Gesellschaft & Wissen

Schöne neue Welt - Teil 3/7

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020

Schöne neue Welt
Die Kneipen gehen wieder auf, es wird wieder gelacht, geweint, gearbeitet und Fußball gespielt. Aber nicht nur das ... © ff Grafik/freepik
 

Wir schreiben das Jahr 2021. Die Coronakrise ist ­überstanden und hat vieles verändert. Ein nicht ganz ernst gemeinter Blick nach vorne – und zurück von Klemens Riegler. (Teil 3 von 7)

Freiwillig – unter Anführungszeichen – hatten wir den Button für die Nutzungsbedingungen berührt ... früher sagten wir noch gedrückt ... ohne die 13 Seiten durchzulesen. Das Bewegungstracking sei notwendig, erklärte man uns, um das Virus in Griff zu kriegen. Man ließ uns wissen, dass Datenschutz oberste Priorität hätte, man aber die Ausbreitung des Virus besser beobachten und wenn nötig rechtzeitig aktiv werden könne.

Es hat dann nicht so geklappt wie in Südkorea, weil unser 5G-Netz noch nachhängt. 5G macht Tracking für jene, die wissen wollen, was wir wo tun, präziser möglich. Dreidimensional sozusagen.

In Korea, und wohl einigen anderen Ländern auch, hätten die Datenverwalter nicht nur den genauen Standort, sondern sogar das Stockwerk ermittelt, in dem sich jemand aufhielt.

Die wüssten jetzt so ziemlich genau, dass ich grad mit meiner Frau, mit Alex, Renate, Helga, Luis und all den anderen hier vor dem „Vögelchen“ sitze – seit genau 30 Minuten.

„Wüssten“! Sie wissen es heute nicht, weil ich mein von mir selbst gekauftes „Ausspähgerät“ zu Hause gelassen habe. Extra! ... und eingeschaltet. Noch öfter schalte ich es letzthin einfach aus. Meine Freunde wissen das. Sie regen sich nicht mehr auf, wenn ich grad nicht abnehme oder nicht innerhalb von zwei Minuten auf Whatsapp antworte.

Diese jetzt in Mode gekommene neue Kommunikationsplattform ... mir fällt jetzt grad nicht ein, wie sie heißt ... hab ich noch gar nicht heruntergeladen. Hannes, der Mann von Magdalena, hat das alles auf seinem Smartphone. Nur Facebook hat er inzwischen gelöscht. Das ist veraltet.

Er ist Bankbeamter, immer online, immer up to date, immer unter Strom. Außer wenn er mit mir Radeln geht. Da kann sogar der Hannes abschalten. Apropos Virustracking. Wir hatten das ja alle hingenommen, weil uns versprochen wurde, dass wir uns dann dafür wieder freier bewegen durften.

Freilich war es freiwillig und hat auch bei der Eingrenzung geholfen. Aber es hat auch zu Ausgrenzungen geführt. War man infiziert – oder auch nur möglicherweise – fühlte man sich wie ein Aussätziger. Die App war aber nicht perfekt. Viele Alte, diverse geistig Behinderte oder auch Minderbemittelte hatten nur ein Telefon und kein Smartphone.

Die Politik und die App-Entwickler hatten sich sehr darauf verlassen. Vielleicht war auch das ein Grund für die zweite Welle, mit der Ende des Sommers letzten Jahres niemand mehr gerechnet hatte. Hannes, wo ist er denn? „Du Magda“ – so nennen wir Magdalena übrigens im Freundeskreis – „wo hosch in Hannes heint?“ frag ich sie. Sie zieht ihr Handy heraus, wirft einen Blick drauf und meint, dass er gleich hier sein müsste.

„Er fährt mit seinem E-Scooter grad über die Talferbrücke, also müsste er gleich da sein“, sagt sie. Tracking lässt grüßen, denk ich mir. Und wenn irgendwer wissen will, wo Hannes und Magda grad sind, wird er das jetzt auch wissen. Aber den meisten, speziell den Jüngeren, scheint das alles ziemlich egal zu sein. Die sind damit aufgewachsen. Sollen sie‘s halt wissen, sagen die.

Hannes – frech wie er ist – parkt nicht, wie es sich gehört, auf den eingezeichneten Abstellplätzen, sondern schleicht elektrisch bis zu uns. Er stellt seinen Scooter hin, nimmt den Helm ab und grüßt schon bevor er den Schlüssel abgezogen hat.

