Frust, Machtkämpfe und Rücktritte: Im Südtiroler Alpenverein gibt es eine noch nie dagewesene Führungskrise. Die Hintergründe.
Leben
Liebst du mich? Liebe mich!
Aus ff 50 vom Donnerstag, den 12. Dezember 2019
Anger sind die beste Newcomer-Band Österreichs. Die Brixner Nora Pider und Julian Angerer möchten an der Spitze der Charts – und auch privat ein Paar bleiben.
Der Keller ist klein. Geduckt. Dunkel. DieLeute kaum auszumachen in dem Kellergewölbe, das normalerweise eine beliebte Party-Location unter den Bögen in Innsbruck ist.
Es ist ein Donnerstagabend Mitte Oktober. An die 50 Menschen drängen sich vor der kleinen Bühne. Auf der Bühne, in Neonlicht getaucht, Nora Pider und Julian Angerer, beide 31, bilden sie das Popduo Anger.
Kurz nach 23 Uhr beginnt ihr Auftritt. Sie sind die Hauptband des Abends, drei Bands waren vor ihnen schon dran. Was man als Erstes sieht: ihren vollen Körpereinsatz. Das Konzert findet im Rahmen der UpLoadonTour statt, einer Initiative der Europaregion, um junge, aufstrebende Bands zu fördern und ihnen im Idealfall zum Einstieg in die Musikszene zu verhelfen.
Anger sind nicht neu in der Szene. Sie haben ein bewegtes Jahr hinter sich. Das erste Album, „Heart/Break“ – sechs Monate haben sie dafür jeden Tag im Studio verbracht. Mit „Baby“ stürmten sie im Sommer die Charts des österreichischen Alternativradiosenders FM4 – der im Schnitt 200.000 Hörer erreicht.
Ihre Leidenschaft ist ihre Arbeit. Sie leben vom Singen.
Anger gibt es seit 2017. „Ziehen wir es endlich durch, haben wir gesagt“, erzählt Julian Angerer am nächsten Morgen beim Frühstück. Sie schauen müde und zufrieden aus, die Augen hinter großen Sonnenbrillen versteckt.
Es läuft. Sie haben es durchgezogen. Ihr Album kommt an beim Publikum. Und Anger wurden als beste „Newcomerband“ ausgezeichnet. Dafür gibt es Anerkennung, ein Preisgeld und Auftritte in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll? Harte Arbeit, sagen sie.
„Man glaubt immer, eine Band kommt, spielt und haut wieder ab, aber da gehört viel mehr dazu“, sagt Nora Pider. Ein Popduo sei wie ein Unternehmen. Beim Sprechen wechseln sie sich ab. Wenn der eine redet, nickt die andere. Sie sind ein eingespieltes Team – auch privat. Zwischen Gipfele und Kaffee einigen sie sich darauf, dass sie schon seit acht Jahren ein Paar sind. Mit Anfang zwanzig wurde aus Sandkastenfeinden ein Liebespaar, wie es Nora Pider beschreibt. Sie kennen sich schon seit der Kindheit, anfangs konnten sie sich nicht gleich riechen. Julian Angerer sagt: „Es gab schon mehr Leute in Brixen als Nora, aber für mich halt nicht“.
Und jetzt sind sie zusammen erfolgreich, „Es ist eigentlich ein Wahnsinn“, sagen sie.
Es beginnt um sieben Uhr morgens, Popsänger stehen heute früh auf und schalten als Erstes ihr Mobiltelefon ein. Dann haben sie zwei Möglichkeiten: entweder den ganzen Vormittag vor dem Computer sitzen, E-Mails beantworten, die Social-Media-Kanäle pflegen und Auftritte organisieren. Oder ins Studio zu gehen und den „Wahnsinn“ auf Nachmittag zu verschieben. Den „Wahnsinn“ in Grenzen zu halten, helfen die zwei Agenturen, die Anger betreuen, und ihr Musiklabel, bei dem auch das neue Album erschienen ist. An den 10 Songs für das Album haben sie von Februar bis Juni jeden Tag im „Studio“ gearbeitet, zum Beispiel im Ferienhaus eines Freundes bei Meransen.
Was dort entstanden ist, klingt ein wenig nach Bilderbuch, der österreichischen Band der Stunde. Von der Nichtmusikkritiker sagen, dass sie die zeitgenössische österreichische Popmusik geprägt habe, das erste Mal wieder seit Falco, der tragischen Figur der österreichischen Unterhaltungsmusik.
Wie bei Bilderbuch arbeiten auch Anger viel mit elektronischen Elementen, verzerrten Stimmen, Texten, die wie selbstverständlich zwischen Deutsch und Englisch wechseln. Und bei Anger zwischen Deutsch, Englisch und Italienisch.
