Gesellschaft & Wissen

Merci Henri

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 10. Dezember 2020

Chenot
„Ich beschäftige mich, wenn Sie so wollen, mit dem Ökosystem unseres Körpers“: Henri Chenot, 1943-2020 © Ingrid Heiss
 

Henri Chenot, zu dem die Schönen und Reichen dieser Welt pilgerten, ist am 2. Dezember in Lugano verstorben. Ein Nachruf.

Als ihm auf Schloss Tirol der Große Verdienstorden des Landes Südtirol verliehen wurde – es war im September 2010, gab es gar einige, die nicht applaudierten: Was hat dieser sogenannte Gesundheitspapst schon Großes geleistet, um zu verdienen, in einer Reihe mit Berühmtheiten wie Romano Prodi, Franz Fischler oder Giorgio Moroder zu stehen?

Es heißt, dass auch Luis Durnwalder, kein ausgewiesener Fachmann für Biontologie, Entgiftung und Beauty, diesen „sogenannten Gesundheitspapst“, diesen Franzosen, der eigentlich ein Baske war, lange Zeit nicht am Radar hatte. Erst anlässlich der 100-Jahr-Feier des Palace-Hotels sei dem damaligen Landeshauptmann bewusst geworden, mit welch besonderer Figur er es da zu tun hatte. Damals, an einem flauen Herbstabend des Jahres 2006, waren in Meran so viele Promis aufmarschiert, wie vermutlich noch nie bei einem privaten Fest in Südtirol: Flavio Briatore, Zinedine Zidane, Reinhold Messner, die einheimische Schickeria in Vollbesetzung – und als Geburtstagsüberraschung Gianna Nannini, die für die Gäste ein Live-Konzert gab.

Jetzt, wo Henri Chenot tot ist – gestorben in der Nacht auf den 2. Dezember in Lugano –, wollen es alle gewusst haben. Ein Magier sei er gewesen, Künstler, Medizinmann, Psychologe, der Beste seines Fachs, kurzum ein Genie. Die großen italienischen Tageszeitungen widmeten dem „mago delle diete“ ganzseitige Nachrufe.

Hierzulande war das Verhältnis zu ihm immer kühler und distanzierter. Noch vor fünfzehn Jahren, als ff ihm eine Titelgeschichte widmete („Der mit den Vips tanzt“, 28/2005), wurde Chenot gar nicht als Meraner empfunden, schon gar nicht als Teil der dortigen Hotelierszene, sondern als Fremder, irgendwie suspekt: Wer weiß schon, hieß es hinter vorgehaltener Hand, was sich hinter den Mauern des Palace wirklich abspielt? Von kistenweise Schwarzgeld wurde gemunkelt, und dass der ganze Hype um Chenot „nur ein Marketinggag“ sei, seine vermeintliche Kunst also ein Schwindel. Nein, die Passerstadt und ihr teuerstes und berühmtestes Hotel haben sich nie besonders gemocht.

Chenots Karriere hat etwas Mysteriöses, Märchenhaftes: Vieles aus seiner offiziellen Biografie scheint unglaublich und bizarr. Anfang der Achtzigerjahre zum Beispiel: Da hieß es, Chenot habe Frankreich Hals über Kopf verlassen müssen: Wegen einer Steuergeschichte, behaupteten die einen, weil er Bankrott gegangen sei, wussten andere.

In Cannes hatte sich Chenot in den Siebzigerjahren einen stattlichen Ruf als „Phytokosmetiker“ aufgebaut – und dies ohne akademische Ausbildung. Sein besonderer Dreh: Er mischte Cremen nicht wie damals üblich aus chemischen Substanzen zusammen, sondern „gewann sie aus der Natur“. Phytokosmetik meinte also nichts anderes als Körpercremen, die aus Pflanzenextrakten gewonnen wurden.

In einem Hotel hatte Chenot mit seiner damaligen Frau Giselle ein „Anti-Age-Zentrum“ eingerichtet – und konnte sich der Kundschaft kaum erwehren. Heute mag man über Chenots Dreh schmunzeln, damals handelte es sich um etwas absolut Neues, um etwas, für das betuchte Menschen bereit waren, sehr viel Geld auszugeben.

Der Erfolg war aber von kurzer Dauer. Er selbst sagte diesem Magazin, dass er es „mit den Geiern der Branche zu tun bekommen“ habe. Dabei ließ er offen, ob es sich bei den Geiern um Kosmetikkonzerne handelte – oder um Steuerfahnder. Jedenfalls musste er die Zelte im noblen Cannes abrupt abbrechen.

Das Märchen will es, dass Chenot „zwei sabbatische Jahre“ einlegte – weniger romantische Zeitzeugen berichten, er sei „schlicht und einfach untergetaucht“ –, um dann ausgerechnet in Sulden wieder aufzutauchen, und zwar als Verkünder einer von ihm begründeten und nie zuvor gehörten Wissenschaft: „Biontologie, die Lehre von der Essenz des Lebens.“ An seiner Seite Mario Pirone, ein bislang unbekannter Kosmetikhersteller, jetzt plötzlich en vogue, und eine damals noch unbekannte Schönheit: die in Algerien geborene Dominique, eine „professoressa di estetica“, beschlagen auf dem Gebiet der Kosmetik, aber auch geschäftstüchtig. Henri und Dominique verliebten sich in Sulden – und waren seither unzertrennlich.

Henri und Dominique Chenot sowie Mario Pirone stiegen im Handumdrehen zu einer Art Dreifaltigkeit des Wohlbefindens auf. Ab dem Jahr 1985 boten sie ihre Dienste nicht mehr im Grand Hotel Sulden an, sondern in der noblen Villa Eden in Meran Obermais, deren Besitzer der damalige Jägermeister-König Karl Schmid war.

