Gesellschaft & Wissen

Schöne neue Welt - Teil 2/7

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020

Schöne neue Welt
Die Kneipen gehen wieder auf, es wird wieder gelacht, geweint, gearbeitet und Fußball gespielt. Aber nicht nur das ... © ff Grafik/freepik
 

Wir schreiben das Jahr 2021. Die Coronakrise ist ­überstanden und hat vieles verändert. Ein nicht ganz ernst gemeinter Blick nach vorne – und zurück von Klemens Riegler. (Teil 2 von 7)

Ich schlafe heute etwas länger als sonst. Schließlich ist Samstag. Und der Wetterbericht gestern bei meinem bevorzugten Radiosender hat nicht gerade Kaiserwetter versprochen.

Die Prognosen sind inzwischen ja sehr gut, wenn es nicht grad um Vorhersagen von Epidemien oder gar Pandemien geht. Wobei ich schon wieder bei diesem Thema bin, das uns alle zwischendurch wieder einholt. Die Folgen sind schließlich heute noch spürbar. Im Guten wie im Bösen, pflege ich da immer zu sagen.

Na ja, erst einmal Frühstück; Kaffee, Brot, Butter & Honig ... Jogurt mit Müsli mach ich fast nur, wenn ich eine Radtour vorhabe, wozu das Wetter heute nicht so einladend ist. Nach dem Frühstück folgt gewohnheitsmäßig ein „Tschigg“ auf dem Balkon.

Eigentlich hätten wir alle spätestens mit Corona das Rauchen aufgeben sollen, schließlich gehören Raucher zur Risikogruppe. Ebenso wie alte Menschen oder jene mit Vorbelastungen. Egal – nicht egal – aber was soll‘s. Es folgt der Weg auf dieses Örtchen mit diversen runden Keramikschüsseln.

Mit dem iPad in der Hand lasse ich mich im Rückwärtsgang auf die mittlere Schüssel nieder. Das Abseilen dauert, aber ich hab ja das Streichel-Brettl. Ich klicke auf mein Lieblingsportal, das es auch jetzt noch gibt. Es hatte in der Krise Klickraten wie nie zuvor. So wie viele andere Online-Angebote auch.

„Beim nächsten Mal“, lese ich jetzt. Irgendein mir unbekannter Ökonom wirft einen krassen Vorschlag in den Raum: Seine Idee ist es, die nächste Krise, egal ob von einem Virus oder sonst was verursacht, mit einem „Mega-Cut“ zu meistern.

So ein radikaler Schnitt, schreibt er, wäre wirtschaftlich weit günstiger. Man müsse einfach nur am Anfang der Krise den Zahlungsverkehr und die Geldflüsse komplett einstellen. Er meint, man hätte alles umgehend für einen gewissen Zeitraum einfrieren sollen. Dann hätte alles stillgestanden – vom 1. April bis 30. Juni beispielsweise.

So als ob wir drei Monate aus dem Kalender heraus geschnitten hätten. Niemand hätte Geld verloren, niemand sich auf Kosten anderer bereichert. Für alle anfallenden Kosten – etwa für Lebensmittel und andere überlebensrelevante Dinge – hätten die Staaten aufkommen müssen.

Das hätte, so der Ökonom, nur einen Bruchteil von dem gekostet, was bis heute weltweit an Unterstützungsbillionen – zum Teil unsozial oder ungerecht – ausgeschüttet und verteilt wurde. Anders gesagt: Die Staaten hätten Lebensmittel und sonstigen Bedarf zu günstigen Preisen und steuerfrei einkaufen und verteilen können. Der Kontostand der Menschen hätte sich in dieser Zeit nicht verändert.

Das wäre wohl niemals umsetzbar gewesen. Andererseits … vielleicht hätte man es auch probieren können. Denn im April hatte Italien schließlich auch angefangen, Lebensmittel-Gutscheine auszuteilen und mit anderen Gesten das Volk ruhig zu halten.