Wie das klingt, kann man gut am Song „Miami“ nachvollziehen, den Sängerin Nora Pider beim Auftritt in Innsbruck ins Mikro haucht – er hat es ebenfalls in die Top 10 der FM4-Charts geschafft. Miami ist hier nicht nur eine Stadt an der Südspitze Floridas. Aus Miami wird „Mi ami“, ein eingängiger Refrain: „Liebst du mich? Liebe mich“.
Es geht um Herzschmerz, Sehnsucht, Trennung und Liebe. Die Lieder klingen durchwegs melancholisch, zum Teil traurig und verträumt. „Heart/Break“ eben, das Herz und die Brüche. Julian Angerer (seine Schwester ist die Künstlerin Ali Paloma) und Nora Pider (machte auch zusammen mit Anna Heiss, der Leiterin der Dekadenz, Theater) haben Lust zu experimentieren, die Mittel, über die sie verfügen, sind breit. Angerer hat erst letztes Semester sein Studium in elektroakustischer Komposition beendet. Mit acht Jahren hat er Gitarre zu spielen begonnen, später auch Klavier. Wenn irgendwo ein Instrument herumsteht, muss er darauf spielen. Er sagt: „Mein Ziel war von Anfang an, von der Musik leben zu können.“
Nora Pider kam über Julian zur Musik, mit 18 fragt er sie, ob sie in seiner Band mitspielen will – einsteigen wollte sie trotzdem nicht gleich. Jetzt will sie sich ganz auf die Musik konzentrieren, obwohl sie Tanzschauspiel studiert hat. Musik machen hält sie für unmittelbarer und authentischer als Schauspielen. Zeitlich würde es sich aber auch nicht mehr ausgehen, beides zu machen.
Sie macht jetzt Pop, nur mehr Musik, „wir machen Pop“ – das ist die Sprachregelung, auf die sie sich geeinigt haben. So einfach? Es wird eigenwilliger, wenn sie von ihren Ideen und ihrem Musikverständnis erzählen. Eigenwilligkeit, die auch in der Kleidung zum Ausdruck kommt, gehört ja zum Markenkern der Popmusik. Wer vorwärts kommen will, muss auffallen.
Wie ist es, als Paar zusammen zu arbeiten? Beide arbeiten unabhängig voneinander an Texten und Ideen, dann setzen sie sich zusammen und entwickeln sie weiter – oder werfen sie weg. Da kracht es auch schon mal. Es geht auf“, erzählen sie, „wir sind laut aufbrausend, emotional.“ Danach können sie miteinander reden, dann werden Argumente ausgetauscht.
Nach Wien kamen sie wegen des Studiums. Sie blieben, weil es hier viele Freiräume und eine lebendige Szene gibt – sie gehören dazu. Wien ist eine Pop-Hauptstadt im deutschsprachigen Raum. Hier haben sie Wurzeln, und in Südtirol auch. Dort werden sich die alten Freunde am Tag vor Weihnachten, am 23. Dezember, bei ihrem Auftritt im „Max“ in Brixen versammeln.
Wenn sie in der Arbeit unterzugehen drohen, das Gefühl haben, sich zu verlieren, nehmen sie sich bewusst eine Auszeit. Dann bleibt das Handy aus, dann machen sie etwas „Spießiges“ – spazieren gehen etwa. Oder Bouldern. Beim Bouldern klettert man ohne Seil und Sicherung in Absprunghöhe. Das befreit den Kopf – kein Handy, nur den Weg vor sich, ein klares Ziel, verschiedene Schwierigkeitsgrade. Um sie zu meistern, muss man an die eigenen Grenzen und über sie hinausgehen. Wenn eine Route geschafft ist, wartet die nächste Herausforderung, wie im Musikbusiness.
Im Moment können sie das erste Mal in ihrem Leben von der Musik leben. Es soll so bleiben. Sie setzen alles auf eine Karte. Einen Plan B haben sie im Moment nicht. „Am Ende“, sagt Julian Angerer, „geht es doch darum, glücklich zu sein.“
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Die Band
Anger, das Duo aus Nora Pider und Julian Angerer aus Brixen, gibt es seit 2017. Genauso lange haben sie an ihrem Sound und ihrer aktuellen Musik gebastelt. Das aktuelle Album trägt den Namen „Heart/Break“ – aufgenommen in der Zeit von Februar bis Juni 2019. Der Song Baby aus dem Album war wochenlang auf Platz 1 der FM4-Hitliste. Heuer gewannen Anger zudem den Preis als beste Newcomerband Österreichs. Julian Angerer und Nora Pider schreiben, singen und performen die Songs zusammen und sind auch privat ein Paar.
Beim aktuellen Album war zum ersten Mal auch der Produzent – der junge Oberösterreicher Jakob Herber – in den Songwirtingprozess eingebunden.
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