Restaurant „Kirchsteiger“, Völlan-Lana. Wilde Kräuter, gemütlicher Koch, souveräne Weinfrau.
Gesellschaft & Wissen
Eingesperrt und ausgesperrt
Aus ff 24 vom Donnerstag, den 11. Juni 2020
Doris Gamper hat innerhalb von nicht einmal zwei Wochen Vater und Mutter verloren. Sie waren beide im Altersheim untergebracht und positiv auf Covid-19 getestet worden.
Immer wieder ist in jüngster Vergangenheit über den Umgang mit Covid-19 in den Altersheimen berichtet worden. Ich möchte dazu meine persönlichen Erfahrungen einbringen – ohne Vorwürfe zu senden. Mir geht es darum, in die ganze Diskussion um Sicherheitsvorkehrungen auch den Blickwinkel der Angehörigen von Sterbenden oder Verstorbenen aus Altenheimen einzubringen.
Seit zehn Jahren ist mein Vater, Jahrgang 1928, im Altersheim „Lorenzerhof“ in Lana fürsorglich gepflegt worden. Meine Mutter, 86, lebte weiterhin selbstständig in ihrer Wohnung in Lana, wenngleich sie gesundheitlich etwas eingeschränkt war.
Wir Kinder haben sie regelmäßig besucht, mein Bruder sah öfters am Tag nach ihr und brachte ihr auch das Essen. Im Januar dieses Jahres erlitt sie einen Schlaganfall. Ob Glück oder Zufall – ich war gerade in diesem Augenblick bei ihr. Ich selbst nämlich wohne im Veneto und bin immer nur abschnittsweise in Lana.
Nach entsprechender Behandlung im Krankenhaus kam meine Mutter dann nach Prissian zur Rehabilitation. Die Erlähmungserscheinungen im Gehen und Sprechen ließen nur langsame Fortschritte erkennen. An ein Zurückkehren in die eigene Wohnung war also nicht mehr zu denken. Entsprechend froh waren wir, dass auch sie im Altersheim in Lana ein neues Zuhause fand. Ein Wermutstropfen aber beeinträchtigte diese Freude: Bereits beim Transport von Prissian ins Altersheim durften wir Kinder sie nicht mehr begleiten. Es war der 10. März, das Covid-19-Virus breitete sich aus, und entsprechende Schutzmaßnahmen wurden angeordnet.
Der Gesundheitszustand meiner Eltern wurde uns zunächst als „stabil“ mitgeteilt. Dann hieß es plötzlich, auch das Altersheim von Lana sei von Covid-19 betroffen. Als die Zimmernachbarin meiner Mutter Fieber bekam, wurde meine Mutter in das Zimmer meines Vaters verlegt, der bis dahin alleine gewesen war. Einige Zeit später erhielten wir die Nachricht, beide Elternteile seien positiv auf das Virus getestet.
Am 19. April starb mein Vater. Er hatte mehrere Vorerkrankungen und war dement gewesen. Wir hatten ihn schon längere Zeit nicht mehr besuchen dürfen. Meine Sorge galt nun natürlich verstärkt meiner Mutter. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr Gesundheitszustand stabil, allerdings begann sie, immer weniger zu essen.
Dann kam der Tag der Beerdigung meines Vaters. Über einen telefonischen Kontakt mit dem Altersheim gelang es mir, einen Pfleger zu veranlassen, meine Mutter mit dem Rollstuhl auf den Balkon des Zimmers zu bringen. Ich konnte aus einiger Entfernung vom Parkplatz darunter zuwinken und einige Worte an sie richten. Ich hätte sie viel lieber umarmt, ihre Hände gehalten, ihr gesagt, dass ich auf sie aufpassen und an ihrer Seite stehen wolle.
Mit ungutem Gefühl musste ich mit meiner Familie Richtung Padua zurückfahren. Es war schließlich verboten, uns länger in Lana aufzuhalten. Mir war bewusst: Diese verordnete Abschottung, zudem in einem Moment, wo man selbst gesundheitlich angeschlagen ist und den eigenen Mann soeben verloren hat, konnte meiner Mutter nicht guttun. In den darauf folgenden Tagen versuchte ich mehrmals, telefonischen Kontakt zu ihr herzustellen. Dies war alles andere als einfach. Mehrfach meldete sich niemand am anderen Ende der Leitung – ich sagte zu mir, das ist wohl eine ungünstige Zeit, sie sind alle beschäftigt – manchmal wurde ich mehrfach umverbunden und blieb am Ende doch erfolglos. Manchmal hieß es, die Mutter schlafe gerade.
Ich blieb zurück im Gefühl, ein Störenfried zu sein. Meine Sorge wuchs. Am 2. Mai rief mich eine Krankenpflegerin vom Lorenzerhof an und teilte mir mit, dass sich der Gesundheitszustand meiner Mutter rapide verschlechtert habe. Ich fragte nach einer Möglichkeit, auch den ärztlichen Leiter, meine Mutter auf irgendeine Weise besuchen zu können, doch es hieß, das sei absolut unmöglich. Ich konnte die Situation kaum aushalten, rief meine Cousine in Lana an, versuchte, alle Hebel in Bewegung zu setzen, ich wollte nichts unversucht lassen, um einen womöglich letzten Kontakt zur Mutter herzustellen.
Es waren bange Stunden, ich spürte in mir den Zorn über die Ungerechtigkeit darüber, die Mutter im Sterben zu wissen und weggesperrt von ihr zu sein. Am späten Nachmittag ging, nach zahlreichen weiteren Telefonaten, ein Anruf aus dem Altenheim ein. Meine Tochter hob ab, lief dann auf mich zu und rief aufgeregt: „Die Omi, die Omi!“ Wir hatten nun endlich, für wenige Minuten, Hör- und Blickkontakt auf Distanz. Ich sprach. Ich sah, dass meine Mutter, im Bett liegend, einmal kurz die Augen öffnete und die Hand etwas hob. Es war eine Verabschiedung für immer.
Nach etwa einer halben Stunde kam neuerlich Nachricht aus dem Altersheim. Meine Mutter war verstorben.
Wenn ich höre, dass das Altersheim in Lana jetzt erweiterte Möglichkeiten für Besuche von außen vorsieht, ist das sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Und ich will – das sei betont – hier absolut keinen Vorwurf an das Personal des Altersheimes richten, das in dieser schwierigen Zeit sicherlich das Möglichste geleistet hat und wahrscheinlich auch mit vielem überfordert ist. Es ist jedoch eine Kritik an das Gesundheitssystem insgesamt, weil hier der ganzheitliche Blick auf das, was die Beteiligten – Heimbewohner und Angehörige – außer „Schutz und Sicherheit“ noch brauchen, vielfach verloren gegangen ist.
Doris Gamper
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