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Leben
Unikat „Gerri“
Aus ff 48 vom Mittwoch, den 30. November 2016
Zierlich, charmant, temperamentvoll: Das ist „Gerri“ Gerlinde Gross. Die Chefin des Meraner Restaurants „Trauti“. Des Lokals, das die Promis lieben – auch oder gerade weil es ohne Stern auskommt.
Gratinierte Jakobsmuscheln. Frische rohe Scampi. Sashimi vom norwegischen Wildlachs mit Avocados. Roher Tunfisch mit Wasabi, Soja, Ingwer. Gebratene Gänseleber, karamellisierte Apfelscheiben, Selleriepüree … Fertig.“ – 17 Gerichte sind es an diesem Abend, die Gerri aus dem Stegreif ihren Gästen präsentiert. Charmant, mit einem Hauch Poesie. Es sind all die Antipasti und anderen Speisen, die nicht auf der Karte stehen. Gerris Auftritt am Tisch – jeden Abend ein Highlight: Sie trägt fingerlose Chanel-Handschuhe, üppiges Fell an den Armen, kuscheliges Fell am Saum ihrer Jeans. Ihre Menüpräsentation klingt wie ein Gedicht, abgerundet wird es mit ihrem mittlerweile legendä-ren Abschlusswort: Fertig.
„Wie ich mir das alles merke? Ich visualisiere“, sagt Gerlinde Gross. So heißt Gerri mit richtigem Namen. „Das habe ich bereits an der Hotelfachschule so praktiziert. Habe alles so erzählt, wie ich es mir aufgeschrieben habe, immer schön von oben nach unten. Als die Lehrer meinten, ich solle endlich zum Punkt kommen, meinte ich: Warten Sie doch, ich komme schon noch dazu.“
Wir befinden uns im Restaurant Trautmannsdorf, besser bekannt unter dem Namen „Trauti“. Es liegt hoch über Meran, etwas versteckt neben den Botanischen Gärten. „Trauti“ ist eine Institution, seit 23 Jahren. Gegründet haben es Gerri, ihr Ehemann Albert Gross und dessen Bruder Hans. Heute wird es vom britischen Kultmagazin Monocle als eines der besten Restaurants des Landes angeführt. Die Sänger Zucchero und Vasco Rossi waren genauso da wie Flavio Briatore, Prinzessin Caroline von Monaco, Thomas Gottschalk, der mittlerweile verstorbene Playboy Gunther Sachs oder die Topmodels Linda Evangelista und Naomi Campbell. Sie kommen der unverfälschten Küche wegen. Einer Küche, die ohne Saucen und Schnickschnack auskommt und von hochwertigen Zutaten lebt, die jeden Tag frisch eingekauft werden – von Albert, dem Chef, höchstpersönlich. All diese Gäste aber kommen auch Gerris wegen. Dieser lebensfrohen Frau, die sich an all die Vorlieben ihrer Gäste erinnert, und die jeden Gast gleich behandelt – ganze egal, ob Landwirt, Manager oder Promisternchen.
Gerri ist die Älteste von vier Geschwistern, sie stammt aus Völlan. Ihre Eltern führen dort die Metzgerei Huber, eine alteingesessene Metzgerei mitten im Dorf. Ihr Opa, der den Turmwirt in Völlan führte, war ihr Held. Bei ihm hat sie ihre Kindheit verbracht, er war es auch, der sie animiert hat, die Hotelfachschule zu besuchen. Eine Entscheidung, die sie bis heute nie bereut hat. Bereut hat sie nur eines: es nie ins Ausland geschafft zu haben. „Eine Schulkollegin und ich hatten die Möglichkeit, im Hotel Riz in Paris ein Praktikum zu absolvieren. Aber Paris war für meine Eltern unvorstellbar, eine Weltreise“, erzählt die 54-Jährige.
Und so ging sie nicht in Paris, sondern in Gröden in die Lehre – im Hotel Monte Pana in St. Cristina, damals ein Refugium der Reichen und Schönen. Sophia Loren war genauso Gast wie Giulio Andreotti. Für Gerri war es eine andere Welt. Heute spricht sie von einer „harten, aber guten Schule“. Silber putzen, Fenster putzen, Gläser spülen, Pfannen spülen, mehr durfte sie damals nicht machen.
Ihr wahrer Lehrmeister war dann aber ein anderer: Sepp Waldner vom Romantik Hotel Oberwirt in Marling. Er hat sie gefördert, und vor allem auch gefordert. Gerri erzählt: „Als ich meinen ersten Lohn abholte, saß ich aufgeregt im Dirndl in seinem Büro. Später bemerkte ich, dass 10.000 Lire fehlten. Auch beim zweiten Mal fehlte dieselbe Summe. Beim dritten Mal dann stellte ich ihn zur Rede. Seine Antwort: ’Gerlinde, ich hätte dich klüger eingeschätzt, ich dachte, du kommst sofort zu mir. Merk dir eines: Vertraue niemandem. Zähle vor jedem Gast und jedem Chef immer sofort dein Geld’.“
Eine Lektion, die ihr in ihrer Selbstständigkeit zugute kommen sollte. Mit ihrem Mann Albert, den sie seit 35 Jahren kennt und mit dem sie seit 20 Jahren verheiratet ist, wagte sie mehrere Abenteuer. Immer mit dabei der mittlerweile verstorbene Schwager Hans und „Fischi“, also Ingrid Fischnaller, eine gemeinsame Freundin. Zuerst übernahmen sie den Felberwirt auf der Töll. Zu essen gab es Wiener Schnitzel, Rahmschnitzel und Zwiebelrostbraten. Geld hatten sie kaum. Auf dem Meraner Freitagsmarkt erwarben sie Stoffe, um daraus Tischdecken zu nähen. „Geliefert haben wir alles mit meinem weißen Alfa Spider, sogar Christbäume haben wir damit transportiert“, sagt Gerri.
