
Und weil das eine ganz große Sache ist, driftet ein Filmteam mit – die deutsche Produktionsfirma UFA Show & Factual dreht für die ARD eine Dokumentation über die Expedition. Filmproduzent Philipp Grieß schreibt ff in einer Mail: „Wir müssen dieses Megaforschungsprojekt erzählen. Wie macht man so was? Was klappt? Wo kommt die Expedition an ihre Grenzen? Vermutlich ist es die letzte Möglichkeit, das Ökosystem Arktis in seiner Gänze zu beobachten. Traurig.“
Grieß, Absolvent der Bozner Filmschule ZeLIG, hat vier Teams zusammengestellt, Nikolaus von Schlebrügge war auf dem ersten Abschnitt dabei. Seit sechs Jahren lebt der 30-jährige Wiener in Südtirol, auch er hat an der ZeLIG gelernt.
Über drei Monate war von Schlebrügge auf dem Arktischen Ozean unterwegs, isoliert vom Rest der Welt, fokussiert auf eine Aufgabe: Zeigen, wie und was geforscht wird. Jetzt ist er wieder isoliert, dieses Mal im vierten Stock eines Wohnhauses in der Brennerstraße in Bozen.
Hier ist man trotz Isolation in der Zivilisation, hier sitze ich auf dem Balkon in der Sonne. In der Arktis war ich weit weg von allem. In einer unglaublichen Landschaft, den Elementen ausgesetzt, in der Polarnacht. Ohne Privatsphäre. Aber mit Eisbären.
Die MOSAiC-Expedition ist wahrscheinlich das am besten geplante Abenteuer, das es jemals gab. Fast zehn Jahre lang bereitete sich das Team rund um Expeditionsleiter Markus Rex auf die Reise vor.
Der Wissenschaftler leitet die Abteilung für Atmosphärenphysik des Alfred-Wegener-Instituts für Polarforschung. Das Institut, das seinen Sitz in Bremerhaven hat, ist der Projektträger. Rex und sein Team planten die Drift und den Bau einer kleinen Forschungsstadt mit Messtürmen, Datennetzen, Robotern, Tankstelle, Hangars, Stromkästen und Schneemobilen. Ein großes Labor auf einer Scholle, deren Eis gerade einmal einen Meter dick ist, darunter der Ozean. Eine Reise, auf die sich Forscher und Besatzung intensiv vorbereiteten, auch Kameraassistent Nikolaus von Schlebrügge.
Wir brauchten eine Seediensttauglichkeitsprüfung. Alles wurde medizinisch eingehend überprüft, auch die Zähne. In Bremerhaven gab es einen Einführungskurs und ein Training, wie man sich vor Eisbären schützt. Wir mussten auf Scheiben schießen. In Rotterdam gab es einen Kurs über das Verhalten bei Gefahren an Bord.
Die Forscher an Bord der Polarstern und ihres Begleitschiffes, der Akademik Federov, sind Meeresbiologen, Meteorologen, Meereisforscher, Geochemiker oder Polarforscher. Die Besten ihres Faches. Arktikfreaks, die viele Fragen zum sensiblen Gleichgewicht von Eis, Wasser und Atmosphäre haben und auf viele Antworten hoffen. Denn in der Arktis steigen die Temperaturen doppelt so schnell wie auf dem Rest der Erde, bereits im Sommer 2030 könnte das Polarmeer eisfrei sein: Im Gefrierschrank der Welt zeigt sich, wie alles zusammenhängt. Er erhoffe sich einen „Quantensprung bei der Klimaforschung“, sagte Expeditionsleiter Markus Rex der Süddeutschen Zeitung kurz vor dem Ablegen.
