Leben

Arbeitsunfälle: Bauernfluch

Aus ff 19 vom Donnerstag, den 09. Mai 2024

Der 1. Mai war heuer den Arbeitsunfällen gewidmet. Dem Drama, nein, dem Verbrechen der „morti bianche“, wie Staatspräsident Mattarella sie richtig benannte. Ein Verbrechen, und ich muss konkret werden, ist der Fatalismus, wie Südtirol das Sterben seiner Bauern unterm Traktor, im Holz und auf den Maschinen hinnimmt. Stilles Entsetzen, verordnete allgemeine Anteilnahme, spontane Nachbarschaftshilfe, Bäuerlicher Notstandsfonds – und weiter geht’s zum nächsten Tod. Bauernunfälle sind Opfer-Darbringungen ans Bauer-Sein. Gottesprüfungen.

Und nie verschuldet. Denn der Bauer – und damit komme ich zur Schuld – „der Bauer ist allein, einen Mitarbeiter kann er sich nicht leisten“. Das ist der oberste Glaubenssatz, die einzige Konstante in der von Variablen unendlich reichen Gleichung Südtiroler Bauernpolitik. Von diesem fatalen, natürlich unbewiesenen Gottesbeweis leiten sich sämtliche Verirrungen auf dem Weg des Niedergangs der bäuerlichen Landwirtschaft ab.

„Einen Mitarbeiter kann der Bauer sich nicht leisten?“ Ja, was dann sonst? Maschinen kann er sich leisten, haben die Agrar-Industrie und zu deren Gefallen die Agrar-Funktionäre ihm eingeredet. Und so kratzt der Bergbauer zum Landesbeitrag hinzu das Milchgeld, den Lohn vom Nebenjob, die Rente der Mutter und sonst noch alles zusammen. Das Land zahlt nur für Maschinen, nicht für einen Menschen. Die Landwirtschafts-Förderung ist eine Landmaschinenindustrie-Förderung. Arbeitssicherheit ist Bürokratie. Der Maschinenpark ist das Kraftzentrum des Hofes und der Bauer sein Sklave. Allein ist der Bauer. Der Traktor sein Thron. Darauf schafft er alles: die abschüssigsten Wiesen, den steilsten Wald, das unwegsamste Gelände. Alles allein und sofort.

„Bauer sein ist geil“, röhrt der Freiwild-Burger alleweil. Bauer sein ist Traktorfluch: Zuerst verschuldet er sich damit, dann vereinsamt er darauf, zum Schluss kommt er drunter. Wenn halt junge Bäuerinnen dereinst aufstehen gegen so viel dumpfen Fatalismus.

von Florian Kronbichler | Journalist, ehemaliger Chefredakteur der ff

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