Wie die Regierung Kompatscher die Spitzenbeamten mit noch mehr Geld und Macht ausstattet. Titelgeschichte in ff 21/17
Leben
Ein Mann und seine Marke
Aus ff 23 vom Donnerstag, den 08. Juni 2017
Seit 15 Jahren lebt Markus Mutschlechner in Mailand. Wer den gelernten Konditor dort begleitet, erfährt, dass es in der italienischen Wirtschaftsmetropole nicht nur darum geht, zu arbeiten. Es geht auch darum, frei zu sein.
Der Corso Buenos Aires in Mailand, gelegen zwischen Porta Venezia und Piazzale Loreto, ist eine der teuersten und längsten Einkaufsstraßen Europas – so teuer, dass man schon mal 250.000 Euro zahlen muss, nur um dann für ein Geschäftslokal monatlich Miete zahlen zu dürfen.
Auf der über zwei Kilometer langen Strecke stapfen die Leute bei jedem Wetter an den Schaufenstern der über 350 Läden vorbei, an exklusiven Modeboutiquen ebenso wie an kleineren und günstigeren Labels. Die einen haben eine Kreditkarte und
shoppen wirklich, die anderen dürfen ihnen dabei zuschauen.
Es ist kurz nach halb sieben an einem Mittwochabend Anfang Mai, als dieses überwältigende Durcheinander hetzender Menschen, hupender Motorräder und mondänen Flairs durchbrochen wird von einer Stimme in hartem Südtiroler Dialekt. Ganz ruhig steht Markus Mutschlechner da, vor seinem Geschäft im Corso Buenos Aires, und würde am liebsten schon in den ersten fünf Minuten sein ganzes Leben erzählen. Er redet so schnell, wie die Mailänder vor Aktionismus vibrieren. Man merkt: Diese Stadt und ihre Menschen sind frenetisch, immer in Eile. Entweder man kann mithalten – oder man wird überholt.
Neben Markus Mutschlechner steht Stefano Simonetto, Mailänder, Mutschlechners Geschäftspartner und ehemaliger Lebenspartner. Auch er redet so schnell und so viel, als sei er schon wieder auf dem Sprung. Die Mailänder, sagt er, lieben Südtirol. Sie lieben die Landschaft, die Produkte. Vor allem aber lieben sie den „strudel di mele“.
Der Apfelstrudel ist schuld daran, dass wir alle gemeinsam auf dem Corso stehen und über „Delicatessen“ reden. Früher, vor über 15 Jahren, fuhr Stefano gerne nach Südtirol zum Urlauben, zum Skifahren auf die Plose und zum Strudel-Kaufen in die Bäckerei Mutschlechner in Brixen. Und dort, in der Bäckerei von Markus’ Eltern, liefen sich die beiden über den Weg, freundeten sich an, und dann fuhr der Brixner immer öfter mal an den Wochenenden nach Mailand. – „Warum tun wir uns nicht zusammen?“, fragte
Stefano. „Lass uns Südtirol nach Mailand bringen!“ –
Und so kam es dann auch. Mutschlechner macht und verkauft heute in der italienischen Wirtschaftsmetropole Apfelstrudel, Schüttelbrot, Brezeln, Focaccia Tirolese, Kuchen und Kekse. Seine Ladenkette heißt „Delicatessen“. Nach nahezu 15 Jahren in einer Branche, die es vor ihm in Mailand gar nicht gab, ist der 44-Jährige heute Inhaber von drei „Delicatessen“-Läden und zwei Restaurants. Aus dem gelernten Konditor ist ein geschäftstüchtiger Unternehmer geworden.
Mailand ist eine Welt, die sich der Mensch für seine Arbeitszwecke geschaffen hat. „Milano da il pane“ – Mailand gibt Brot, heißt es hier. Bei Markus Mutschlechner scheint der Spruch gleich im doppelten Sinne des Wortes zuzutreffen.
