Leben

„Ich muss die Musik leben, die ich verkaufe“

Aus ff 50 vom Donnerstag, den 16. Dezember 2021

Walter Eschgfaeller
Fotoalbum eines Rockfans: Walter Eschgfäller hat in seinem Laden viele Erinnerungen an Konzerte von früher. © Ludwig Thalheimer
 

Seit 40 Jahren steht Walter Eschgfäller hinter der Theke seines Plattenladens und hört die Musik, die er verkauft. Aber wer ist der Typ, von dem es heißt, dass er die Südtiroler Szene kennt wie kein anderer?

Es gab eine Zeit, in der der Plattenladen von Walter Eschgfäller weit mehr war als ein Geschäft. Es war der Treffpunkt für junge Menschen, die Lust auf gute Musik hatten und die deshalb ihr Taschengeld in die Bozner Spitalgasse brachten, um im Disco New Platten von Deep Purple, Iron Maiden, The Doors oder Status Quo zu kaufen. Und wenn sie den Laden betraten, der für manche wie eine zweite Heimat war, hörten sie im Hintergrund leise Rockmusik laufen und sahen Walter „Telly“ Eschgfäller, der hinter der Ladentheke stand oder gerade einen Kunden beriet, während der eine Platte nach der anderen aus den Regalen zog. Das ist auch heute noch so. Seit bald 40 Jahren steht Walter Eschgfäller hinter seiner Ladentheke. Immer in Jeans, immer mit Kapuzenpullover.

Wie viele Platten und CDs es in seinem Geschäft zu kaufen gibt, lässt sich nicht feststellen. Es sind sehr viele, das Sortiment ist umfangreich, von Abba bis Zappa. Es gibt alles, nur keine Volksmusik und keine Klassik. „Ich muss die Musik leben, die ich verkaufe“, sagt Eschgfäller. Die Musik lebt er immer noch, aber mit dem Verkauf will es nicht mehr so recht klappen.

Es begann mit der CD. Ihr Siegeszug in den 90er-Jahren kostete ­Eschgfäller etliche Kunden. Er blieb trotzdem hinter der Ladentheke stehen. Als in Bozen 2010 eine Filiale der Elektronik-Kette MediaWorld eröffnet wurde, befürchtete er wieder, seinen Laden schließen zu müssen. Er blieb trotzdem hinter der Ladentheke stehen. Der größte Konkurrent wurde aber das Internet. Eschgfäller sagt „Spotify“, hebt dabei leicht den rechten Arm und lässt ihn scharf nach unten sausen „Ruuummmms“. Es geht abwärts, Musik wird heute gestreamt, nicht gekauft. Aber Eschgfäller bleibt trotzdem hinter der Ladentheke stehen. Obwohl die Kunden immer weniger würden und die Jungen schon gar nicht mehr ins Schaufenster schauten. Während des zweistündigen Treffens mit ff bleiben dann aber mindestens drei Jugendliche vor dem Laden stehen und pressen ihr Gesicht ans Schaufenster. Vinylplatten sind bei jungen Menschen gerade sehr begehrt, und Walter Eschgfäller meckert gerne. Am liebsten über die Bozner Stadtpolitik, aber nicht nur. Wenn im Geschäft nicht viel los ist, beugt er sich über den Computerbildschirm, tippt seinen Ärger in die Tastatur und mailt ihn an die Redaktionen dieses Landes. Er ist kauzig geworden. Aufbrausend war er schon immer. Ein Musikfreak sowieso.

Walter Eschgfäller lebt seit vielen Jahren in Bozen, aufgewachsen ist er in Sarnthein. Er ist 13, vielleicht auch 14 Jahre alt, als er von seinen Eltern einen Kassettenrekorder geschenkt bekommt. Er nimmt die Radio-Sendungen von Charly Mazagg und Peter Ghiradini im Sender Bozen auf Kassetten auf, in der Ära der Tanzkapellen sind sie die einzige Möglichkeit, Popmusik zu hören. Wer ein Radio mit Mittelwelle besitzt, kann am Abend auch noch Radio Luxemburg empfangen.