Im Laufe des Gesprächs kommt Gerri immer wieder von ihrem Schwager Hans zu sprechen, einem begnadeten Koch, der jeden Urlaub dazu nutzte, seine Kochkünste zu verfeinern, und der beim weltbekannten Sternekoch Marc Meneau in Frankreich in die Lehre gegangen war. „Am Ende war er einer der Ersten im Land, der Hummer mit Vanillesauce kombinierte“, so Gerri. Dann der große Schicksalsschlag: Nur drei Monate nach der Eröffnung des „Trauti“ stürzte Hans mit dem Bozner Unternehmer Harold Turker und dem Klassekoch Giancarlo Godio bei einem Flugzeugabsturz in der Provinz Vicenza in den Tod. Das war im März 1994.
Albert und Gerri mussten alleine weitermachen. Sie steckten ihre ganze Leidenschaft und ihren ganzen Einsatz in das „Trauti“. Das Lokal, das ursprünglich als Bar mit roten Sofas konzipiert war, avancierte zum Inlokal. Dann kamen die strengen Alkoholkontrollen, das Rauchverbot. „Statt der Bar haben wir angefangen, die Küche in den Vordergrund zu stellen“, sagt Gerri. Eine Küche, die sich nicht von Trends und Hypes treiben lässt und die selbst den Meraner Schönheitspapst Henri Chenot überzeugt. Die Rechnung ging auf. Viele der prominenten Gäste kamen dank der Empfehlung Chenots ins „Trauti“.
Einen Promi-Gast aber hat sich Gerri selbst geangelt: die italienische Rocksängerin Gianna Nannini. Seit jungen Jahren schon ist Gerri ihr ganz großer Fan, heute ist sie eine enge Freundin der Sängerin.
Es war vor 20 Jahren, kurz vor Weihnachten. Gerri war mit einer Freundin in Mailand, als sie in einem Schmuckgeschäft Giannas Stimme vermutet. Sie entdeckt sie vor dem Geschäft, stürmt raus und fragt sie, so direkt, wie sie ist, ob sie nicht Lust auf einen Drink hätte. Gianna, deren roter Audi im Halteverbot steht, antwortet prompt: „Se mi pagi la multa.“ Wenige Minuten später sitzen die beiden in einer Bar, trinken Wein von Giannas eigenem Weingut. Gerri wird erneut direkt, fragt, wie viele Kartone ihres Weines sie bestellen muss, damit die Rocksängerin ins „Trauti“ kommt. Die zwei Frauen kommen ins Geschäft. Gerri ordert – zum Entsetzen ihres Mannes – palettenweise Wein. Und Nannini kommt ins „Trauti“.
„Es war der einzige Abend in 23 Jahren, an dem ich mich mal bedienen ließ“, sagt Gerri. An jenem Abend lässt sich die Gastwirtin sogar dazu hinreißen, drei Nannini-Songs im Playback zu performen. Ab dem zweiten Lied singt Gianna mit, geht für Gerri auf die Knie und bittet sie um ein Autogramm. Seitdem, so erzählt Gerri, seien sie enge Freundinnen.
Es ist wohl Gerris unverblümte, direkte und gleichzeitig feine Art, die auch Gianna Nannini fasziniert hat. Doch ein Leben im Gastgewerbe geht an die Substanz. Vor einigen Jahren musste die 54-Jährige ihr Leben völlig umkrempeln. „So hätte ich nicht weitermachen können“, sagt sie. „Jahrzehntelang gab es für mich nichts als Arbeiten und Schlafen. Ich bin erst in den Morgenstunden nach Hause, habe bis 12 geschlafen und keinen Sport betrieben.“ Heute sitzt sie, ganz egal, wie spät es nachts wird, um 9 Uhr beim Frühstück, trinkt ihren Aloe-Vera-Saft, isst ihr Obst, danach geht’s zum Golfen. Sechs Wochen im Jahr ist sie auf Diät. Dann gibt’s keine Kohlenhydrate, nichts Süßes, kein Öl und vor allem keinen Alkohol.
Einigen Gastrokritikern zufolge würde es das „Trauti“ locker in die Michelinriege schaffen. Doch Gerri ist bis heute nichts darum. „Erst jüngst fragte ein Gastrokritiker, warum wir nicht scharf auf einen Stern seien? Da meinte ich: Wir haben doch bereits einen Stern: mich.“
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Gerri, 54, heißt mit richtigem Namen Gerlinde Gross. Seit 23 Jahren führt sie zusammen mit ihrem Mann Albert das Restaurant Trautmannsdorf in Meran. Viele Promis, von Zucchero bis hin zu Naomi Campbell, waren bereits Gast im „Trauti“. Ihren ersten Kontakt zu Promis hatte Gerri mit 14. Damals machte sie im Hotel Monte Pana in Gröden ihr erstes Praktikum. Als ihren wahren Lehrmeister bezeichnet sie Sepp Waldner vom Oberwirt in Marling. Mit ihrem Ehemann Albert und dessen Bruder Hans führte sie mehrere eigene Lokale. Schwager Hans verlor nur drei Monate nach Eröffnung des Trauti bei einem Flugzeugabsturz sein Leben.
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