Was dann geschah, klingt wieder nach Märchenstunde: Einer der ersten Gäste, die sich in der Villa Eden behandeln ließen, war Corrado Ferlaino, Präsident des Fußballclubs Neapel. Und weil Napoli im Juli 1984 einen gewissen Diego Armando Maradona verpflichtet hatte, sollte es nicht lange dauern, bis Ferlaino den besten und teuersten Fußballer jener Zeit zu seinem Freund Chenot nach Meran lotste.

Obwohl in der Villa Eden die Stargäste von der Öffentlichkeit abgeschirmt waren, wusste bald die ganze Welt, zu welchem Teufelskerl Maradona ging, um seinen geschundenen Körper wieder in Topform zu bringen. Ohne eine Lira in Werbung investieren zu müssen, standen die Vips jetzt Schlange: Schlagerstars, Filmdiven, Sportler, Finanzhaie, alle schworen plötzlich auf „il metodo Chenot“, um zu entschlacken, zu diäten, sich wieder auf Linie zu bringen.

Henri Chenot wurde ein „unglaubliches Charisma“ nachgesagt. Er hätte es wie kein anderer verstanden, Geschäftspartner und Kunden in seinen Bann zu ziehen. Vielleicht gelang ihm dies auch deshalb, weil Chenot, im Unterschied zum Ruf, den er hatte, witzig, locker, unkompliziert, selbstkritisch sein konnte.

Chenot versprach keine Wunder, band seinen Gästen keinen Bären auf, sondern sagte ihnen ins Gesicht, was sie seiner Meinung nach falsch machten. Im Interview mit ff im Februar 2004 brachte er seine Philosophie wie folgt auf den Punkt: „Ich beschäftige mich, wenn Sie so wollen, mit dem Ökosystem unseres Körpers. Es geht um die Qualität der Nahrungsmittel, um Gewohnheiten, Stress, genetische Fragen. Unser Körper regeneriert sich jeden Tag, zig Millionen Zellen sterben ab, müssen durch neue Zellen ersetzt werden. Was muss geschehen, damit dieser Prozess optimal verläuft? Es sind diese Fragen, mit denen ich mich beschäftige, Fragen rund um den wahnsinnigen Umgang des Menschen mit sich selbst und seinem Körper.“

Auch sein Abenteuer in der Villa Eden war von kurzer Dauer. Es heißt, Chenot brauchte immer mal wieder etwas Neues, hielte es mit Geschäftspartnern nicht allzu lange aus. Jedenfalls gab es Krach zuerst mit Karl Schmid, dann mit Mario Pirone. Im Jahr 1994 wurden die Salben und Cremen nicht mehr unter der Marke Piroche (Pirone & Chenot) vertrieben, sondern mit der Bezeichnung HC, hergestellt in Parma von der Morris, einer Tochterfirma des Henkel-Konzerns. Nahezu gleichzeitig wechselte Chenot von der Villa Eden ins Hotel Palace.

Zunächst schien es, als ob ihn das Glück verlassen hätte. Denn kaum hatte Chenot sich mit dem Palace vertraut gemacht, schlugen die bayerischen Steuerfahnder zu: Besitzer Anton Weinfurtner, der kurz zuvor die Anteile der Familie Eisenkeil übernommen hatte, wanderte sogar ins Gefängnis.

Doch in dieser „verdammt schwierigen Situation“ (Chenot) war die Marke Chenot stärker als der Ort: Die Gäste kamen aus Rom, Kasachstan, Moskau und den Vereinigten Emiraten, obwohl es weit und breit keinen Flughafen gab, Meran ein verschlafenes Nest und der Hotelbesitzer im Knast war. Sie kamen wegen ihm, wegen Henri Chenot.

Warum ausgerechnet Chenot? Weltweit gab es schönere Hotels, beeindruckendere Wellnesstempel, bessere Spezialisten – aber trotzdem pilgerten steinreiche Promis wie Luciano Pavarotti, Naomi Campell, Francesco Totti, Mariuccia Mandelli (besser bekannt als Krizia), Caroline von Monaco oder Thomas Gottschalk Jahr für Jahr oder sogar mehrmals im Jahr nach Meran zu ihrem Freund Henri, der sie alle duzte und ihnen offensichtlich guttat. Das Erstaunliche: Die Superstars kamen nicht einmal zu ihm und wechselten dann zum nächsten Wellness-Hotspot: Sie kamen immer wieder.

Und sie kamen „trotz Palace“. Das Hotel zierte sich zwar mit fünf Sternen, entsprach aber bei Weitem nicht dem Niveau, das in diesen Sphären erwartet wird. Das änderte sich erst, als das Palace 2005 von Pietro Tosolini übernommen wurde. Die Kombination Chenot & Tosolini katapultierte das Palace definitiv in den Olymp des Wohlbefindens: Aus dem Hotel wurde eine Wellnessklinik, vielleicht die beste weltweit.

Musste es so enden? Das Zerwürfnis mit Direktor Massimiliano Sturaro, Anzeigen, Gerichtsverfahren, der Streit zwischen Dominique Chenot und Tosolini, die Krankheit, die Flucht nach Weggis an den Vierwaldstättersee, das Palace, das den Namen Chenot ausradiert, als hätte es ihn nie gegeben.

Märchen verlangen nach einem Happy End. Damit kann Chenot nicht dienen. Im Interview mit diesem Magazin sagte Henri Chenot im Februar 2004: „Ich war immer überzeugt, dass mir nichts Böses zustoßen könne, solange ich nicht erreicht habe, wofür ich auf die Welt gekommen bin.“ Irgendwie hat er Recht behalten.

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