Gesellschaft & Wissen

Schöne neue Welt - Teil 6/7

Aus ff 17 vom Donnerstag, den 23. April 2020

Schöne neue Welt
Die Kneipen gehen wieder auf, es wird wieder gelacht, geweint, gearbeitet und Fußball gespielt. Aber nicht nur das ... © ff Grafik/freepik
 

Wir schreiben das Jahr 2021. Die Coronakrise ist ­überstanden und hat vieles verändert. Ein nicht ganz ernst gemeinter Blick nach vorne – und zurück von Klemens Riegler. (Teil 6 von 7)

Sonntag. Ein Tag wie es noch weitere 51 pro Jahr gibt. Meine Frau weckt mich. Sie steht meistens vor mir auf. Es riecht nach frischem Kaffee. Aus der Küche tönt mir eine bekannte Stimme entgegen. Aus dem Radio.

Peter, so heißt der Moderator, der uns immer Sonntag früh aus dem Bett holen will. Er spielt einen Beitrag über die Coronazeit ein. Besser gesagt, eine Umfrage. Die Redaktion hat Leute auf der Straße gefragt, was sie in der #IchBleibeZuHause-Ära am meisten geärgert habe. Neben den zu erwartenden Antworten, sind auch einige lustige dabei.

Ein Bozner meint: „De bleden Durchsagen aus den Feuerwehrautos.“ Ich erinnere mich noch gut. Es war ja so ruhig. Vogelgezwitscher übertönte alles. Es gab auch gar nichts, was übertönt hätte werden müssen. Und dann kamen die Feuerwehrautos. Aus ihren Lautsprechern dröhnten mehrmals am Tag diese grauslichen Durchsagen. Zweisprachig. „Durchsage des Zivilschutzes: Bleiben sie zu Hause!“ So ganz als ob wir das nach 14 Tagen „freiwilliger Quarantäne“ nicht gewusst hätten.

Eine andere Befragte meint: „Definitiv mein Mann. Er hat freiwillig Sachen erledigt, auf die ich zwanzig Jahre gewartet habe. Das war fast ein Schock.“ Ich muss schmunzeln. Der nächste sagt: „Ich war stuff von den unzähligen Kommentaren in den Online-Medien, in denen die meisten einfach nur kritisiert und polemisiert hatten, ohne wirklich konkrete Alternativen bieten zu können.“

Da ging es damals vielfach um aus China georderte Masken und Fiebermesser, um Halstücher, Analysegeräte, Bluttests und einiges mehr. Oft wurden später irgendwelche Mängel festgestellt. Schlimm waren diese serologischen Tests, die sich erst spät als unzuverlässig erwiesen hatten und zu dieser dritten Verbreitung beigetragen hatten. Wobei eben schon klar war, dass es damals beim Bestellen dieser Dinge so gut wie keine Alternativen gab. Und aufgrund des Zeitdrucks innert Stunden entschieden werden musste. Dass man da in die Falle läuft, war nachvollziehbar.

Immerhin, sagten selbst Betroffene, sei eine billige Chinamaske besser als gar keine Maske. Man wusste, dass die USA, und nicht nur die, den Markt leergekauft hatten.

Der Stimme nach ein eher älterer Mann sagt ins Radiomikrofon: „Nicht geärgert hab ich mich, aber traurig bin ich immer noch über den Tod meines Hundes.“ Man wisse es nicht genau, aber vermutlich erlag auch er dem Coronavirus.

Ich erinnere mich: Wir hatten im Mai mehrmals davon gehört, dass das Sars-Cov-2-Virus auch auf Tiere übertragen wurde und oder umgekehrt. Der genaue Verlauf konnte aber bis heute nicht wissenschaftlich belegt werden. Man weiß nur, dass gewisse Affenarten, Tiger und einige Tiere mehr, in Gehegen und Zoos verendet sind. Anschließend wurden sie positiv auf das Virus getestet.

Und da wären wir wieder: „Mit oder an Corona gestorben“ war eines der großen Themen. Und es ist immer noch ein Thema.

Im Radio folgten weitere Kommentare wie: „Dass wegen a poor Ignoranten die Ausgangssperren verschöft wurden.“ Eine Frau schlägt in dieselbe Kerbe: „Wir durften nur 200 Meter gehen, während andere mit ihren Hunden bis zu diesen Hunde-Gagga-Gehegen spazierten.“

10 Uhr: Wetterbericht. Es werde warm, sonnig, abends seien vereinzelte Niederschläge und kleine Gewitter möglich. Beste Voraussetzungen für eine Radtour. Meine Frau kommt mir schon im Radl-Dress entgegen. Ich solle mich beeilen, sagt sie, da Hannes und Magda angerufen haben, ob wir nicht Lust auf eine Tour hätten. Zumal meine Frau eh weiß, dass ich gerne mitmache, hat sie natürlich zugesagt.

Da fällt mir ein, dass ich letzthin immer wieder gelesen habe, dass gewisse Länder und Regionen statistisch gesehen weniger Coronatote hatten als andere. Eins waren die Maßnahmen zur Eindämmung. Etwas anderes der allgemeine, gesundheitliche Zustand der Bevölkerung. Wissenschaftler haben das mit einem gesunden Immunsystem in Verbindung gebracht. Sport, körperliche Ertüchtigung, gesunde Ernährung, genügend Schlaf und ein ausgeglichenes Leben waren sozusagen positive Parameter.

