Gesellschaft & Wissen

Die Schwarz-Weiß-Kultur

Aus ff 04 vom Donnerstag, den 28. Januar 2021

Jürgen Wirth-Anderlan
Jürgen Wirth-Anderlan nahm seinen Rap nach Kritik aus dem Netz: Vielleicht wäre es besser gewesen, ihn nicht zu löschen, sondern sich damit auseinanderzusetzen. © Archiv
 

In Zeiten der sozialen Medien werden unpopuläre Meinungen in der Luft zerfetzt. Das spaltet die Gesellschaft. Ein Kommentar zur Kultur des Löschens.

Der „Mamma Tirol“-Rap von Jürgen Wirth-Anderlan hat eine lange Welle der Kritik nach sich gezogen, auch in den Medien (ff nicht ausgenommen). Petitionen wurden gestartet, sogar zahlreiche Schützen distanzierten sich vom Rap ihres Landeskommandanten. In den sozialen Medien wurde der rappende Wirth-Anderlan unter Feuer genommen. Oder um es in angemessenen Worten zu formulieren: Der Schützenboss erntete einen Shitstorm, er trat von seinem Amt zurück.

Zu Recht? Wirth-Anderlans Sprechgesang wurde als homophob gegeißelt, als rassistisch und frauenfeindlich. Die meisten Menschen in den sozialen Medien, die sich hinter Pseudo-nymen verstecken, lieben nicht die nüchterne Analyse. Sie haben es gern schwarz oder weiß, sie unterscheiden genau zwischen Freund und Feind.

Es ist wichtig, gegen Frauenfeindlichkeit oder Homophobie Stellung zu beziehen. Aber hilft es wirklich, wenn man Jürgen Wirth-Anderlan persönlich beschimpft, seine Familie beleidigt, sie gar bedroht? Nur weil er eine andere Meinung hat. Getrauen sich die Leute dann noch, ihre Meinung zu äußern, oder schweigen sie lieber?

Homophobie, Rassismus und Frauenfeindlichkeit verschwinden nicht aus der Gesellschaft, wenn Menschen zum Verstummen gebracht werden – sie sind tief verankert. Der Rap wird mit großer Wahrscheinlichkeit an einigen Stammtischen weiter gegrölt. Vielleicht nicht öffentlich, aber dann, wenn man unter sich ist. Vielleicht wäre es besser, den Rap nicht zu löschen, sondern sich damit auseinanderzusetzen. Mit den Leuten zu reden, die nicht verstehen, was das Problem ist.

Löschen wird zur Unkultur, wenn man andere Meinungen nicht mehr wahrhaben will. Wenn man sie schlichtweg nicht akzeptiert, mit den Menschen, die sie vertreten, nichts mehr zu tun haben will, geht der Dialog verloren. Und wir können uns nur weiterentwickeln, wenn wir noch miteinander im Gespräch sind. Und dem berühmten Satz des Philosophen Voltaire folgen: „Ich lehne ab, was Sie sagen, aber ich werde bis auf den Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“

Das nennt man Meinungsfreiheit. Niemand hat es gerne, wenn er kritisiert wird, widersprechende Meinungen sind manchmal unangenehm. Für eine Demokratie ist es wichtig, sie auszuhalten.

Es ist leicht, Rassisten und Verschwörungstheoretiker aus der eigenen Freundschaftsliste zu entfernen. Sollten wir nicht stattdessen versuchen, mit ihnen zu reden? Wer löscht, schafft sich ein Umfeld, in dem von allen Seiten nur Zustimmung und Bestärkung kommt. Er lebt in einer Blase, in der andere Meinungen nicht mehr vorkommen. Wenn aber die Arbeitskollegin, der Vater oder die Tante Meinungen vertreten, die man selbst als moralisch fragwürdig empfindet, ist wegschauen nicht mehr so einfach. Da hilft dann nur noch reden. Das ist die gesündeste Lösung – zwischenmenschlich und gesellschaftlich.

Es ist sinnvoll, auf Fehler hinzuweisen, andere Meinungen infrage zu stellen. Entscheidend ist aber, dass die Kritik inhaltlich geführt wird. Und nicht ins Persönliche abgleitet. Oder gar unter die Gürtellinie geht.

Greta Fischnaller

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