Sich fast zwei Tage lang begleiten zu lassen und stundenlange Gespräche im Laden, im Restaurant und auf der Straße zuzulassen, ist für jemanden in seiner Position keine Selbstverständlichkeit. Eine Selbstverständlichkeit sind Termine und Telefonate ohne Ende. Mutschlechner arbeitet 14, auch mal 16 Stunden oder mehr am Tag. Das Handy ist immer an, jeden Moment kann ein Kunde oder ein Mitarbeiter anrufen, und dann muss er reagieren. Er kennt kein Wochenende, keinen freien Tag. Er hat trotzdem Zeit. Das liegt an seinem Naturell, das das eines Arbeiters ist, eines Rastlosen, der forschen und erlernen will. Er sagt: „Wichtig im Leben ist, dass man etwas macht, das man gerne macht. Dann empfindet man es auch nicht als Arbeit.“
Markus Mutschlechner arbeitet nicht so viel, weil ihm Geld so wichtig wäre. Arbeiten gefällt ihm, er kennt es nicht anders. Wenn er nichts zu tun hat, ist ihm langweilig. Um zu verstehen, woher er diese Ausdauer und Energie nimmt, muss man nach Brixen, wo er geboren wurde und aufwuchs.
Mutschlechner ist in der Backstube seiner Eltern aufgewachsen, begründet hatte die Bäckerei seine Großmutter. Wie ein guter Teig durftet, wie er sich anfühlt, wusste er schon als Kind. Er erlebte, dass das tägliche Brot ein Knochenjob ist. Seine Eltern hatten eine Sechseinhalbtagewoche, viel Zeit für das Familienleben blieb nicht. Es gab keinen Urlaub mit den vier Söhnen (Markus ist der dritte), keine Wochenendausflüge – und dennoch: Markus erzählt, dass er sich von klein auf in der Backstube wohl gefühlt hat. Für ihn war es immer klar, dass er auch diesen Beruf erlernen würde. Na ja, vielleicht nicht unbedingt Bäcker, aber Konditor.
Seine Ausbildung hat er in so unterschiedlichen Orten und Konditoreien wie dem Café Monika in Bozen absolviert, oder bei seinem Onkel, der auch Bäcker ist, in Bruneck, er hat die Meisterschule in Deutschland besucht, in Konditoreien in Modena, Köln, Düsseldorf, Hamburg oder am Tegernsee gearbeitet. Das Leben in der Großstadt, erzählt er, habe ihm immer schon gut gefallen. Eine Stadt wie Mailand biete Vielfalt – und Freiheit. In Südtirol war es ihm irgendwann zu kleinkariert.
Markus Mutschlechner sitzt in seinem Geschäft am Corso Buenos Aires, er trägt Hemd und Jackett. Einen Tag später sagt er, dass er eigentlich lieber Jeans und T-Shirt statt Designerklamotten trägt. Er lacht und fügt hinzu: „Völlig unpassend für jemanden, der in der Modestadt Mailand lebt.“ Understatement ist die Haltung des Brixners, und das nicht nur bei der Kleidung. Er erzählt seine Geschichte, als sei es das Normalste der Welt, wenn man in Mailands besten Lagen drei Geschäfte und zwei Restaurants eröffnet.
In den Regalen bei „Delicatessen“ findet man ausschließlich Südtiroler Produkte, zum Beispiel Fruchtaufstriche und Sirupe der Pusterer Manufaktur „Alpe Pragas“, der Speck und viele andere Wurstsachen kommen vom Viumser Metzger, mit den Weinen beliefert sie das Meraner Weinhaus und – das Herzstück der Geschäfte sind freilich die Mutschlechner-Backwaren.
Zwei- bis dreimal in der Woche kommt ein Lieferwagen von Brixen nach Mailand, voll mit Brot, Trockengebäck, Keksen, Linzer Schnitten, Schwarzwälderkirsch – und natürlich Apfelstrudel. Gebacken wird all das von Markus’ älterem Bruder, der mittlerweile die Familienbäckerei führt. Der Strudel wird in Mailand fertig gebacken, auch Torten und anderes frisches Gebäck werden hier fertig produziert, zur Gänze hergestellt wird in Brixen lediglich das Trockengebäck.
