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Leben
Ein besonderer Ort für eine besondere Zeit
Aus ff 19 vom Donnerstag, den 07. Mai 2020
Der Tod hat sich durch Corona in unser aller Leben geschlichen. Was liegt da näher als ein Spaziergang auf dem Friedhof?
Die achte Woche hintereinander eine Corona-Kolumne? Ist das nicht langsam zu viel? Was soll ich schreiben über das Thema, über das an dieser Stelle schon so vieles geschrieben wurde? Und doch: Der Tod beispielsweise war in unserer Gesellschaft schon lange nicht mehr so gegenwärtig wie in den vergangenen Wochen. Trotzdem ist er eigenartigerweise wenig thematisiert worden. Natürlich, es wurde viel über die Zahl der Toten geredet, wir waren regelrecht hypnotisiert von abstrakten Zahlen, Diagrammen und Statistiken: wie viele Infizierte, wie viele Tote. Ein Riesenzähler tickte über unseren Köpfen. Ein unheimliches Gefühl.
Was liegt da näher, als ein Spaziergang auf dem Friedhof? Ich war in diesen Wochen nahezu täglich auf unserem Dorffriedhof. Ein kurzer Spaziergang an der frischen Luft in unmittelbarer und regulärer Nähe, warum auch nicht? Im Grunde war es mein kleiner Sohn, der mich regelrecht dorthin verschleppte. Auf einem Friedhof gibt es viele Kerzen, viel Erde und viele Steine, ja, sogar einen Brunnen samt Gießkannen: mehr braucht ein Kleinkind nicht, um sich fröhlich die Zeit zu vertreiben.
Ganz ehrlich: Was hätten Sie noch vor ein paar Wochen über eine Person gedacht, die längere Zeit auf einem Friedhof unterwegs ist? Wahrscheinlich, dass da jemand ein bisschen morbide veranlagt sein müsse. Denn wer außer Schwermütige verbringt schon gerne seine freie Zeit an einem Ort, wo behauener Stein und Kerzenlicht daran erinnern, wie kurz so ein Menschenleben sein kann?
Die Coronakrise scheint den Blick auf Friedhöfe gewandelt zu haben. Irgendwie entwickelt sich der Ort zu einer kleinen Naherholungszone. Anderthalb bis zwei Meter Abstand einzuhalten ist hier kein Problem: die Gräber kann man ganz praktisch als Abstandhalter benutzen. Man kann sich gut aus dem Weg gehen und trotzdem für einen kurzen Plausch über die Gräber hinweg stehen bleiben.
Je öfter mein Sohn und ich also zwischen den Grabsteinen umher wandeln und die flackernden Grablichter bestaunen und inspizieren, desto mehr verwandeln sich die abstrakten -Coronazahlen der täglichen Nachrichten in konkrete Gesichter und Geschichten des Dorfes. Mir wird an diesem besonderen Ort in dieser besonderen Zeit in doppelter Weise bewusst, dass das Leben endlich ist. Die Frage ist: Was bedeutet das für mein Leben jetzt?
Der Tod hat sich durch Corona in unser aller Leben geschlichen. Wir versperren die Türen, damit er uns nicht ereilt. Aber wir können ihn nicht wegsperren, nicht mehr. Dafür hat er zu oft zugeschlagen und wird es auch weiterhin noch tun. Dieses Virus, ja, der Tod, ist ein Spiegel, im dem der Sinn des Lebens reflektiert wird. Es bringt Gefühle und Gedanken zum Vorschein, die wir sonst vielleicht gut in uns versteckt gehalten haben. Wofür werden wir uns auf Dauer entscheiden? Intensiver zu leben, auf die Gefahr hin, durch ein Übermaß an Geselligkeit zu sterben. Oder angstvoll hinter verschlossenen Türen zu leben, im irrigen Glauben, dem Tod zu entwischen.
Wir werden sterben, wie wir gelebt haben, das ist eine alte Weisheit. Die Ursachen für dieses Massensterben zu überdenken, könnte uns dazu bringen, besser leben zu lernen. Ein Spaziergang auf einem Friedhof kann dazu durchaus inspirierend sein. Es hat etwas Erdendes. Und Demutvolles.
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