Leben

„Bin gearn der Walsche“

Aus ff 42 vom Donnerstag, den 21. Oktober 2021

Claudio Mutinelli
Ein waschechter Tiroler: Claudio Mutinelli beim Termin mit ff in der Wohnung. © Ludwig Thalheimer
 

Er war einer der ersten „Wetterfrösche“ Südtirols, linksalternativer Revoluzzer, dann sogar Vizebürgermeister in Auer: Unikum Claudio Mutinelli.

Er tut alles, aber schon gar alles, um im Dorf als „irgendwie anders“ aufzufallen, um anzuecken. Es ist das Markenzeichen eines Mannes, der Marken nicht ausstehen kann.

Da ist zum einen sein Outfit: langes Haar, Ohrringe, die Kette um den Hals, die schwarzen Klamotten – und die Flip-flops. Trägt er keine, weiß man in Auer: Jetzt beginnt die kalte Jahreszeit.

Aber da ist noch etwas. Vor seiner Wohnung, zu der man über eine Außentreppe gelangt, hängen die Friedensfahne und – aufgereiht wie tibetische Gebetsfahnen – einige kunterbunte „mascherine“. Wenn bei Beerdigungen die Aurer vor diesem Haus vorbeiziehen, um zum Friedhof zu gelangen, werden sie sozusagen mit einem politischen Fingerzeig konfrontiert.

Dabei ist Claudio Mutinelli gewiss kein Agitator – und schon gar kein Prediger. Er ist nur irgendwie anders, er war es immer schon.

Auch wenn es geradezu paradox klingt, in diesem Unterlandler Dorf über Ethnien zu sprechen, ist es Mutinelli selbst, der in seinem typisch Unterlandler Dialekt dieses Thema ins Spiel bringt: „Ich muss immer lachen, wenn man mich den Walschen nennt. Denn erstens ist das für mich kein Schimpfwort, ich bin gern ein Walscher. Zweitens kann ich beweisen, dass ich alle ,carte in regola‘ habe, um ein waschechter Tiroler zu sein.“

Opa Emilio, aus Serravalle bei Verona, war Untertan des österreichisch-ungarischen Kaisers. Also bitte. Als der Eisenbahner nach Auer kam, heiratete er dort seine Paola Giovanelli, eine Fleimstalerin. Giovanelli heißen hier gefühlt alle. Einer ihrer Söhne, Bruno, hat Lori (eigentlich Eleonora, offiziell Lorenza) Perntner geheiratet, obwohl sie, die auf der anderen Seite der Straße wohnte, zunächst kein Wort Italienisch sprach. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor, eines davon ist Claudio.

Opa Emilio konnte nur einen deutschen Satz, aber dieser wurde zu seinem obersten Prinzip: Leben und leben lassen. Enkel Claudio sagt, dass ihm dieses Motto „immer schon imponiert“ habe.

Man könnte annehmen, dass in den Sechzigerjahren die Situation in Auer ethnisch angespannt sein musste. Immerhin leben hier Deutsche und Italiener Haustür an Haustür. Claudio Mutinelli, Jahrgang 1954, verneint: „In unserem Dorf hat es nie ernsthafte ethnische Konflikte gegeben – wahrscheinlich deshalb, weil man sich gegenseitig kannte.“

Claudios schulische Laufbahn endete mit der Matura an der italienischen Gewerbeoberschule in Bozen. Besondere Vorkommnisse? „Keine“, lautet die trockene Antwort, „außer dass ich mit nicht mal zwanzig Jahren in den Pfarrgemeinderat gewählt wurde.“ Dort hielt er es zwar nicht lange aus, aber: Dieses kurze Engagement für die Kirche des Dorfes scheint den Beginn einer alles andere als selbstverständlichen Verwurzelung in seinem Dorf markiert zu haben.

Viele andere Italiener aus dem Unterland, die in Bozen zuerst zur Schule gingen und dann dort eine Arbeit fanden, blieben in der Landeshauptstadt „hängen“. Auch für Claudio schien dieser Weg vorgezeichnet: Gleich nach der Schule fand er 1975 eine Anstellung im hydrografischen Amt des Landes.

