Buch: (ms) Was haben ein Tierschützer, der zur Autobombe greift, und ein Terrorist gemeinsam? Beide wollen nicht als solche ...
Leitartikel
Unsere Faulheit und die Demokratie
Aus ff 01 vom Donnerstag, den 05. Januar 2017
Wir haben es selber in der Hand, die Demokratie in unsicheren Zeiten gegen Terroristen und Populisten zu stärken. Doch wir müssen es tun. Und klarmachen, dass es nicht für alle und alles Verständnis gibt.
Die Strategie von Terroristen ist es, Angst zu säen. Die Strategie von Populisten ist es: Angst zu säen.
Terroristen greifen die Demokratie von außen an – sie untergraben sie mit Attentaten wie in der Silvesternacht in Istanbul. Terroristen wollen uns zu Reaktionen verleiten, mit denen der demokratische Staat, der liberale Rechtsstaat, seine eigenen Grundlagen untergräbt.
Populisten untergraben die Demokratie von innen. Ziel ist das Umpolen der liberalen Demokratie zu einem autoritären Staat mit den Mitteln des Rechtsstaates: Sicherheitsgesetze, die persönliche Freiheiten begrenzen, Überwachung, Einschränkung der Religions- und Bewegungsfreiheit oder gar die Wiedereinführung von Folter oder Todesstrafe.
Die populistische Rechte ist sich in ganz Europa ähnlich – in Frankreich mit Le Pen, in Deutschland mit Frauke Petry, in Österreich mit H. C. Strache und in Südtirol mit Ulli Mair oder Andreas Pöder. Eine Pressemitteilung löst die andere ab: Würden wir uns so wenig von den Fakten beirren lassen, könnte man uns zu Recht „Lügenpresse“ schimpfen.
Doch Angstmacherei und das Versprechen von einfachen Lösungen erweisen sich als politisch profitabel. Handstreichlösungen sind aber nur in autoritären Systemen zu haben.
Demokratie ist ein mühsamer Aushandlungsprozess, sie braucht Zeit, sie beginnt jeden Tag von vorne. Und sie ist naturgemäß unvollkommen wie der Mensch. Wer also von einfachen Lösung redet, träumt eigentlich von einer Diktatur. Demokratie geht weder einfach noch perfekt – auch das „Utopia“ des Thomas Morus ist nur mit Einschränkung der Freiheit und rigidem Regelwerk zu haben.
Warum meinen heute viele Menschen, dass Demokratie so einfach zu haben ist? Wir tun uns einerseits schwer, Unsicherheit auszuhalten, und sei sie auch nur gefühlt. Und andererseits erwecken Politiker oft genug den Eindruck, sie seien das ganz Neue, das ganz Andere. Landeshauptmann Arno Kompatscher zum Beispiel: Er versprach einen Umbruch, eine völlig neue Politik. Er musste also enttäuschen, als er an der Regierung war. Enttäuschung greift schneller als früher, wenn Politiker nicht liefern können, schnell wird Enttäuschung zu Wut, die sich in den (a)sozialen Medien entlädt.
Das hat auch mit uns zu tun. Mit uns Journalisten. Mit jedem Einzelnen von uns. Erstens mit unserem Hang, Politikern alles zuzutrauen. Alles Schlechte natürlich. Und manchmal auch mit unserer übernoblen Zurückhaltung. Müssten wir nicht wenigstens so parteiisch sein, um zu sagen: Ja, wir verteidigen energisch die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die Verfassung, mit allem, was wir haben gegen ihre Verächter, wir stärken die, die daran glauben.
Es herrscht jetzt großes Wehklagen über die Blindheit der Medien, die die nicht gehört haben, die ausgegrenzt haben, stumm, benachteiligt sind oder sich fühlen (warum auch immer). Das lassen wir uns gerne sagen, aber heißt das, auch denen eine Stimme zu geben, die Grundwerte untergraben, den Rassisten, Fremdenfeinden, Intoleranten?
So selbstbewusst müssen wir als Gesellschaft sein, zu sagen: Wir sind nicht bereit zu verhandeln über Toleranz, Religionsfreiheit oder auch die ungeschriebene Vereinbarung, Menschen nicht verbal niederzumachen, die anders sind (ja, das ist politische Korrektheit). Aufklären, recherchieren: ja. Sich als Verstärker gebrauchen lassen: nein. Der gemäßigte und liberale Teil der Gesellschaft ist nach Brexit und Trump-Wahl in einen Selbsterkundungs- und Jammerfuror verfallen, anstatt sich der Auseinandersetzung und dem Gegner zu stellen.
Wir haben es selber in der Hand, unsere Demokratie zu stärken. Gegen Terroristen und gegen Populisten, die gleichermaßen Zwietracht säen wollen. Machen wir uns auf, mischen wir uns ein! Faulheit, Gleichgültigkeit, Sattheit sind die größten Feinde der Demokratie.
"Terroristen und Populisten sind Feinde der Demokratie. Aber genauso gefährden wir sie, wenn wir faul und satt werden."
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