Leitartikel

Abschied vom Gestern

Aus ff 09 vom Donnerstag, den 02. März 2017

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Alles hat seine Zeit. So heißt es zumindest im Alten Testament. Der Satz passt auch auf das zweisprachige Südtirol. Es steht an einem Wendepunkt seiner Geschichte, aber was man vordergründig erlebt, ist Verschlossenheit und Mutlosigkeit.

Es ist immer faszinierend zu beobachten, wie die Südtiroler und ihre Politiker die Regeln des Zusammenlebens verinner­licht haben. Dazu gehört, Vorschläge von gewissen, unbequemen politischen Vertretern gleich wieder vom Tisch zu räumen. Bestimmte Diskussionen sind eben lästig.
So auch jüngst: Vielen Gegnern der Mehrsprachigkeit im Südtiroler Bildungssystem sah man vergangene Woche regelrecht ihren Ärger und ihre Genervtheit an, als Senator Francesco Palermo seinen Gesetzentwurf für eine offenere Schule präsentierte. Man glaubte schon, da würde nun endlich die Tür geöffnet für eine sachlich fundierte, tiefgründige und ehrliche Debatte zum Thema. Aber dann sagten die meisten, was sie immer sagen: die einen, dass der Senator Südtirol mit solchen Vorschlägen in den Untergang treibe. Und die anderen, dass man schon ein fortschrittliches und offenes Bildungssystem hätte. Ja, dass die Mehrsprachigkeit eh schon an vielen Schulen „innovativ umgesetzt“ werde. Also was, bitte, will man mehr?!
Dabei gäbe es Anlass aufzuatmen: Da weht endlich eine frische Brise über das Land und vertreibt den betäubenden Konservatismus. Stattdessen lächelt man müde weg, was für die Zukunft des Landes wichtig ist: Toleranz, Offenheit, Weiterentwicklung. Gesiegt haben Engstirnigkeit und Verschlossenheit, einmal wieder.

Zugegeben, es ist keine Kleinigkeit, was der parteiunabhängige Senator in seinem Gesetzentwurf vorschlägt. Es geht schließlich um das Allerheiligste des Autonomiestatuts, den Artikel 19. Dieser sieht vor, dass der Unterricht in den Kindergärten und Schulen in der Muttersprache der Schüler erteilt wird; er ist die wesentlichste Schutzbestimmung für die sprachlichen Minderheiten. Mit einer Ergänzung zu diesem Artikel möchte Francesco Palermo nun ein „freiwilliges Zusatzangebot“ schaffen: Sofern 15 Schüler/Eltern das beantragen, dann kann an deutschen und italienischen Grund- und Mittelschulen eine eigene Sektion eingerichtet werden, in denen der Unterricht in gleichem Ausmaß auf Deutsch und Italienisch erfolgt. Wer also eine offene Schule will, würde sie dadurch bekommen. Ohne dass das klassische Modell der deutschen und italienischen Schule angetastet würde.
Ein Zusatzangebot also. Echte Wahlfreiheit. Und ist die Wahlfreiheit im Grunde nicht das Königsrecht in einer Demokratie?
Ein Vorschlag im Übrigen, den die Grünen-Abgeordneten bereits 2015 als Landesgesetzentwurf in den Südtiroler Landtag eingebracht haben. Im zuständigen Gesetzgebungsausschuss allerdings kam es gerade einmal zur Generaldebatte. Die Artikeldebatte wurde von der Mehrheit kurzerhand abgelehnt und damit der ganze Entwurf wieder versenkt.
Der Vorschlag insgesamt erscheint so, als hätte jemand das Fenster geöffnet und frische Luft hereingelassen. Er weitet den Blick nicht nur auf das, was ist, sondern vor allem auf das, was alles möglich wäre. Die große Partei sowie viele der deutschsprachigen Rechten folgen lieber dem Prinzip Staudamm. Vielfältige Probleme und Themen lässt man hinter dem Damm zusammenfließen. Anstatt aktiv zu handeln und offen über die Wirklichkeit zu reden, gräbt man sich in alte Positionen ein. Solange das so bleibt, zeigt sie, dass sie das Gestern noch nicht verlassen hat. Oder warum sonst debattiert und streitet man wochenlang über die Toponomastik – von der gleichzeitig alle behaupten, dass sie ein wenig bedeutsames Thema sei?
Südtirol ist gefangen in einem zu engen Panzer. Ein Vorstoß wie jener von Francesco Palermo oder der Grünen könnte ihn sprengen, er könnte die gewohnte Sicherheit aufgeben. Wenn man nur den Mut dazu fände.

"Da weht endlich eine frische Brise über das Land und vertreibt den betäubenden Konservatismus."

Alexandra Aschbacher

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