Gesellschaft & Wissen

Lasst uns nicht allein!

Aus ff 11 vom Donnerstag, den 18. März 2021

Hannah Tonner
Hannah Tonner besucht die 4. Klasse des Sprachengymnasiums Meran, Schwerpunkt Kommunikation, Rhetorik, Theater und Französisch. © Privat
 

Man hat uns Oberschülern gesagt, man würde diese schwere Zeit zusammen durchstehen. Von wegen! Das Virus hat längst unsere Seele angegriffen.

Werde ich gefragt, wie es mir geht, nicke ich nur noch. Ja, klar, alles in allem geht es mir gut, natürlich. Gleichzeitig versuche ich zu verdrängen, dass es eigentlich ganz anders ist. Dass grad gar nichts gut ist. Dass es gar nicht so einfach ist, jeden Tag aufzustehen, sich vor den Computer zu setzen und die Geschichte Fernunterricht aufs Neue durchzukauen.

Seit einem Jahr gibt es Schule für uns Oberschüler, aufgrund der Pandemie, fast ausschließlich von zuhause aus. Das geht auf die Psyche. Nicht nur deshalb, weil sich Menschlichkeit nicht gut über einen Bildschirm leben lässt, sondern auch, weil vieles, das zum Leben von Jugendlichen gehört, einfach flachfällt. Freunde treffen, feiern gehen, Abenteuer erleben: Fremdwörter mittlerweile. Genauso wie Hoffnung und Zuversicht. Dabei bin ich im Herbst genau so in das Schuljahr gestartet: zuversichtlich, voller Freude.

Zweifel haben mich auch begleitet. In meinem Kopf gab es ein großes Durcheinander an Gefühlen. Niemand wusste wirklich, wie das neue System, in das man uns zwängte, funktionieren sollte. Man hat uns Oberschülern gesagt, alles würde gut gehen, wir würden diese schwere Zeit zusammen durchstehen. Man hat uns auch gesagt, dass man uns nicht allein lassen würde. Je höher die Inzidenzzahlen wurden, desto mehr fielen diese leeren Versprechungen wie ein Kartenhaus ineinander zusammen. Mein anfänglicher Optimismus, die guten Gedanken – irgendwann waren sie nichts mehr wert, waren einfach weg.

Mit der Schließung der Oberschulen nach den Allerheiligenferien tönten von allen Seiten dieselben Stimmen: „Non ce la faccio più, non sopporto la DAD!“ – „Wann hört das alles auf?“ – „I mog nimmer!“ Es fühlte sich an, als hätte man uns vergessen, als wären wir das kleine Stückchen Hartseife, das zu schade zum Wegwerfen ist, aber zu unhandlich, um es zu verwenden.

„Die Jugend schafft das eh. Die Jugend lernt fleißig, und dann passt das schon.“ So hieß es. Die Jugend aber wusste nicht mehr wohin mit sich. Die Jugend verlor den Mut, das Wohlwollen, die Freude am Leben. Beim abendlichen Telefonat mit Freunden drehte sich alles nur noch um dasselbe Thema, zu dem es so vieles zu sagen gäbe, auf das aber niemand von den Entscheidungsträgern eingeht. Die meisten von uns waren sich einig: Es hat einen Grund, dass wir zuhause bleiben. Wir schützen Oma und Opa, wir tun etwas Gutes für die Allgemeinheit. Weh tut es trotzdem, die Jugend zu verpassen. Wir zertrampeln unsere Sorgen nicht mehr beim Tanzen in der Disco, wir tragen sie vom Kinderzimmer zum Küchentisch und zurück.

Ich kenne einige, die sich Psychologen anvertraut haben. Schlafmangel, Essstörungen, Panik-attacken, Depressionen: Phänomene, von denen ich bislang gehört hatte, aber weit weg von meinem Leben waren. Plötzlich sind junge Menschen aus meinem nahen Umfeld davon betroffen. Das macht mir Angst.

Ganz ehrlich: Es fühlt sich scheiße an, darüber nachdenken und reden zu müssen. Das Schlimmste ist, dass niemand zuhört. Niemand scheint sich Gedanken über uns zu machen, über jene, die zwar vom Virus am wenigsten betroffen sind, aber am meisten verzichten.

Wir entwickeln uns zu Menschen, die mit Druck nicht mehr umgehen können, die die eigenen Gefühle nicht mehr zu deuten wissen. War es Nervosität oder Vorfreude, als wir nach den Weihnachtsferien wieder das Schulgebäude betreten durften? Drei Wochen lang haben wir wieder Zwischenmenschlichkeit erleben dürfen, bis man doch wieder beschloss, dass es besser wäre, auf Fern-unterricht umzustellen, einmal wieder.

Bitte nicht falsch verstehen: Ja, die derzeitige Lage ist nach wie vor kritisch. Und ja, es ist wichtig, die Infektionsketten zu unterbrechen. Aber bitte, lasst uns nicht allein! Südtirols Jugend verkümmert. Viele Schülerinnen und Schüler sind mittlerweile auf Psychologen angewiesen, manche befinden sich in Psychotherapie, andere wiederum schlucken Xanax – ein Medikament, das den Menschen zwar die Angst, aber auch alle anderen Gefühle nimmt. Ist das die Lösung? Gibt es wirklich keine andere Möglichkeit, auf das Wohl der Allgemeinheit zu achten, ohne dabei Geist und Seele der Jugend aufs Spiel zu setzen?

Fragen über Fragen, auf deren Antworten wir anscheinend genauso lange warten müssen, wie auf das Ende dieser Pandemie.

Hannah Tonner

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