Jeder braucht sie, jeder will sie, aber kaum jemand hat welche: Schutzmasken. Das lukrative Geschäft dahinter – und wie damit spekuliert wird.
Kultur
Ausgeliefert
Aus ff 13 vom Donnerstag, den 26. März 2020
Ich muss zuhause bleiben. Ich weiß, es ist zum Schutz des Lebens, aber es ist trotzdem schwer. Achten wir auf uns. Und auf unsere Rechte.
Der österreichische Schriftsteller Erich Hackl beschreibt in seinem Roman „Am Seil“, wie ein stiller, schüchterner Kunsthandwerker während der Nazizeit in seiner Werkstatt vier Jahre lang zwei Jüdinnen versteckt und sie so vor dem Tod bewahrt. Diese von selbstzerstörerischer Angst geprägten Frauenleben fallen mir jetzt öfter ein, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt.
Sie sind mit unseren Leben nicht vergleichbar. Wir müssen uns nicht ängstigen, dass wir in unseren Wohnungen und Häusern entdeckt und anschließend deportiert und ermordet werden. Wir können uns, wenn wir Hygieneregeln und Distanzvorschrift befolgen, weitestgehend vor einer Ansteckung schützen.
Außerdem haben wir im Gegensatz zu den von den Nazis verfolgten Jüdinnen Fenster, aus denen wir auf die Straße, in den Garten oder in einen Innenhof sehen können, und wir haben über unsere Computer und Telefone Zugang zur Welt außerhalb unserer vier Wände: Auch zu Bildern von Delphinen und Störchen, die jetzt nach Venedig zurückgekehrt sein sollen. Delphine waren aber auch schon 2016 und 2018 vor der Lagune gesichtet worden. Die Hoffnung auf Weltverbesserung in Krisenzeiten stirbt bekanntlich zuletzt.
Dennoch steht außer Frage, dass die Natur aufatmet. Allein in China hat es im Februar, weil viele Fabriken geschlossen waren, 200 Megatonnen Emissionen weniger gegeben. Das Weltklima kann eine Verschnaufpause einlegen, was vielleicht mancherorts ein Umdenken bewirken könnte. Viele Firmen sind plötzlich zu Videokonferenzen gezwungen, weil ihre Mitarbeiter in Quarantäne sitzen und von Zuhause aus arbeiten.
Vielleicht ändern wir da und dort unser Verhalten und überdenken zum Beispiel unsere hohe Mobilität. Realistischerweise ist aber davon auszugehen, dass nach einer Rezession alle Kraft für den Wiederaufbau der Wirtschaft gebündelt wird und die dafür notwendigen Finanzen woanders eingespart werden müssen: wieder beim Klimaschutz.
Seit am 15. März 2020 das „Covid-19-Maßnahmengesetz“ verhängt worden ist, sind auch in Österreich alle Geschäfte und öffentlichen Orte geschlossen, wir dürfen uns aber noch allein oder mit unseren Mitbewohnern im Freien bewegen, einkaufen gehen oder zur Arbeit, sofern die Betriebe noch geöffnet sind. Sollte die Infektionsrate drastisch ansteigen, wird man auch in Österreich eine Ausgangssperre verhängen.
Der Ausnahmezustand macht die Beschneidung der Grundrechte erforderlich. Manche sehen die Demokratie in Gefahr, kritisieren die Regierungsmaßnahmen, fragen sich, wie viel individuelle Freiheit wir aufgeben müssen, um das Leben von älteren und kranken Menschen zu retten. Viele bewerten Corona noch immer als einfache Grippe und wollen nicht hinnehmen, dass man „für die paar sterbenden Alten und Kranken“ – „Koste es, was es wolle“ – die Wirtschaft ruiniert. Die Gegenfrage müsste lauten: Wie viel ist uns ein Menschenleben wert? Beruht vielleicht die Geringschätzung der Alten und Kranken auf der eigenen Zukunftsangst?
In den sozialen Medien scheiden sich die Geister in Quarantäne-Befürworter, die mit Blick auf Italien Angst vor einer massiven Ausbreitung des Virus haben, und in „Corona-Bagatellisierer“, die vor der nächsten Diktatur warnen, wie etwa der italienische Philosoph Giorgio Agamben, der in den politischen Maßnahmen so etwas wie einen Freibrief für -soziale Kontrolle sieht.
Staatsmisstrauen ist immer angebracht, aber eine Pandemie verlangt nach schnellen Entscheidungen zum Schutz der Menschen und die können, wo Gefahr in Verzug ist, nicht länger diskutiert und aufgeschoben werden.
Als Organtransplantierte mit geschwächtem Immunsystem zähle ich wie ältere Menschen mit Vorerkrankungen zu den Gefährdeten und bleibe daher mit kleinen Ausnahmen zuhause. Um den Körper am Laufen zu halten, stehe ich jeden zweiten Tag um 6 Uhr auf, drehe meine Runden im Prater und bin zurück, wenn die anderen aufstehen. Freundinnen und Nachbarn kaufen für mich ein. Mein Apotheker hat mir Atemschutzmasken zukommen lassen, obwohl angeblich keine mehr zu bekommen sind. Mit so viel spontaner Hilfe hatte ich nicht gerechnet.