Den Mailändern Südtirol in all seinen Geschmacksnoten näherbringen, so lautet das Ziel. Und weil die Mailänder Menschen sind, die die Welt sehr gut kennen, offen für Neues sind, erfordert so ein Unternehmen Präzision und Raffinesse. „Die Mailänder wollen immer eine Marke“, sagt Markus Mutschlechner. „Das ist mir das Wichtigste – eine Marke, ein elegantes Produkt, eine schöne Verpackung.“ Das Leben in Mailand ist teuer. Aber der Mailänder knausert nicht. „Wenn er zufrieden ist und es ihm gefällt, ist er sehr großzügig.“
Die Mailänder Eigenarten lernte Mutschlechner gleich mit seinem ersten Laden kennen. Gleich hinter dem Mailänder Dom, an der Piazza Santa Maria Beltrade, eröffneten sie ihn 2003. Das Viertel nennt man auch „Bene Milano“, hier leben die gut betuchten Mailänder, viele von ihnen haben eine Ferienwohnung in Südtirol. „Die meisten unserer Kunden wissen, wie Südtirol schmeckt. Denen kann man nicht irgendwas anbieten.“
Drei Jahre später machte das Duo den zweiten Laden im Süden von Mailand auf, weitere vier Jahre später folgte Laden Nummer 3 – am Corso Buenos Aires. Im selben Jahr eröffneten sie auch ihr erstes Restaurant „Delicatessen“, vor knapp drei Jahren folgte Restaurant Nummer 2, das „Rifugio“. Dieses führt er mit seinem neuen Lebenspartner, dem Mailänder Robert Chendler. Markus Mutschlechner lacht, wenn er von all dem erzählt, sagt, es sei freilich nicht immer alles ganz einfach, Ex-Freund, aktueller Freund, die Geschäfte, irgendwie sind alle und alles miteinander verbandelt, „ab und zu kracht es auch mal“. „Meine Arbeit“, sagt Mutschlechner, „ist meine Familie. Auch die Mitarbeiter gehören dazu.“ Die Familie ist im Laufe der Jahre gewachsen, heute steht Mutschlechner rund 50 Mitarbeitern vor, beharrlich hat er seine ganz eigene Marke aufgebaut.
Mutschlechner ist ein lockerer, bescheidener Typ, wenig talentiert zum Selbstlob. Man spürt aber seinen Stolz, wenn er einen in seiner Welt herumführt. Man spürt, mit welcher Hingabe er sein Unternehmen führt, schon beim ersten Schritt in einen seiner Läden – und noch viel mehr in seinen Restaurants. Vor allem, weil diese so total verschieden sind.
Am Abend in der Viale Tunisia 14: Es gibt Erdbeerrisotto, Speckknödel, Südtiroler Rindfleisch eingebettet in duftendes Südtiroler Heu, Kaiserschmarrn – die Speisekarte im „Delicatessen“ ist reich. Gedämpftes Licht, gemütliche Atmosphäre, viel Holz, es gibt einen urigen Keller voll mit Südtiroler Weinen und einen Raum, in dem von der Decke Tausende von Getreideähren herunterhängen. Es ist eine elegant-tirolerische Stimmung, die den Besucher hier umfängt. Die Zeit wird jetzt unwichtig.
„So eine Stadt“, sagt Mutschlechner, „gibt einem viel, aber sie nimmt auch viel. Es herrscht immer Stress, man ist ständig unterwegs. Das gefällt nicht jedem.“ – Ob er glücklich ist? Er muss lachen. „Ja“, sagt er, „ich bin es, ich bin glücklich, ich kann machen, was ich möchte, das ist ein großes Glück. Ich habe die Arbeit, die ich wollte, ich lebe meinen Traum“.
Markus Mutschlechner will sich selbst stets verbessern, er ist neugierig und steckt voller Ideen. Immer, wenn ihm langweilig wird, probiert er etwas Neues aus. Seit einiger Zeit bietet er auch einen Catering-Service an, unter anderem für das österreichische Konsulat. Der Aufwand ist enorm, alles muss reibungslos ablaufen. Markus Mutschlechner packt überall selbst mit an, irgendetwas ist immer zu reparieren. Er ist sich nicht zu schade, sich schmutzig zu machen. Oft kann er Arbeit auch schlichtweg nicht abgeben. Er sagt: „Ich will immer alles alleine machen, kann nie Nein sagen. Das ist sicher eine Schwäche von mir.“
Bald will Markus Mutschlechner ein weiteres Projekt angehen: in Südtirol einen Bauernhof kaufen. Dort soll das produziert werden, was in Mailand wieder verkauft wird. Mit dem Erlös will er ein Projekt in Mailand unterstützen, das jungen Italienern und Ausländern, deren Leben aus der Spur geraten ist, auf die Beine hilft. Auf dem Hof können sie einige Monate leben, arbeiten und auch eine Kleinigkeit verdienen.
Wenn Markus Mutschlechner davon erzählt, dann lacht und leuchtet sein Gesicht, begeistert von den Dingen, die noch passieren werden. Mailand hin oder her, man spürt: Ganz ohne Südtirol geht es dann doch nicht. n
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