Länder wie die USA hatten da eine eher schlechte Statistik. Fast pünktlich treffen wir um 10:50 am vereinbarten Treffpunkt ein. Hannes und Magda haben auch ihren Sohnemann Fritz mit dabei – seine Freundin hat FZ sagt er uns. Ganz so, als ob er sich rechtfertigen müsse, warum er mit seinen peinlichen Eltern an einem Sonntag Rad fahren gehe.

Fritz ist ein netter Kerl. Er sorgt meist für Abwechslung. Die eine oder die andere gegenseitige Stichelei – speziell zwischen ihm und seiner Mutter – verursacht bei mir oft eine Anspannung der Lachmuskeln. Wir treten hinauf nach Eppan, kein Problem für uns. Dort treffen wir Roman und Luise, die sich, wie mit Hannes vereinbart, uns anschließen.

Der Anstieg nach Perdonig und dann weiter bis zum Restaurant Buchenforst treibt uns allen den Schweiß aus den Poren. Geredet wird nicht mehr viel dabei – zu anstrengend und heiß ist es heute. Nur der Fritz erzählt schon wieder von Fußball, von der EM natürlich. Heute spielen England gegen Kroatien, Österreich gegen Serbien und am Abend Holland gegen die Ukraine.

Fritz und Roman sind sich längst einig, wer die aus Sicherheitsgründen nur halbvollen Stadien in London, Bukarest und Amsterdam als Gewinner verlassen wird. Einige von uns nehmen übrigens elektrische Hilfe in Anspruch. Ich bin nach wie vor Öko-Biker, stromless sozusagen. Entsprechend bin ich langsamer unterwegs, und jetzt etwas hinten, alleine. Dabei gehen mir gewisse Dinge durch den Kopf.

Sachen wie das längst fällige Verbot zur Einfahrt dieser Traumschiffe nach Venedig. Ja, Venedig, dieses Juwel, muss sich auch noch erholen. Was heißt muss? Einem Gerücht zufolge sollen im letzten Sommer Delphine in der Lagune gesichtet worden sein, so ruhig war es. Die Touristen sind natürlich nicht nur nach Südtirol, sondern auch nach Venedig zurückgekehrt. Nur der Anblick ist schon komisch. Die Menschen auf dem Markusplatz, alle mit Sicherheitsabstand und alle mit Maske.

Da fällt mir ein, dass die Gesetzgeber vergessen haben, das 2018 verordnete Vermummungsverbot – wegen der Moslems – aufzuheben. Auch mit der damals eingeführten Gesichtserkennungs-Software hat die Polizei jetzt so ihre Probleme. Viel Geld für die Fische!

Beim Thema Webcam fällt mir ein, dass ich im April letzten Jahres den Versuch gestartet hatte zu schauen, was in der Welt so abgeht. Oder eben nicht abgeht. Google findet bekanntlich so ziemlich jede Webcam der Welt. Egal welche Stadt, welches Land. Alle Kameras zeigten nichts anderes als leere Straßen. Egal ob in Bozen, Sidney, Quito, New York oder Kapstadt.

Am krassesten war aber mit Sicherheit New York – Fifth Avenue und Wall Street. Ja freilich, New York hatte es dramatisch erwischt, hatte die höchsten Sterberaten pro Tag. Nicht offiziell, aber man hatte neben den offiziellen Covid-19-Toten in den Monaten März und April zehn Mal mehr Verstorbene als im Jahr vorher.

Heute geht man davon aus, dass 2020 allein in den USA eine halbe Million Menschen an oder mit Corona verstorben sind. Viele Amerikaner machten ihren damaligen Präsidenten Donald Trump dafür verantwortlich, weil er viel zu spät reagiert und danach den anderen die Schuld in die Schuhe geschoben hatte.

Während unsere E-Bikerinnen schon auf der Terrasse des Buchenforst in der Sonne sitzen, sperren wir andere unsere traditionellen Mountainbikes ab, und ich wechsle auch gleich mein durchnässtes Trikot. Aber zumindest haben sie einen schönen Tisch reserviert. Ein Blick wie aus dem Himmel. Links das Etschtal und der Tschögglberg, in der Mitte der Bozner Talkessel, dahinter Ritten, Rosengarten, Kohlern und dann rechts Weiß- und Schwarzhorn, das Überetsch und im Rücken der Mendelkamm. Einfach ein Traum.

Ach wie haben wir es doch schön hier. Nicht umsonst sind die wenigen Touristen, die sich eine Reise noch leisten können, zu uns gekommen. Touristenburgen mit tausenden von Leuten sind ja selbst jetzt noch keine gute Destination. Und Flugzeuge haben sich mit ihren Klimaanlagen als Virenschleudern erwiesen. Unsere eher kleinen Hotels sind da besser aufgestellt.

Warum das so ist, erfahren Sie morgen in Teil 7.

Klemens Riegler, 52, aus Bozen, ist Unternehmer für Messe- und Bühnenbau, Veranstaltungstechnik, sowie Musik­kritiker. Den Text hat er für dieses Magazin verfasst, weil er zurzeit viel Zeit zum Nachdenken hat. (Ungekürzte Fassung)

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