In der ersten Woche durchquert die Polarstern die Barentsee, die Karasee und die Laptewsee, nach zehn Tagen fliegen Hubschrauber von den Schiffen auf die Eisflächen, die Kufen berühren kaum die Oberfläche, Forscher ziehen eine Probe, die Piloten fliegen schnell wieder weg. Zu dünn. Der Klimawandel ist bereits stärker fortgeschritten als angenommen – das Eis ist viel dünner, als es sich die Wissenschaftler erwartet haben. Und dann finden sie sie doch, ihre Scholle: 3,5 Kilometer lang, 2,5 Kilometer breit. Sie nennen sie Black Eye. Die Wahl der Scholle ist die wohl wichtigste Entscheidung der gesamten Expedition, schreibt Geo-Reporterin Marlene Göring, die mit an Bord ist.
„Maschinen stopp!“, lautet der Befehl von Kapitän Stefan Schwarze. Am 4. Oktober, es ist Tag 15 der Expedition, wird das Schiff an der Black Eye mit Eisankern vertäut, die Polarstern friert an der Scholle an. Bei 85 Grad Nord und 134 Grad Ost beginnt die eigentliche Reise, die das Schiff bis zum Nordpol und zurück bringen soll. Die Akademik Federov dreht ab, Nikolaus von Schlebrügge wird in einem russischen Transporthubschrauber zur Polarstern geflogen.
Wir sind übers Eis geflogen, immer weiter. Ich habe auf diese Eiswüste geschaut und mir gedacht: Wow! Als wir landeten, ist ein Mann in einem roten Overall, auf dem Rücken ein Gewehr, von seinem Schneemobil gestiegen. Er hat mich umarmt. Das war Jakob, der mich abgeholt hat.
In den nächsten zwei Monaten filmen Jakob Stark und Nikolaus von Schlebrügge den Aufbau auf der Scholle und das Leben an Bord. Die beiden teilen sich eine kleine Kajüte und ein Bad. Von Schlebrügge braucht ein paar Tage, um sich in den engen Gängen im Bauch des Schiffes zurechtzufinden. Die Polarstern, 118 Meter lang, 25 Meter breit, ist mit Technik vollgestopft.
Über eine Gangway gehen die beiden auf die Scholle, mit Schneemobilen fahren sie zu den einzelnen Stationen.
Auf der Scholle wird geforscht, was die Arktis hergibt: In der Ocean City werden mit einer Rosette Wasserproben aus bis zu vier Kilometern Tiefe gezogen. Im Balloon Town sammelt ein Atmosphärenballon in rund 30 Kilometern Höhe Daten über Ozongehalt, Temperatur und Druck. In der Met City untersuchen Dutzende Instrumente Luft, Eis und Meer. Forscher fahren auf Schneemobilen von Station zu Station, Logistiker reparieren die Daten- und Stromkabel, die zum Schiff führen, Hubschrauber bringen Wissenschaftler zu entfernteren Messstationen. Eisbärenwächter suchen den Horizont ab. Auf der Scholle ist was los, und das Mitten in der Polarnacht bei vollkommener Dunkelheit. Auch für das Kamerateam ist die Arbeit eine große Herausforderung.
Deine Stirnlampe ist dein Horizont. Und es ist kalt. Bis zu minus 34 Grad. Das ist eine extreme Herausforderung für Mensch und Technik. Beim Drehen verharrt man oft, wir mussten aufpassen, Füße, Hände und Gesicht warm zu halten. Die Außenkamera haben wir in eine Art Schlafsack eingepackt. Bei einem Dreh bin ich bis zur Hüfte in eine Eisspalte gerutscht, meine Beine hingen im Ozean. Während einer Aufnahme riss plötzlich die Eisdecke vor unseren Augen auf, und die Platten türmten sich zu einem Eispressrücken. Es hat wahnsinnig laut geknirscht und geknackt. Unglaublich!“
Wird es Nikolaus von Schlebrügge und Jakob Stark zu viel, ziehen sie sich in ihre Kajüte zurück. Internet gibt es nur sehr selten, zum Telefonieren wird ein Satellitentelefon genutzt. Es gibt einen kleinen Fitnessraum, einen Pool, eine Sauna und Yogastunden. Ein amerikanischer Ingenieur macht hin und wieder Improvisationstheater. Die Kantine kocht gut und reichlich. Im blauen und roten Salon trifft man sich zum Ratschen. Zweimal die Woche gibt es Barbetrieb. Die Stimmung an Bord ist wechselhaft, sie hängt von den wissenschaftlichen Fortschritten ab.