„Reiner Zufall“ sei das gewesen, sagt er: Die Zuständigkeiten waren erst ein Jahr zuvor an das Land übergegangen, Paolo Valentini, der erste Amtsdirektor, war auf der verzweifelten Suche nach Personal, Claudio Mutinelli verfügte zwar über keine spezifischen Sachkenntnisse, aber: „Ich hatte einen Führerschein. Damals konnte man die Messstationen noch an einer Hand abzählen, aber jemand musste sie betreuen – ich.“

Zur alternativen Szene kam der junge Claudio über die Musik. Er spielte Gitarre, hatte mit seiner Band („Anonym“) Auftritte mal hier, mal dort, und er liebte (und liebt immer noch) den Blues. Aber erst als „Landhäusler“ wurde er politisch, und zwar zum einen über die Gewerkschaft, zum anderen über die Bekanntschaft mit Edi Rabini und vor allem Alexander Langer.

„Ich weiß selbst nicht, warum“, sagt Mutinelli, „nach Bozen zu ziehen, ist für mich nie infrage gekommen, ich liebe meine Gemeinde über alles, würde nie von hier wegziehen, hier fühle ich mich zuhause.“

Zu Hause und gleichzeitig in Opposition: 1985 kandidierte er erstmals für den Gemeinderat – auf der Liste der Kommunistischen Partei Italiens KPI –,
und wurde prompt gewählt. Falls er diese Legislatur zu Ende macht („Ich weiß noch nicht, vielleicht mach ich den Jungen Platz“), werden es 2025 rund
40 Jahre sein, dass er in der Dorfpolitik engagiert ist. Im Gemeinderat von Auer ist er mittlerweile mit Abstand der Dienst-
älteste und der Älteste noch dazu.

Am Beginn seiner politischen Laufbahn habe er „mächtig auf den Deckel bekommen, eben so wie alle, die in Südtirol Opposition gemacht haben“. Aber mit der Zeit sei die Lage entspannter geworden. In einem Dorf sei es oft so, dass im Rat die Fetzen fliegen, dass aber nach der Sitzung alle gemeinsam ins Gasthaus gehen: „Nach einigen Gläschen Wein vergisst man dann, worüber man eigentlich gestritten hat.“

Spätestens 2005, als sich die SVP spaltete und der Dorflisten-Bürgermeister Roland Pichler den „Kommunisten“ Claudio Mutinelli zum Vizebürgermeister machte, habe man „eh nicht mehr gewusst, wer in welcher Partei ist“.

Mutinelli kandidierte zweimal auf der Liste der Grünen für den Landtag und einmal sogar fürs Parlament (ohne den Hauch einer Chance zu haben, gewählt zu werden). In Auer wusste man allerdings zwischen diesem Etikett und der Person zu unterscheiden. Mutinelli: „Ich bin alles andere als ein Fundi-Grüner. Ich rauche, esse Fleisch und tue allerlei Sachen, die man als Grüner nicht machen sollte. Diese Partei wähle ich, weil sie am ehesten meinen Überzeugungen entspricht. Gleichzeitig habe ich kein Problem, mit dem Schützenhauptmann von Auer einen Watter zu machen.“

Mit Sport hat er nichts am Hut, und auch am Weinacker vor seinem Haus macht er sich die Hände nicht schmutzig. Sein einziges Hobby, wenn man von einem solchen sprechen kann: im Dorf unterwegs sein und bei einem Gläschen „herumsnifflen“. Damit meinen die Unterlandler, wenn jemand die Nase in fremde Angelegenheiten steckt; Claudio Mutinelli würde diesen Begriff eher mit „Politisieren“ übersetzen.

Als 2010 seine Flavia nach einem Krebsleiden verstarb, hatte er mächtig zu beißen. Woran er sich festhalten konnte? „An Auer und seinen Menschen“, sagt Claudio Mutinelli, lehnt sich in den Sessel zurück und macht einen genüsslichen Zug an seiner Marlboro: „Hier kann man nicht anders, als sich wohl zu fühlen.“

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  • Claudio Mutinelli

Claudio Mutinelli ist am 21. Dezember 1954 geboren. Das Datum ist im ihm wichtig, weil: „Es war Sonnenwende, und es ist der letzte Tag im Sternzeichen des Schützen.“ Mutinelli wurde 1985 erstmals in den Gemeinderat von Auer gewählt, damals auf der Liste der KPI (Kommunistische Partei Italiens). Er wurde seither immer wiedergewählt (seit 1990 auf der Liste Insieme), 2005 bis 2010 war er Vizebürgermeister. Claudio Mutinelli arbeitete 42 Jahre lang im hydrografischen Amt des Landes, mittlerweile ist er in Rente.

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