Leitartikel

Letzte Chance für Renzi

Aus ff 26 vom Donnerstag, den 29. Juni 2017

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Die Testwahlen am Sonntag haben gezeigt, dass der Bonus des Partito Democratico, das bessere Übel zu sein, verbraucht ist. Die Menschen erwarten sich Ergebnisse, Reformen, Problemlösungen – kommen diese nicht, wenden sie sich ab.

Es ist nicht leicht, gegen Gegner zu verlieren, die es praktisch nicht gibt. Matteo Renzi und seinem Partito Democratico ist es gelungen.
Bei den Testwahlen am vergangenen Sonntag – in immerhin 110 Städten mit jeweils mehr als 15.000 Einwohnern – hat der einstige Hoffnungsträger Italiens einen zweiten Dämpfer nach der verheerenden Referendumsschlappe 2016 bekommen. Und ich weiß nicht, was schlimmer ist für Renzi: dass er gegen Totgeglaubte wie Silvio Berlusconi und 08/15-Poltergeister wie Matteo Salvini den Kürzeren zog – oder dass diesmal die Mehrheit (!) der Wähler zu Hause geblieben ist. Aus Enttäuschung, Frust, Zorn.
Nichtwählen kann bekanntlich noch schmerzhafter sein als Opposition-Wählen. Denn wer gar nicht erst zur Urne geht, der hat alle Hoffnungen, die Renzi noch vor fünf Jahren vermitteln konnte, längst wieder sausen lassen.
Mich wundert’s nicht, dass es so ausgegangen ist. Denn was konnte dieser Matteo Renzi konkret bewirken, was hat er verändert? Konnte er eine Reform stemmen, eine einzige, die diesen Namen wert ist? Hat Renzi gezeigt, dass er und seine Partei es drauf haben, aus Italien ein besseres, effizienteres Land zu machen? Konnte er die Wahnsinnsbürokratie, die Italien in ein Irrenhaus zu verwandeln droht, auch nur ein wenig eindämmen? Konnte er das Justizproblem, den permanenten Müllnotstand lösen? Hat er ein Rezept gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung junger Burschen aus Nahost und Afrika?
Sorry, aber die Antworten auf diese Fragen fallen allesamt negativ aus.
Bald ist ein Jahr vergangen seit dem 24. August 2016, als ein verheerendes Erdbeben die Region Abruzzen erschütterte. Was wurde in den Tagen nach jener Tragödie versprochen? Es wurde versprochen – hoch und heilig –, dass der Wiederaufbau diesmal im Ruckzucktempo vonstatten gehen würde, dass die Bürger diesmal nicht ihrem Schicksal überlassen würden wie nach dem Erdbeben 2009 in L’Aquila, wo die Menschen heute noch nicht wissen, ob sie je in ihre Häuser zurückkehren können. Renzi und sein Partito versprachen, dass sie es anders, besser machen würden als all die korrupten Regierungen vor ihnen.
Auch diese Chance wurde vertan. Das Erdbeben wurde nicht dazu genutzt, zu zeigen, dass man besser ist als die anderen. Im Gegenteil: In diesem x-ten Erdbeben sehen die Italiener den x-ten Beweis, dass alles gleich bleibt, egal, ob der Regierungschef auf den Namen Berlusconi oder Renzi oder Pincopallino hört.
Renzi und seine Postkommunisten und Postirgendwas haben lange davon profitiert, dass die Konkurrenz noch schlechter dastand als sie. In Südtirol ist das nicht anders, wo Tommasini & Co. nur dank der jämmerlichen Streitereien im rechten Lager in der Regierung sitzen.
Die Wahl am Sonntag hat freilich gezeigt, dass der Bonus, das bessere Übel zu sein, inzwischen verbraucht ist. Die Menschen erwarten sich Ergebnisse, Reformen, Problemlösungen – kommen diese nicht, wenden sie sich ab.
Ein Sprichwort lautet: Schlimm sind nicht die Missstände, schlimm wird es erst, wenn man nicht in der Lage ist, Missstände zu beheben. Und richtig schlimm wird es, wenn man sich an die Zustände gewöhnt, wenn man aushält, was nicht auszuhalten ist. Italien ist verdammt nahe dran an dieser gefährlichen Ohnmachtshaltung.
Immer wenn ich mir die italienischen Zustände ansehe, wird mir bewusst, welches Glück wir mit unserer Autonomie haben. Ich bin ja wirklich kein Selbstbestimmler. Aber wenn Renzi und die Seinen auch diese Lektion nicht kapieren, wenn es mit Italien tatsächlich den Bach runtergeht, ja dann, denke ich manchmal im Stillen, könnte ich noch einer werden.

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