Nach der Hälfte der Zeit gab es ein Grillfest. An Deck wurde gegrillt, dann sind wir schnell wieder ins Warme. Die Besatzung hatte einen Raum mit Girlanden geschmückt. In einer isolierten Gemeinschaft findet man schnell Kontakt. Sonst ist die Zeit begrenzt, alle sind sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt.
Nikolaus von Schlebrügge ist froh, als seine Zeit an Bord um ist. Zwei Monate Dunkelheit, irgendwann schlägt das aufs Gemüt. Am 16. Dezember kommt es am 86. nördlichen Breitengrad zum polaren Schichtwechsel: Mitten in der Polarnacht verabschieden sich 100 Menschen von der Polarstern und wechseln auf den russischen Eisbrecher Kapitan Dranitsyn. Auch Nikolaus von Schlebrügge. Zum Abschied tuten wieder die Schiffshörner.
Die Rückfahrt dauert etwa zwei Wochen – von der internationalen Raumstation ISS kommt man schneller zur Erde zurück als vom Arktischen Ozean ins norwegische Tromsø. In seinem Gepäck hat von Schlebrügge ein Polarsouvenir dabei.
Eine Wissenschaftlerin hat mir das Fläschchen gegeben. Wasser aus einer Tiefe von vier Kilometern, irgendwo beim 86. Breitengrad. Das kommt in meine Schatztruhe. Sonst kann man von dort ja nichts nach Hause bringen.
Am 2. Januar trifft das Schiff in Tromsø ein, der erste Abschnitt endet.
Mittlerweile müsste der vierte Wechsel erfolgt sein, aber Corona bringt auch den Fahrplan der größten Arktisexpedition aller Zeiten durcheinander. Das Team um Markus Rex hatte sich auf fast alle Szenarien vorbereitet, der Ausbruch einer Pandemie gehörte aber nicht dazu. Die Menschen auf der Polarstern stecken nun wirklich fest; im Mai oder Juni können sie vielleicht von Bord.
Auf Schiff und Scholle gehen derweil Forschung und Dreharbeiten weiter, die Polarstern driftet durch die Arktis. Bei Redaktionsschluss ist es Tag 215 der Expedition, das Online-Logbuch gibt den Standort mit 84 Grad Nord und 15 Grad Ost an. Die Lufttemperatur liegt bei minus 13,4 Grad Celsius, es stürmt. Am Himmel erkennt man die Umrisse der Sonne. Es ist Dienstag. Dienstags wird in der Rov City immer der Tauchroboter durch ein Eisloch ins Wasser gelassen. Und an Bord ist dienstags immer Männersauna.
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Der letzte Blick:
Die Ausmaße des Klimawandels werden vor allem in der Arktis sichtbar, das ewige Eis schmilzt. Mit 13,26 Millionen Quadratkilometern liegt die arktische Meereisbedeckung aktuell auf dem zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen. Das hat Folgen für die ganze Welt. Was auf der Arktis gerade passiert, untersuchen Forscher der MOSAiC-Expedition. Es ist die größte Arktis-Expedition aller Zeiten, das Budget beträgt 140 Millionen Euro. Herz der Expedition ist das deutsche Forschungsschiff Polarstern (Alfred-Wegener-Institut), das ein Jahr lang, begleitet von einem UFA-Kamerateam, auf einer Eisscholle festgefroren durch die Arktis driftet. Die Dokumentation soll Ende des Jahres in der ARD laufen, Einblicke auf Scholle und Schiff bekommen User bereits jetzt auf: follow.mosaic-expedition.org. Das Reportagemagazin Geo erzählt in seiner Ausgabe 3/2020 von der Expedition.
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