Nachdem ich das stille Örtchen hinter mir gelassen habe, bin ich „pronto“. Mit meiner Frau will ich in die Altstadt radeln, um uns mit Renate, Luis, Helga, Kilian und Magdalena zum Aperitivo beim „Vögelchen“ zu treffen. Wir nehmen unsere Stadt-E-Bikes – da schwitzt man weniger – und radeln den Radweg entlang bis in die Leonardo-da-Vinci-Straße. Abstellen und dann zu Fuß weiter.

Da sitzt sie ja schon, die ganze „Bagage“. Kilian hat auch seine Bekannten aus Oberösterreich mitgebracht, die grad wieder in Bozen Urlaub machen. Sie nächtigen bei Kilian und nicht im Hotel. Wir kennen sie auch längst ... haben die eine oder andere Radtour mit ihnen absolviert. Wir grüßen einander, mit etwas Abstand. Ganz eng macht man das ja jetzt nicht mehr.

Ein Blick ins Innere des Lokals genügt, um zu verstehen warum. Selbst jetzt sind noch gewisse Abstände geboten. Letztes Jahr war es schlimmer. Nachdem das öffentliche Leben Ende April – Anfang Mai wieder langsam hochgefahren wurde, mussten alle Bars und Restaurants die mögliche Besucherzahl reduzieren. Tische wurden herausgenommen, die Anzahl an Personen pro Tisch und Größe musste angepasst werden.

Direkt fein war es. Wo wir uns vorher zu dritt fast zwei Stühle teilen mussten, waren drei Stühle für zwei verfügbar. Auch jetzt sitzen wir hier vor dem In-Lokal im Schatten der Altstadthäuser und dieser altehrwürdigen Gemäuer.

Zumindest brauchen wir nun diese Gesichtsmasken nicht mehr. Wir hatten uns ja fast schon daran gewöhnt. In allen Farben und allen möglichen und unmöglichen Design- und Modevarianten waren diese zu Wucherpreisen verkauft worden.

Virologen, Immunologen und wie die ganzen Experten heißen, hatten lange darauf bestanden ... mit dem Argument, dass das in China schon vor Corona Normalität war, und China vielleicht auch darum schlussendlich weniger Tote und Coronafälle gehabt haben soll als der Rest der Welt.

Das hat sich später als Lüge herausgestellt. China hatte die Zahlen ordentlich „geschönt“. Schon im April tauchten Handyvideos auf, auf denen wir sahen, dass ganze Bergungsflotten bei Nacht in den leergefegten Straßen unterwegs waren, um die Toten aus den Wohnungen zu holen. Statistisch wohl nicht erfasst, da sie nie ein Krankenhaus oder eine Beatmungsmaschine gesehen hatten.

Wir stoßen an! In jetzt angemessener Form und Distanz. Der Prosecco ist gut. Er schmeckt in Gesellschaft immer besser. Und ja, der Willy – das ist der Chef hier – hat auch wieder Salzstangen und Nüsse auf den Tisch gestellt. Das war bis vor einigen Monaten verboten ... oder wäre es das eigentlich immer noch?

Bei den ganzen Regeln, die wöchentlich verschärft und wieder aufgeweicht wurden, soll sich noch jemand auskennen. Sicher ist: Es gab keine „offenen“ Lebensmittel mehr. In seinem Hotel am Ritten musste der Willy auch alles umstellen. Buffet gab es aus hygienischen Gründen nicht mehr. Es wurde alles nur mehr bestellt und serviert.

Na ja, denk ich mir, wir sind alle nur hier, weil laut aktuellem Stand, oder besser gesagt laut App-Meldung oder Eigenerklärung, niemand von uns infektiös ist. Wobei selbst das nach wie vor nicht garantiert ist. Es gibt immer noch eine kleine Fehlerquote. Trotz flächendeckender Kontrolle.

„Save“ – wie wir jetzt pflegen zu sagen – sind eigentlich nur Helga und Kilian, Luis und Renate sowie ihre Kinder. Die haben die Krankheit durchgemacht und gelten als immun. Sie können nicht mehr krank werden und sind für uns andere darum ungefährlich. Zumindest geht man davon aus.

