Leitartikel

Integration auf Südtirolerisch

Aus ff 27 vom Donnerstag, den 06. Juli 2017

Leitartikel
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Südtirol sollte endlich lernen, ernst und ideologiefrei über Zuwanderung und Integration zu diskutieren.

Wer die Debatte der vergangenen Woche im Plenum des Südtiroler Landtages verfolgte, konnte sich nur wundern über die sich selbst steigernde Aufgeregtheit und den polternden Alarmismus. In welchem Land leben wir eigentlich, fragte ich mich.
Da hörte man aus Politikermund, dass „Vorsicht geboten“ sei, wenn es um Integrationspolitik gehe. Man wolle schließlich nicht, dass „das Volk ausgetauscht“ werde. Es gebe Menschen, „die sich nicht zu Mittätern machen wollen an dem, was gerade passiert“. Die SVP und die Rechten warfen den Grünen „Gutmenschentum“ und „Linkspopulismus“ vor – deren Grundhaltung erinnere an einen „Tag der offenen Tür“, wo alles ohne Gegenleistung erhältlich sei. Da konnte man auch seitens der Regierungspartei neue Töne hören, etwa: Wer sich nicht in ein Gemeinwesen integriert, könne nicht das Recht der Teilhabe an dieser Gesellschaft beanspruchen. „Wir verwenden schließlich Steuergelder für diesen Zweck!“ – „Gemeinwesen und Beteiligung am Gemeinwesen ist nicht nur eine Einbahnstraße!“ –
Worum geht es? Um den Artikel 18 des vergangene Woche vom Landtag schließlich verabschiedeten Omnibusgesetzes. Besagter Gesetzesartikel sieht vor, dass der Zugang zu Zusatzleistungen künftig an die Integrationsleistung geknüpft werden soll (nicht „muss“). „Fordern und fördern“, so lautet der politische Slogan von Integrationslandesrat Philipp Achammer.
Er sendet das richtige Signal. Es ist richtig, dass Flüchtlinge auch Verpflichtungen eingehen müssen, wenn sie in Südtirol bleiben und von dessen Leistungen profitieren wollen. Dafür braucht es eine Art Vertrag zwischen Land und Zuwanderern. Es wäre allerdings schön, wenn man sich auf beiden politischen Seiten zu einer emotionsfreieren Diskussion durchringen könnte. Und wenn sich das linke und das rechte Menschenbild etwas aufeinander zubewegen würde.
In den vergangenen Jahrzehnten sind immer wieder Menschen aus dem Ausland nach Sütirol gekommen: Flüchtlinge, Zuwanderer, Asylbewerber, europäische Nachbarn. Obwohl wir also über Erfahrung mit Zuwanderung verfügen müssten, haben wir es immer noch nicht geschafft, eine ruhige und ernste Debatte zu führen. Die aber ist dringend nötig.
Es geht um viel, das Ganze ist ein Jahrhundertthema. Es geht um ein neues Zusammenleben zwischen „Alt- und Neusüdtirolern“. Es geht darum, dass diese neuen Bürger zu Nachbarn, Kollegen, Freunden werden. Wenn es irgendwie gelingen soll, müssen alle mitmachen. Da ist es wenig hilfreich, wenn die SVP plötzlich gegen „blinde Willkommenskultur und grünes Gutmenschentum“ wettert. Die Regeln für Integration hat bislang immer noch die Mehrheitspartei SVP festgelegt, mehr oder weniger allein.
Und: Die Entschlossenheit der Politik war bislang in erster Linie verbaler Art; den Worten folgten nur sehr wenige Taten. Wenn SVPler jetzt von „Regeln“ und „Klarheit“ reden, müssen sie sich an die eigene Nase fassen.
Das Problem ist: Integration ist noch immer ein Fremdwort. Jeder versteht darunter etwas anderes. Das zeigte auch die Debatte im Hohen Haus vergangene Woche.
Eine schöne Definition für Demokratie lautet so: Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet. Zu dieser Gemeinschaft gehören nicht nur die Parteien und Institutionen, sondern auch die deutsch-, die italienisch- und die ladinischsprechenden Südtiroler, die Armen und die Reichen, die sozial Schwachen und die sozial Starken – und eben auch die Ausländer. Und ohne eine kluge und effektive Strategie kann eine humanitäre Integrationspolitik nicht gelingen. Dafür braucht es mehr als einen Artikel in einem Omnibusgesetz, der mit 18 Ja, 3 Nein und 10 Enthaltungen genehmigt wurde. 

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