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Gesellschaft & Wissen
Kampf an vielen Fronten
Aus ff 43 vom Donnerstag, den 28. Oktober 2021
Journalisten riskieren ihr Leben, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen: Die Festrede von Zeit-Redakteur Ulrich Ladurner zur Verleihung des Gabriel-Grüner-Stipendiums in Mals.
Gabriel ist 1963 geboren. Ich bin Jahrgang 1962. Wir haben in den Achtzigern in Innsbruck studiert. Knapp zwei Jahre lang haben wir gemeinsam gewohnt. Damals haben in dieser Wohnung, die keine Heizung hatte, zusammen den Skolast, die Zeitschrift der Südtiroler Hochschülerschaft, gemacht. Wir nannten uns hochtrabend Chefredakteure. Wir wollten eine gute, interessante, tiefgründige und unterhaltsame Zeitung machen.
Der Skolast war ein Experiment, ein lustiges, freudvolles Trainingslager. Wir wollten Journalisten werden, wie und auf welchem Weg, das gelingen konnte, das wussten wir nicht. Wir werkelten vor uns hin, dilettantisch aber mit großer Begeisterung.
Gabriel liebte die Literatur – und ich habe ihn mir damals als einen Redakteur im Feuilleton einer großen Zeitung vorgestellt. Einen Redakteur, der kluge Kritiken schreibt, große Kulturreportagen verfasst, scharfe Interviews führt. Ich mochte seine Ironie, seinen Witz, seine immense Belesenheit.
Niemals habe ich mir vorstellen können, dass er Kriegsberichterstatter werden würde. Auch für mich hatte ich mir das nicht vorstellen können.
Doch genau das wurden wir: Kriegsberichterstatter.
Gabriel ist im Sommer 1999 in der Ausübung seines Berufes erschossen worden. Der Kosovokrieg war gerade zu Ende gegangen, und Gabriel fuhr für seine Zeitung, für den Stern, über die mazedonische Grenze in den Kosovo. Es war seine letzte Reise. Ich berichtete während des Krieges für meine Zeitung Die Zeit von der anderen Seite der Grenze, aus Belgrad.
Der Kosovokrieg war der letzte in einer Kette von Balkankriegen, die 1991 begonnen hatten. Insgesamt sind auf dem Balkan zwischen 1991 und 1999 45 Journalisten zu Tode gekommen. Den Balkankriegen folgten eine Reihe weiterer Kriege: 2001 Afghanistan, 2003 Irak, 2011 Libyen, 2013 Mali, 2011 Syrien.
Ich habe für meine Zeitung, mit der Ausnahme Syriens, aus allen diesen Kriegen berichtet.
Gabriel konnte das nicht mehr. Er hätte es vielleicht auch nicht mehr tun wollen.
Wir wollten Journalisten werden, aber waren auf all das, was da kam, nicht vorbereitet. Wie auch? Wir waren mitten im Frieden geboren, wir kannten nichts als Frieden in Europa. Krieg als eine mögliche Erfahrung unseres Lebens, das war etwas, das außerhalb unserer Vorstellungskraft lag. Das war etwas, das wir aus Büchern kannten, etwas für Barbaren, nicht für Europäer. Und dann brach der Krieg in Europa aus
Wir waren nicht vorbereitet.
Jede Journalistengeneration hat ihre prägende Erfahrung – für die Sechziger und Siebziger war es der Vietnamkrieg, für die Achtziger der Bürgerkrieg im Libanon, die Invasion der sowjetischen Armee in Afghanistan, – für uns waren es die Balkankriege. Vielleicht haben sich sie auch deshalb so tief unser Gedächtnis eingeschrieben, weil wir im wahrsten Sinne des Wortes unschuldig und naiv waren.
Kriegsberichterstatter wurden wir nicht so sehr, weil wir uns bewusst dafür entschieden haben. Die geschichtlichen Ereignisse haben uns dazu gemacht. Wir wurden vom Sturm der Geschichte mitgerissen. Dieser Sturm hat Gabriel verschlungen.
Was kann man tun, wenn man mitgerissen wird, ganz und gar unerwartet, unvorbereitet? Man kann versuchen, sein Bestes zu geben. Gabriel tat sein Bestes. Er schrieb aufrüttelnde Reportagen aus den Kriegsgebieten, die er bereiste. Für mich unvergessen ist sein spektakuläres Interview mit Peter Handke, dem Apologeten der serbischen Kriegstreiberei. Als Peter Handke 2019 den Literaturnobelpreis bekam, da hätte ich mir gewünscht, dass dieses Interview noch einmal gedruckt würde.
Gabriel war im Interview mit Handke alles gleichzeitig: hervorragender Kriegsberichterstatter, emphatischer Menschenfreund, Kenner der Literatur. Er brillierte.
Ja, wir wollten Journalisten werden und wussten nicht, was auf uns zukommt. Doch wir wollten diesen Beruf mit Anstand und Professionalität ausüben. Das heißt: Unbestechlich sein, nicht zynisch sein, neugierig bleiben, allein der Wahrheit verpflichtet sein. Das sind die Prinzipien, die auch heute noch gelten.