Die Renate erzählt gerade über ihren neuen Job, nachdem sie von Helga drauf angesprochen wurde. Ihr passe es recht gut, sie müsse sich noch einarbeiten, aber das sei kein Problem, weil ihre Vorgängerin noch dort wäre.

Renate hatte Glück, ihr fehlen noch acht Jahre bis zur Pension. Das ist fast ein Jahr mehr, als sie sich noch Anfang 2020 ausrechnen hatte lassen. Auch wir Männer müssen nun länger „buggeln“. Auch das verdanken wir diesem Sch...-Virus.

Italien als Staat ist finanziell so ziemlich am Ende. Der EU-Rettungsschirm war mehr ein Schwimmreifen, dem langsam die Luft ausgegangen war. Nicht weil die anderen EU-Staaten nicht wollten, sondern weil einfach kein Geld mehr da war ... oder zumindest war es nicht dort, wo es gebraucht worden wäre.

Die sogenannten Corona-Bonds – wie die richtig heißen weiß ich grad nicht mehr – haben schlussendlich die Chinesen aufgekauft. Man munkelt in diversen Verschwörungsportalen, dass China sich mit Corona die Weltherrschaft sichern wollte.

Ich denke, das ist Blödsinn, aber es ist klar, dass schlussendlich China am besten durch die Krise gekurvt ist. Anfangs brauchten wir Schutzausrüstung, technische Analysegeräte und Impfsubstanzen in unglaublichen Mengen. Und nur China konnte die in entsprechender Anzahl produzieren und liefern.

Jetzt produzieren wir Europäer wieder einiges selber, aber mehrere dieser Hersteller gehören teilweise chinesischen Investoren. Auch viele sogenannte Mittelständler im reichen Deutschland – oft auch Zulieferer für die Automobilindustrie – wurden heuer von Chinesen und Indern übernommen oder aufgekauft.

Das sind die Spätfolgen von Corona. Der Staat hatte geholfen, Nullzinskredite wurden vergeben und Zahlungsaufschübe gewährt. Aber dann – am Ende des letzten Jahres – wurde abgerechnet. Die Renditen, mit denen die alten Kredite bedient werden sollten, waren ausgeblieben. Und Insolvenzen waren oft der einzige Ausweg.

Andererseits sind viele kleine neue Betriebe gegründet worden. Nicht fremdfinanzierte Start-ups, sondern richtige Produktionsfirmen, die jetzt schon wieder auf Hochtouren laufen. Oft sind es sogar die gleichen Inhaber, die einfach Straßenseite gewechselt haben. Alte und gute Mitarbeiter sind ihnen gefolgt.

Auch die Arbeitslosenzahlen sind seit diesem Frühjahr wieder rückläufig. Wir erinnern uns ... im Sommer und Herbst letzten Jahres waren sie in Europa und in den USA so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Alex – der Stritzi, Freund von Kilian – ist auch Hotelier und Gastronom, so wie unser Willy hier. Er erzählt, dass auch er letztes Jahr – so wie die Südtiroler Hotellerie – starke Einbußen hatte. Er sei aber nicht verschuldet gewesen und wäre darum halbwegs gut über die Runden gekommen. Auch weil ihm das Hotel selbst gehört, und der Staat die Lohnkosten für die Angestellten so gut wie ausgeglichen hatte. Vorher hätte er zum Glück gute Jahre gehabt.

Wir quatschen dann über dies und das. Wir leben schließlich in der Post-Corona-Zeit, in der wieder zumindest eine gewisse Normalität herrscht. Wobei jetzt schon vieles als normal betrachtet wird, was früher schlicht nicht normal war. Ich denke dabei an dieses Bewegungstracking ...

Was es damit auf sich hat, erfahren Sie morgen in Teil 3.

Klemens Riegler, 52, aus Bozen, ist Unternehmer für Messe- und Bühnenbau, Veranstaltungstechnik, sowie Musik­kritiker. Den Text hat er für dieses Magazin verfasst, weil er zurzeit viel Zeit zum Nachdenken hat. (Ungekürzte Fassung)

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