Solidarität, sagte der deutsche Soziologe Heinz Bude unlängst in einem Radiointerview, sei heute etwas, worauf wir alle angewiesen seien. Und das Virus nehme auf Klassen und privilegierte Positionen keine Rücksicht.
Tatsächlich infizierten sich auch Tom Hanks und Fürst Albert von Monaco an Covid-19, es kann jeden treffen. Aber es macht einen Unterschied, ob man in einem Palais mit Garten in Quarantäne sitzt, in einer Kleinwohnung in einem Hochhaus oder sich in einem Flüchtlingslager befindet. Wer arm ist, hat öfter Vorerkrankungen, hat meist ein schwierigeres Leben hinter und ein ebenso schwieriges vor sich.
Wer arm ist, kann sich nicht in den oberen Stock der Villa verziehen, wenn die „erlaubten“ familiären oder partnerschaftlichen Sozialkontakte unerträglich werden, er hat keinen Stressausgleich, es fehlte schon in „normalen“ Zeiten an Geld für Fitnessstudio und entspannende Wellnessurlaube. Kinder aus prekären Verhältnissen, erfahre ich von Lehrerinnen, teilen sich zuhause auf engstem Raum zu mehreren einen Computer oder verfügen über gar keinen, das vergrößert den ohnehin schon vorhandenen Bildungsabstand.
Uruguay stattete bereits 2009 ausnahmslos alle Volksschulkinder mit robusten Notebooks aus. Österreich, aber offenbar auch anderen europäischen Staaten, ist es bis heute nicht gelungen, die „digitale Kluft“ zwischen Arm und Reich zu schließen. In Coronazeiten sind Kinder ohne Computerzugang schlecht oder gar nicht zu erreichen.
Noch schneller spürbar werden jetzt Versäumnisse und Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen. Die letzte türkis-blaue Regierung hatte die zentrale Gesundheitskoordination, die vor allem in puncto Hygiene, Infektionserkrankungen, Epidemien und Seuchen schnell aktiv werden sollte, aus parteipolitischem Kalkül abgeschafft. Die SPÖ-ÖVP-Regierung davor nahm umfassende Privatisierungen im Gesundheitswesen vor, Betten wurden gestrichen, Spitäler geschlossen.
Derzeit verfügt Österreich über 2.500 Intensivbetten, davon waren Mitte März 80 Prozent besetzt. Im Vergleich dazu hatte das um vieles größere Italien bei Ausbruch der Epidemie 5.300 Intensivbetten. Ob Österreich gut genug auf die Pandemie vorbereitet ist, wird sich zeigen. Die amtierende türkis-grüne Regierung hat mit Blick auf China und Italien schnell reagiert, es ist ihr gelungen, innerhalb von einer Woche die Infektionsrate von 40 auf 20 Prozent zu senken.
Dass der EU-Katastrophenschutz dermaßen versagt hat, ist für mich als überzeugte Europäerin besonders schmerzhaft. Einmal mehr rückt das solidarische Europa, das Gemeinschaftsdenken, an dem ich trotz allem festhalte, in den Hintergrund. Jeder Staat verfolgt seine eigene Strategie, die Schengen-Grenzen sind wieder dicht, als würden Viren vor Schlagbäumen und Grenzzäunen Halt machen.
In Italien kam Hilfe erst gar nicht, dann zögerlich aus Deutschland; jetzt ist es ausgerechnet China, das mit medizinischem Material und Ärzteteams aushilft. Das wird den Nationalisten möglicherweise Auftrieb geben, weil sie sich in ihrer EU-Feindlichkeit bestätigt sehen.
Die Demokratie, unser höchstes Gut, lässt sich schwer mit drakonischen Maßnahmen in Einklang bringen. Maßnahmen wie totale Überwachung der Personen in Quarantäne, Gesundheitschecks an den Grenzen, flächendeckende Tests und Isolation wie sie in Taiwan ergriffen wurden, hätten in zahlreichen europäischen Ländern einen Aufstand zur Folge gehabt. Das Zögern der europäischen Staaten, frühzeitig, das heißt schon im Februar drastisch einzugreifen, ist auch ein historisch bedingtes. Nie wieder Faschismus – so unsere Devise, nie wieder sollen Menschen wie die beiden jüdischen Frauen in Erich Hackls Roman einer Staatsmacht ausgeliefert sein.
Doch genau das passiert nun, wir sind den Staaten und ihren Maßnahmen ausgeliefert, aber dieses Mal zum Schutz unser aller Leben. Das ist schwer auszuhalten und ökonomisch für viele von uns desaströs.
Es liegt an uns, diese Anpassung, die freiheitsfeindliche Haltung, nach ausgestandener Pandemie schnell wieder abzulegen und auf die Grundrechte zu beharren, aber auch dafür zu kämpfen, dass wir die Lücken im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem schließen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Bleiben Sie gesund!
von Sabine Gruber
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