Seit Gabriels Tod hat sich Beruf des Kriegsberichterstatters geändert. In den Balkankriegen wollten die Kriegsparteien einem Journalisten noch erklären, warum sie taten, was sie taten. Serben, Kroaten, Bosnier wollten einem von ihrer Sache überzeugen. Wir Journalisten wurden in unserer Rolle als Unparteiische anerkannt – mehr oder weniger. Der Beruf war auch damals gefährlich, mitunter eben tödlich.
Doch es gab eine Öffentlichkeit, an die sich die Kriegsparteien wenden wollten, eine Öffentlichkeit, von der sie etwas erwarteten.
Das hat sich seit dem 11.9.2001 geändert – die Taliban in Afghanistan wollen westliche Journalisten nicht von ihrer Sache überzeugen, die Terroristen des Islamischen Staates wollen die Journalisten nicht von ihrer Sache überzeugen … sie wollen sie entführen um, im besten Falle Lösegeld zu erpressen, im schlimmeren Fall, um sie umzubringen.
Die Journalisten werden in den kriegerischen Regionen der Welt heute fast ausschließlich als Kriegspartei gesehen, als Feinde, die es zu bekämpfen gilt. Die Krieger von heute glauben nicht mehr, dass es so etwas wie unabhängige, unparteiische Medien gibt. Sie wenden sich nicht mehr an eine Öffentlichkeit, sie wenden sich nur mehr an ihre Parteigänger, an ihre Anhänger – sie wenden sich an ihren Stamm.
Und mit Krieger meine ich jetzt nicht nur die Taliban oder die Terroristen des Islamischen Staates. Ich meine mit Krieger auch andere.
Denken Sie nur an Donald Trump. An seine Angriffe auf die freie Presse. Der mächtigste Mann der Welt attackierte die Medien wie noch keiner vor ihm. Gleichzeitig verbreitet er Lügen wie keiner vor ihm. Er denunzierte die Journalisten als Produzenten von Fake News – von Falschnachrichten. Er hetzte die Menschen gegen die Medien auf, und er tat es mit beängstigendem Erfolg. Er wurde abgewählt, aber 72 Millionen Amerikaner haben ihn 2020 noch gewählt. 72 Millionen!
Nein, die Feindschaft gegenüber den freien Medien ist keine amerikanische Verirrung. Wir Europäer sind nicht besser, auch wenn wir das gerne glauben. Allein in den letzten vier Jahren sind fünf europäische Journalisten wegen ihrer Recherchen ermordet worden. 2017 die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia; 2018 der slowakische Journalist Jan Kuciak zusammen mit seiner Lebensgefährtin Velak Maca; 2021 der griechische Journalist Giorgios Karavaiz; 2021 der niederländische Journalist Peter R. de Vries.
Europa ist keine Ausnahme, auch hier riskieren Journalisten ihr Leben, wenn sie ihre Arbeit nachgehen. Es ist nur nicht allzu sehr übertrieben, wenn ich sage, dass den freien Medien auch in Europa der Krieg erklärt worden ist. Warum? Weil unsere Gesellschaften gespalten sind. Weil die Öffentlichkeit zu verschwinden droht.
Wir leben in Zeiten der Tribalisierung, jeder Führer hat seinen Stamm, jeder seine Blase, jeder seinen Meinungssilo. Ein Gespräch zwischen Stämmen ist kaum mehr möglich.
Müssen wir uns damit abfinden? Nein, ich denke nicht.
Der Zerfall der Öffentlichkeit ist kein Naturgesetz, doch eine Öffentlichkeit wiederherzustellen, die den Namen verdient, das ist harte Arbeit.
Es ist ein Kampf auf viele Fronten – er richtet sich gegen soziale Medien, die aus Geschäfts-interessen Spaltung befördern ebenso wie gegen Politiker, die Menschen gegeneinander aufhetzen, gegen Regierungen, die Medien unwürdig behandeln und kontrollieren, es ist ein Kampf gegen die Ideologisierung der Sprache.
Es ist aber nicht nur einen Kampf gegen etwas, es ist vor allem ein Kampf für etwas – für die Unabhängigkeit der Medien, für ihre Freiheit, ein Kampf für Wahrheit und für Gerechtigkeit. Es ist ein Kampf für eine streitbares, fruchtbares, ein tolerantes Miteinander.
Und dieser Kampf ist alles andere als verloren. Die jüngsten Ereignisse in Österreich sind dafür ein Beleg. Es ist mutigen österreichischen Medien und Staatsanwälten zu verdanken, dass die Machenschaften einer Gruppe von Politikern aufdeckt wurden, die für die Demokratie eine wahrliche Bedrohung sind.
Wer in unseren Gesellschaften frei sein will, der braucht freie Medien. Der braucht Journalisten wie Gabriel einer war.
Bis heute empfinde ich seinen Tod als großen Verlust.
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