Leitartikel

Die eingegipste Demokratie

Aus ff 23 vom Donnerstag, den 08. Juni 2017

Leitartikel
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Die Südtiroler Volkspartei dreht sich in Rom das Wahlrecht für die Parlamentswahlen zu ihren Gunsten. Keine Chance für die Opposition. Dabei hatte sie vor den Landtagswahlen doch eines versprochen: mehr Demokratie.

Südtirol war zwischen 1998 und 2013 eine Bittgang-Demokratie. Wer um fünf Uhr in der Früh vor dem Landhaus in Bozen stand, wurde eingelassen und angehört. Und dann gab Landeshauptmann Durnwalder Anweisungen an Beamte und Landesräte – sofern diese nicht selber schon vor dem Landhaus gestanden waren.
Jetzt gibt es diese Bittgänge nicht mehr. Aber aufgehört haben sie nicht. Die Bittgänger sind jetzt die Parlamentarier der Südtiroler Volkspartei in Rom. Sie sind sozusagen Bittgang-Parlamentarier. Der Abgeordnete Albrecht Plangger versteht sich als solcher, er erledigt Angelegenheiten in diversen Ministerien für seine Kundschaft.
Plangger ist der Mann für die kleinen Dinge, Senator Zeller der Mann für den großen Dreh. Er handelt dann beispielsweise ein spezielles Wahlrecht für Südtirol aus – auch ein Art Bittgang. Freilich nur zugunsten der eisernen Mehrheit aus SVP und PD (zusammen knapp 52 Prozent bei den Landtagswahlen 2013), die im Land regiert. Der Pakt SVP-PD wird in alle Ewigkeit fortgeschrieben, in Rom, in Südtirol, in Bozen, in ... Und das Land damit gelähmt.
Die Abgeordneten und Senatoren der SVP in Rom sind ihrer Kundschaft und ausschließlich Südtirol verpflichtet – ein bisschen, denkt man sich, hätten Parlamentarier freilich auch die Pflicht, auf das Ganze zu achten, im Sinn der Bürger, die sich um Arbeit, Einkommen, Sicherheit und Gesundheit sorgen. Die SVP-Parlamentarier holen, was geht – für das Land oder die Partei. Oder umgekehrt? Es geht um Kompetenzen oder auch Privilegien wie das Wahlrecht für die Parlamentswahlen, das in Südtirol besonders ist. Besonders undemokratisch.
Das Wahlrecht für die Parlamentswahlen in Südtirol ist ein Geschenk an die SVP. Ob ein Mensch, ein Stöpsel oder ein Feuer­hydrant kandidiert, egal, er wird gewählt. Südtirol ist in vier Wahlkreise für die Kammer aufgeteilt und drei für den Senat – und wenn SVP und PD sich nicht dämlich anstellen, gewinnt dort ihr Kandidat. Es müsse so sein, sagt die SVP, schließlich müsse jeder Bezirk in Rom vertreten sein.
Jeder Bezirk? Vertreten Parlamentarier jetzt Bezirks­interessen?

Einbetonierte Wahlkreise und eine 20-Prozent-Klausel für die Verteilung der restlichen Sitze. Einen Restsitz bekommt nur, wer in der Region mehr als 20 Prozent der Stimmen erhält und damit in Südtirol mehr als 40 Prozent. Das bedeutet de facto den Ausschluss der deutschsprachigen Opposition, von Linken und Grünen von den Parlamentswahlen, gut 50 Prozent der Stimmen aus Südtirol fallen bei den Parlamentswahlen ins Nichts. Und dafür sind neben der SVP, PD, Lega und Forza Italia auch die „Grillini“ (was sagt dazu der Landtagsabgeordnete Paul Köllensperger?).
Das nationale Wahlgesetz ist auch so eine Geschichte. Jetzt soll es ja deutsch werden, aber auf eine (italienische) Art und Weise, die die Macht der Parteien und ihrer Vorsitzenden zementiert, sie können sich mit ihren Getreuen umgeben – Poltrone Distribution. Fünfprozentklausel (von der Südtirol ausgenommen ist), aber keine Möglichkeit, die Stimmen zu splitten (zwischen Direktkandidat und Parteien), keine Überhangmandate (die direkt gewählten Abgeordneten würden auf der Strecke bleiben).
„Merdellum“ hat der bekannte Journalist Marco Travaglio diesen Gesetzentwurf genannt. Aber es ist ein „Merdellum“, das die SVP-Parlamentarier nicht kümmern muss.
Die Regierung Kompatscher hat versprochen, alles anders zu machen – und hat sich damit womöglich übernommen: mehr Transparenz, mehr Partizipation und logisch mehr ­Demokratie. Mehr Demokratie? Beim Gesetz zur direkten Demokratie zögert die SVP. Die Macht an das Volk abgeben? Hm! Ein faires Wahlrecht für Südtirol? Das auf gar keinen Fall!

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