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Leitartikel
Irgendwas geht seinen Gang
Aus ff 07 vom Donnerstag, den 16. Februar 2017
Wer die öffentlichen politischen Debatten der vergangenen Tage in Südtirol verfolgt, kann sich nur wundern – oder auch ärgern. In welchem Land leben wir eigentlich?
Der irische Dramatiker Samuel Beckett (1906 bis 1989) hat gerne über das vergebliche Warten geschrieben. Das Warten darauf, dass einer kommt, oder darauf, dass einer geht. Becketts „Warten auf Godot“ handelt von ersterem, „Endspiel“ von letzterem.
In „Warten auf Godot“ warten zwei Männer auf einen dritten Mann, den sie nicht kennen und den es vielleicht gar nicht gibt. Sie reden aneinander und an der Wirklichkeit vorbei. Die zwei kommen einfach nicht voran, obwohl sie immer davon reden, wegzugehen. Stillstand auf der Szene. Ein Reden um nichts. „Endspiel“ zeigt das Leben als vergebliche Suche nach einem Ausweg. Ein Mann namens Hamm fragt voller Angst: „Was ist los, was geschieht?“ Der andere, Clov, antwortet: „Irgendwas geht seinen Gang.“
Beide Stücke werden auch in Südtirol gerne gespielt. Derzeit allerdings nicht im Theater, sondern in der Realität.
Irgendwas geht seinen Gang. Das ist keine schlechte Beschreibung für die aktuellen politischen Geschehnisse in Südtirol. In der Kruzifix-Debatte hat wieder einmal die Rhetorik der Stammtische die Oberhand gewonnen – selbst viele Politiker reden dem Stammtisch nach dem Munde. Die Gemein- und Bosheiten gegenüber der Grünen-Abgeordneten Brigitte Foppa, die daran erinnerte, was der Laizismus in einem demokratischen Land wert ist, sind menschenverachtend und das Gegenteil von dem, was im Namen des Kreuzes eigentlich gepredigt wird. Die aufgeregte Debatte sagt viel über den Zustand dieses Landes aus. Man hätte gedacht, dass wir den Staub des Lederhosen-Konservatismus abgeklopft hätten.
Oder die Aktion mit der vergoldeten Mussolini-Statue. Ein Akt der Engstirnigkeit und Rückwärtsgewandtheit sondergleichen. Die Reaktion von Landeshauptmann Arno Kompatscher, der sagte, die Südtiroler Freiheit habe sich nun wohl endgültig italianisiert, machte das Ganze nicht besser. Freilich, er meinte es als Scherz, angelehnt an die Verleihung des „tapiro d’oro“ im TV-Sender Canale5. Trotzdem. Die Botschaft vor allem an die italienischsprachigen Südtiroler war nicht gerade treffend und freundlich.
Dann die Langzeitbombe Toponomastik, die Ortsnamenregelung in Südtirol. Ein Problem, das so alt ist wie die Südtirol-Frage. Und ein Thema, das von vielen Politikern opportunistisch und interessengetrieben benutzt wird, anstatt Brücken zu schlagen. Es wird gedroht und gebockt, die Positionen haben sich weiter entfernt und mit ihnen ein Kompromiss, mit dem alle gut leben könnten.
Brücken bauen sieht anders aus. Das kann man auch in der Gesundheitspolitik beobachten. Der Frieden zwischen den Allgemeinmedizinern und dem Regierungsduo Kompatscher-Stocker hat nur eine knappe Woche gehalten. Jetzt drohen die Hausärzte wieder mit Streik. Sie fühlen sich vom Land über den Tisch gezogen, einmal wieder.
Wer also all diese öffentlichen Debatten in den vergangenen Tagen in Südtirol verfolgt, wundert sich über die sich selbst steigernde Aufgeregtheit und muss sich fragen: Was ist bloß los, was geschieht? In welchem Land leben wir eigentlich? Man hat oft den Eindruck, Südtirol verschließt sich zur Wagenburg. Eng, engstirnig, egoistisch. Stillstand auf der Szene. Die Debatten zeigen, dass der vermeintliche Modernisierungskurs der politischen Klasse zu Symbol- und Schaufensterpolitik verkommt: schöne Worte, wenig Inhalt.
Die Südtiroler Politik könnte hierin ja auch dem Samuel-Beckett-Prinzip folgen: Immer gescheitert. Egal. Versuch’s noch mal. Scheitere wieder. Scheitere besser.“
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