Die Coronapandemie hat Italien – und Südtirol – weiterhin fest im Griff. Nun werden die Beschränkungen zwar gelockert, aber niemand weiß, welche Folgen das haben wird.
Gesellschaft & Wissen
Die Schwere der Freiheit
Aus ff 19 vom Donnerstag, den 07. Mai 2020
Je länger die Krise dauert, desto öfter fragt sich Barbara Bachmann: Wie wird sie den Journalismus verändern? Was wird sie mit der Reportage machen? (Beitrag von Barbara Bachmann)
Ohne das Corona-Virus – wenn alles so gekommen wäre, wie ich Anfang März noch annahm, wäre ich jetzt in -Madagaskar. Stattdessen verharre ich wie ein Möbelstück in meinem Arbeitszimmer in Innichen. Genau genommen seit dem 8. März, als ich gemeinsam mit einer Kollegin eine Recherche in Rom wegen der strikter werdenden Vorschriften abbrechen musste. Veranstaltungen wurden kurzfristig abgesagt. Gesprächspartner konnten uns nicht mehr treffen. Anfangs hatten wir versucht, Alternativen zu finden. Bald verstanden wir den Ernst der Lage.
Im Nachhinein wirkt die letzte noch fast selbstverständlich unternommene Recherchereise ins kanadische British Columbia wie aus einer fernen, unwirklichen Zeit. Nie hätte ich mir die folgenden Wochen vorstellen können, als mich ein Flughafenbeamter bei meiner Rückkehr am 2. März fragte, ob ich gerade aus China käme und er beruhigt nickte, als ich verneinte. Wie alle hat mich die Pandemie kalt erwischt. Und meine Pläne für die kommenden Monate zunichte gemacht.
Dabei ist Sicherheit für eine freie Reporterin ein relativer Begriff. Meist weiß ich nur ein paar Monate im Voraus, wo ich sein und woran ich dort arbeiten werde. Selbstständig zu sein, hält mich offen und wach, es schenkt mir viele Freiheiten. Aber in Krisenzeiten kann sich das Arbeiten ohne den Schutz einer Festanstellung, ohne fixe Aufträge, ohne festes Gehalt auf einmal nicht mehr leicht, sondern schwer anfühlen.
Seit Monaten arbeite ich gemeinsam mit der Fotografin Franziska Gilli an einem Buch über das Frauenbild in Italien. Die letzten Wochen verbrachte ich mit Schreiben, führte Gespräche am Telefon. Mit dem Home-Office bin ich vertraut. Zu Hause recherchiere ich auch in normalen Zeiten Geschichten an, verfasse Exposés, korrespondiere mit Redaktionen und schreibe meine Texte. Aber davor und danach muss und will ich vor die Haustür. Egal, ob in Bozen, Buenos Aires oder Bari. Für unbestimmte Zeit wird das nicht oder nur eingeschränkt möglich sein.
Je länger die Krise dauert, desto öfter frage ich mich: Wie wird sie den Journalismus – eine Branche, von der man seit Jahren nicht weiß, wie es mit ihr weitergeht – verändern? Was wird sie mit der Reportage machen? Eine Kollegin aus Deutschland, die fast ausschließlich im Ausland arbeitet, befürchtete am Telefon, dass Redaktionen uns freie Reporter künftig nicht mehr weit weg schicken. Dass sie kaum noch Recherchekosten übernehmen werden, weil sie womöglich feststellen, dass man vieles auch vom Schreibtisch aus erledigen kann, mithilfe von technischen Hilfsmitteln. Kalt recherchieren nennt sich das.
Ich hoffe, sie irrt. Eine Reportage kann nicht am Schreibtisch entstehen, sie beruht auf erlebten Tatsachen. Sie liefert Beobachtungen und Einordnungen, sie zoomt wie ein Kameraobjektiv nah heran. Sie erzählt in Szenen und erschafft Bilder durch Sprache.
Ich bin dem Corona-Virus daher auch dankbar. Es zeigt mir, warum ich diesen Beruf so liebe. Wegen des Unterwegsseins. Wegen der Begegnungen. Weil er mir ermöglicht, am Leben fremder Menschen teilzunehmen, mit allen Sinnen. Ich möchte künftig nicht länger als nötig vor meinem Laptop sitzen, auch wenn das manchmal verlockend sein mag. Ich möchte die Scheu vor dem Unbekannten ablegen, die Teil dieses Berufes ist wie die Neugier. Jedes Mal aufs Neue.
Barbara Bachmann, Jahrgang 1985, ist freie Reporterin und kommt aus Winnebach. Das journalistische Handwerk hat sie unter anderem an der Reportageschule in Reutlingen gelernt.
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