Der Magda ist das immer peinlich. Sie mault ihn zusammen: „Wos tuasch‘en, konnsch net den Scooter zem hinstellen, wo das alle anderen auch tun?“ … Er gibt klein bei und parkt den Scooter ordnungsgemäß. Er, der immer zu tun hat, hatte es nicht früher geschafft.

Jetzt ist Hannes da, übernimmt das Ruder, erzählt wie ein Wasserfall; natürlich über seine Bank, die auch in Krise sei, weil die ganzen unverschuldet Verschuldeten die Kredite nicht mehr zurückzahlen würden.

Ich erinnere mich daran, wie letztes Jahr alle Zahlungen aufgeschoben werden durften. Wir alle zahlten keine Steuern, keine Gebühren, keinen Strom und kein Gas. Na ja, vorläufig nicht. Im Herbst und Anfang dieses Jahres hat es dann ordentlich geklappert. Neben den aktuellen Zahlungen waren zusätzlich die gestundeten des letzten Jahres fällig. Für einige war das dann das Ende. Aber gewisse Sektoren haben sich erholt.

„Läuft schon wieder halbwegs gut“, meint Hannes. Während die Ladys über Chorproben auf Distanz, Gleichberechtigung und noch anstehende Kurzurlaube quatschen, ist bei den Männern die Fußball-Europameisterschaft in den Mittelpunkt gerückt. Heute Nachmittag um 15 Uhr spielen Wales gegen Schweiz, um 18 Uhr Dänemark gegen Finnland und um 21 Uhr Belgien gegen Russland. Wir sollten uns irgendwo treffen, meint Hannes – irgendwo zum Public Viewing oder bei ihm im Garten.

„Bei dir wäre toll“, sagt Luis. Er könne eine Kiste Riegele-Bier mitbringen. Auch der Stritzi Alex und Kilian stimmen zu. Mir fällt ein, dass ich eigentlich mit Franz und einigen anderen im Schotzn-Heisl ausgemacht habe. Aber – denk ich mir – wenn ich mir gleich drei Spiele reinziehen möchte, wäre der Garten von Hannes und Magda sicher die bessere Wahl.

Da ich niemanden versetzen möchte, frage ich, ob ich noch einige Kumpels mitbringen könne. Magda – immer die Ohren im Multitasking-Modus – hört das und meint, dass ich das logisch könne, der Garten sei groß genug. Kilian wirft ein, dass es dann wohl zusätzlich „Flüssiges“ bräuchte. Er werde sich darum kümmern. „Ich bring einen großen Bildschirm mit“, sage ich. Und weil das alles noch zu organisieren ist, verabschieden wir uns auch schon.

„Zu Hause“ – dieses Wort klingt heuer schon viel besser – versenkt meine Herzallerliebste 500 Gramm Spaghetti in siedendes Meerwasser, während daneben schon eine hellrote Tomatensoße im angerösteten Zwiebel verschwindet. Zumindest Tischdecken könntest du schon, sagt meine Frau, während ich selbstgemachten Holundersirup aus dem Kühlschrank hieve.

„Wollt’ ich grad“, entgegne ich. Ein-Uhr-Nachrichten. Tom Vornmetz, einer der Sprecher meines Lieblingssenders, erklärt uns, was in Südtirol und der Welt so alles passiert ist. Kaum eine Meldung ist wirklich interessant oder aufregend.

Na ja, vielleicht jene, dass Ex-US-Präsident Donald Trump nach wie vor twittert und wettert was das Zeug hält. Er verstehe nach wie vor nicht, wie sein Land einen Nichtsnutz wie Joe Biden hat wählen können. Er hätte die Coronakrise bestens gemeistert und sinnvoll für „Great America“ gehandelt. Und die mehr als 100.000 Toten? Aber das war eben Trump.

Dann höre ich auch noch eine Meldung, wonach viele Urvölker nach wie vor Angst vor Corona hätten. Sie hatten sich damals weit in die Urwälder zurückgezogen, um einer Ansteckung zu entgehen. Jetzt tun sie sich schwer damit, wieder heraus zu kommen. Nicht geimpft und nicht wissend, was draußen auf sie wartet.

