Leitartikel

Die Einfalt der Autonomie

Aus ff 24 vom Donnerstag, den 15. Juni 2017

Leitartikel
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Bei Festakt zur Streitbeilegung wird das Modell Südtirol gefeiert. Zu Recht? Zu Recht! Doch es wäre gut, den Kopf zu heben und zu schauen, was die Schwächen der ­Autonomie sind. Und zu gestalten, statt schöne Formeln zu beschwören.

Die Reden von Landeshauptmann Arno Kompatscher sind meistens eher zäh, ein schäumender Redner ist er nicht. Doch seine Rede in Meran beim „Festakt 25 Jahre Streitbeilegungserklärung“ war clever. Nicht laut, aber selbstbewusst, diplomatisch, aber mit einigen markanten (innen)politischen Duftnoten.
Es wird jetzt bestimmt in Rom wieder Zugeständnisse für Südtirol geben, nach dem verunfallten Wahlgesetz mit den Südtirolprivilegien (oder besser: SVP-Privilegien), bei der eine Mehrheit der Abgeordneten gezeigt hat, was sie von uns hält.
Arno Kompatscher hat den Festakt im Meran auf sich zugeschnitten oder zuschneiden lassen. Er sprach am längsten, länger als die Staatspräsidenten von Österreich und Italien. Man wird später vielleicht einmal sagen, am 11. Juni 2017 hat der Wahlkampf für die Landtagswahlen 2018 begonnen. Es geschah in der Form, die
Kompatscher liebt: staatsmännisch. Staatsbesuche genießt er.
Der Auftritt von Kompatscher war: sanftes Werben um die Weiterentwicklung der Autonomie („gewisser Handlungsbedarf“; kleines Muskel­spiel „Südtirols Autonomie kostet den Staat nichts“; Südtirol leiste sogar einen Beitrag zur Sanierung des Staatshaushaltes); Streicheleinheiten für die politischen Altvorderen (Altlandeshauptmann Durnwalder ausdrücklich erwähnt); Geschichtsstunde (eher fad); und Lob („Wohlstandsland“) und Eigenlob („Südtirol als Heimat der Vielfalt“ und „somit auch Abbild des europäischen Ideals“).
Wer nicht vorkam, wenigstens nicht namentlich: die Schützen, die den landesüblichen Empfang verweigerten, weil die italienische Hymne in ihren Ohren Katzenmusik ist (was hätten sie als Autonomiegegner auch dort zu suchen gehabt?); die Selbstbestimmten von der Südtiroler Freiheit (abwesend) oder die Freistaatler von den Freiheitlichen (in Teilen anwesend). Danach wussten Walter Blaas und Kameraden nicht genau, was sagen. Sie konnten jedenfalls Arno Kompatscher nicht dafür angreifen, dass er sich angebiedert hat.
Dass Arno Kompatscher Südtirol und damit seine Regierung als modellhaft begreift, ist normal. Das war zu erwarten. Selbstkritik wäre in einem solchen Fall zu viel verlangt. Doch die Rede enthüllt auch: eine partielle Blindheit.

Die Autonomie ist ein Modell, richtig. Konflikte, so zeigt es, lassen sich durch zähe Verhandlungen lösen. Und sie hat ein friedliches Nebeneinander der Sprachgruppen ermöglicht (nicht: Miteinander). Selbstbestimmung, Freistaat sind eine Illusion. Wer behauptet, das sei möglich, führt die Leute an der Nase herum. Oder will Konflikte schüren.
Aber die Autonomie, so wie sie ist, hat auch ein nach Gruppen getrenntes Land geschaffen. Segregation statt Integration, getrennte Macht- und Lebenssphären. Darüber sind die Italiener im Land zur Minderheit geworden. Für sie gilt im Übrigen die Autonomie nicht oder nur bedingt. Denn diese, so Kompatscher, diene dem „primären Ziel, die ethnische Eigenart und die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der deutschen (und ladinischen) Sprachgruppe zu fördern“. Vielleicht wäre es gut, den Blick zu heben und in die Runde zu schauen, wer aller in diesem Land lebt. Die SVP und Kompatscher haben eine Verantwortung für alle. Sonst ist die Südtirol-Autonomie Südtirol-Egoismus.
Es kommt gut, wenn Kompatscher von der Heimat als „Haltegriff“, von „Südtirol als Heimat der Vielfalt“ oder „Mehrsprachigkeit als Brücke“ spricht. Doch was ist der Inhalt dieser Formeln?
Hohle Formeln oder hehre politische Ziele? Dass es ihnen ernst ist (Beispiel: Sprachkenntnisse; Beispiel: Migranten; Beispiel: Verhältnis der Sprachgruppen), das müssen Kompatscher & Co. erst unter Beweis stellen.

"Südtirol muss ­Heimat für alle sein, die Autonomie gehört allen. Sonst wird aus der Südtirol-Autonomie Südtirol-­Egoismus."

Georg Mair

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