Nach der Mittelschule zieht Eschgfäller von zuhause weg, das Verhältnis zu den Eltern ist lange Zeit schwierig, manchmal meldet er sich jahrelang nicht bei ihnen.

Er arbeitet als Koch in verschiedenen Restaurants. Mal in Meran, mal in München. Mit 17 kauft er sich seine erste Single, Sweet Hitch-Hiker von der US-amerikanischen Rockband Creedence Clearwater Revival. Mit 24 besucht er ein Konzert von La Statale 17 und Emphasis im Bozner Waltherhaus, die Auftritte begeistern ihn. „So gute Musiker, so geile Konzerte“. Eschgfäller steht nicht aufrecht hinter der Theke, er ist etwas in sich versunken, zieht den Kopf ein, aber in seiner Stimme hört man die Begeisterung, als er sich zurückerinnert. Wenn er über Musik spricht, die ihm gefällt, dann sagt er „Boaaahhh“ oder „raffiniert“.

Nach dem Konzert will er nicht nur Musik hören, er will sie auch leben. Er selbst singt aber nicht, instrumental ist er über das Stadium des Blockflötenunterrichts nie hinausgekommen. Er sagt von sich, er sei keiner, der auf der Bühne stehen wolle, sondern hinter der Bühne. Er ist auch keiner von denen, die vor der Bühne wild tanzen, er trinkt nicht, er raucht nicht, er kifft nicht. Er ist keine Rampensau. Vor vielen Menschen zu sprechen, macht ihn nervös, auch Interviews strengen ihn an. Er brauche keine Aufmerksamkeit. Die Zeitungsartikel, die über ihn erschienen sind, hängt er sich dann aber doch gerne in die Geschäftsauslage.

Weil Eschgfäller Musik leben will, aber kein Musiker ist, beginnt er Ende der 1970er, Südtiroler Bands zu managen. Sein erster Erfolg ist die Single Straniero von den Firestones aus Meran, die das deutsche Plattenlabel Ariola für den deutschen Markt produziert. Eschgfäller breitet sich aus. Er moderiert im Radio und schreibt Musikrezensionen für die ff. Er knüpft Kontakte, baut sich ein Netzwerk auf, pusht Bands.

Ab 1983 managt er die Bozner Rockband Skanners, die sich in Italien bald einen Namen macht. Als die Band 1996 als Vorgruppe von Deep Purple in Mailand auftritt und im Palatrussardi 4.500 Menschen die Rocker aus Bozen abfeiern, muss Eschgfäller das erste und letzte Mal wegen Musik weinen. Der Erfolg bedeutet ihm auch heute noch emotional viel, finanziell hat er sich nicht ausgezahlt. Mit dem Geld, das er in die Band investiert habe, könne er sich heute ein Auto kaufen, ist er überzeugt.

Anfang der 80er-Jahre wechselt Eschgfäller auch beruflich ins Musikbusiness. Es wird ein erfolgreiches Jahrzehnt für ihn werden.

1981 holt er gemeinsam mit Franz Heel und Ewald Brunner eine Band wie Status Quo nach St. Ulrich, 6.000 Menschen tanzen in der Eishalle zu den Songs der britischen Rockband. Aber es gibt auch Misserfolge: die Auftritte des österreichischen Liedermachers Ludwig Hirsch, der Schweizer Gruppe Krokus und der deutschen Scorpions enden im darauffolgenden Jahr mit Defiziten. Eschgfäller wird durch die Musik nicht reich. Aber seine Bekanntheit wächst.

Der Disco-New-Walter wird zum Fixpunkt der Südtiroler Szene, vor allem als er 1987 gemeinsam mit dem Brixner Willy Vontavon den Verein Liederszene Südtirol gründet. Die Liederszene wird bald zur Plattform der Südtiroler Bands und Liedermacher, mit Konzerten, Tourneen und Wettbewerben werden junge Musiker gefördert, die Gelder dafür stammten meist vom Land. 1999 organisiert der Verein zum ersten Mal das School’s Out Festival, Ttausende Schüler feiern gemeinsam das Schulende. Der Auftritt der US-amerikanischen Bloodhound Gang beim School’s Out 2006 auf dem Bozner Messeareal wird zu einem der erfolgreichsten Konzerte, die Eschgfäller organisiert. Drei Jahre später ist das Festival Geschichte. Er hat die medialen Beschuldigungen satt, auf dem Festival würden Alkohol und Chaos regieren. 2019 steigt Eschgfäller dann auch bei der Liederszene aus. Vontavon und er haben unterschiedliche Ansichten über die Zusammenarbeit mit der Politik.