Die Inkas und Azteken hatten Erfahrung mit eingeschleppten Seuchen wie Pocken, Grippe, Masern, Cholera. Wir hatten in der Schule gelernt: Ohne diese Krankheiten hätten sich die Europäer damals an diesen Ureinwohnern wohl die Zähne ausgebissen. Ohne Beatmungsmaschinen, Intensivstationen und das entsprechende Personal hätten wir uns voriges Jahr allerdings auch hart getan.

Wetterbericht, keine Änderung, unser Wetterfrosch meldet viele Wolken, Wärme, aber nur vereinzelte Niederschläge. Gut. Der EM-Party beim Hannes steht nichts mehr im Wege. Außer dass ich noch Franz anfunken muss, um zu fragen, ob er und die anderen nicht Lust hätten zum Garten-Viewing by Hannes zu kommen.

Wir genießen die gekochten Mikado-Nudel al Pomodoro und al dente ... sie rechtsdrehend, ich links-drehend. Komisch, ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass sie die Spaghetti in die falsche Richtung auf die Gabel dreht. Nach 25 Jahren müsste mir das wohl auffallen. Hm. Sie meint, dass wohl ich falsch drehen würde.

Früher wäre es schon wieder losgegangen – wer hat Recht? Aber das sind solche Kleinigkeiten, über die wir uns nicht mehr streiten, sondern eher darüber lachen. Wir brauchen das jetzt viel mehr. Lachen. Spüren. Fühlen.

Abspülen tun wir nicht, das elektrische Hausmadl kann das besser und verbraucht viel weniger Wasser als ich. Beim Stromverbrauch würde ich wohl besser abschneiden, aber wir haben jetzt Genossenschaftsstrom – hundertprozentig aus erneuerbaren Energiequellen, wie der Rudi Rienzer immer zu erwähnen pflegt.

Vor der Tür steht mein Dieselbus, der ist von VW. Er ist als Euro 4 deklariert. Ich dürfte während der Woche gar nicht mehr fahren, wenn nicht Corona das Fahrverbot aufgehoben hätte. Dabei fällt mir ein, dass ich im Januar letzten Jahres schon diverse Angebote für Elektro- oder Hybrid-Fahrzeuge eingeholt hatte. Der Umwelt wegen, und ja, auch ein bisschen wegen der Beiträge, wollte ich umsteigen. Aber jetzt muss es der Skandal-VW halt trotzdem noch tun. Weil Geld ist knapper geworden. Man schaut jetzt mehr, wofür man Geld ausgibt.

Luis erwartet mich schon beim Hallentor. Er hatte beim Aperitivo versprochen, mir beim Aufladen des Bildschirmes zu helfen. Der Luis war früher ein richtiges Monster von Mannsbild. Der hätte beim Reifenwechseln locker den Wagenheber ersetzt. Aber er hatte großes Pech. Während viele andere Covid-19 ziemlich problemlos überstanden hatten, hat er bleibende Schäden davon getragen.

Er war in häuslicher Pflicht-Quarantäne, da seine Renate positiv getesteten worden war. Erst nach acht Tagen zeigte er Symptome: das Bier schmeckte nicht mehr richtig, Husten, Fieber und dann Atemnot. Er wurde schnell ins Krankenhaus gebracht und musste an die Beatmungsmaschine angeschlossen werden. Acht Tage lang, dann noch eine weitere Woche unter Beobachtung. Er hat mir später erzählt, wie brutal das gewesen sei, wenn du denkst, du gehst einfach drauf. Keine Luft zu kriegen: „Du willsch schnaufen, ober es geat oanfoch net!“

Die „Ventilatori“ – wie sie die Italiener nennen – helfen zwar, aber tagelang einer Maschine und dem Personal danken zu müssen, dass sie einem am Leben erhalten, ist ein sehr eigenartiges Gefühl, sagt Luis. Seine Lungenfunktion und Atemleistung ist seit damals ziemlich eingeschränkt. Als Wagenheber taugt er nicht mehr, als mein Freund aber sehr wohl.

Und ab geht es zum Public Viewing im Garten. Was dort passiert, erfahren Sie morgen in Teil 4.

Klemens Riegler, 52, aus Bozen, ist Unternehmer für Messe- und Bühnenbau, Veranstaltungstechnik, sowie Musik­kritiker. Den Text hat er für dieses Magazin verfasst, weil er zurzeit viel Zeit zum Nachdenken hat. (Ungekürzte Fassung)

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