Was bleibt, ist die Liebe zur Musik: Hinter seiner Ladentheke und vor den Südtiroler Bühnen hört Eschgfäller, wie sich die Szene in vier Jahrzehnten verändert. Anfang der 80er gab es viel Hard Rock und Heavy Metal, dann kam der Punk, dann wird die Musik noch härter und extremer. Heute gibt es nur sehr wenige Bands, aber mehr Singer-Songwriter wie Max von Milland, Tracy Merano oder Michael Aster. Fragt man ihn nach Lieblingssongs oder -musikern, gibt er keine Antwort. Kann er keine geben, ihm gefällt so viel.

In der hinteren Ecke seines Geschäfts hängen über der Fotowand mit Mad Puppet, Giorgio Moroder oder den Dressy Vagabonds, zehn goldene Schallplatten von Frei.Wild. Jedes Mal, wenn die Deutschrocker eine Goldene bekommen, landet eine davon in der Spitalgasse. Eschgfäller hatte der Band von Philipp Burger zu ihrem Manager Stefan Harder geraten, der die Band groß machte. Die Freundschaft zwischen Burger, der Eschgfäller 2002 auf einer Feier in Barbian angesprochen hatte, hält bis heute, den Vorwurf, Frei.Wild sei politisch dem rechten Rand zuzuordnen, findet er ungerecht.

Eschgfäller ist einer, der den Kontakt zu den Musikern pflegt, sie anruft oder ihnen schreibt. Und er ist einer, der gerne Erinnerungen aufbewahrt. Neben dem Durchgang zum hinteren Bereich des Geschäfts hängen viele Backstagepässe vergangener Konzerte auf einem Nagel, die ff-Kritiken, die er geschrieben hat, sind sauber aus dem Heft getrennt und in Klarsichthüllen eines großes Aktenordners abgeheftet. Auf Konzerte geht er aber nicht mehr oft, er hat sich etwas zurückgezogen. Er ist gerne allein, will seine Ruhe. Seinen Urlaub verbringt er gerne in Island.

Ruhig ist es auch in seiner Wohnung. Schon vor Jahren hat er die Stereoanlage abgebaut, nach einem langen Tag im Plattenladen braucht er zuhause keine Musik mehr. Spricht er über sein Geschäft, sagt er „wir“, obwohl er mittlerweile allein hinter dem Tresen steht.

Walter Eschgfäller und sein Laden sind ein Relikt aus einer anderen Zeit. Sein Wirtschaftsberater hatte ihm bereits vor zehn Jahren geraten, den Laden für immer abzuschließen. Aber Walter Eschgfäller ist dem Rat nicht gefolgt. Er will noch ein bisschen hinter der Ladentheke stehen und Musik hören.

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  • Walter Eschgfäller Walter Eschgfäller

Walter Eschgfäller, Jahrgang 1954, ist in Sarnthein aufgewachsen und nach der Mittelschule als Koch durch Südtirol gezogen. Es war aber nicht die Küche, die ihn interessierte, er wollte auf Konzerte gehen und Musik hören. 1983 übernimmt er das Schallplattengeschäft Disco New in Bozen, 1987 gründet er mit Willy Vontavon die Liederszene Südtirol, zwischen 1999 und 2009 organisiert er das School’s-Out-Festival in Bozen. In knapp 40 Jahren wird er zum besten Kenner und wichtigen Förderer der hiesigen Musikszene. Er managt Bands, organisiert Konzerte und freut sich über den Erfolg der Musiker.

Und er sagt, wenn ihm etwas nicht passt.

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