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Leitartikel
Im Würgegriff
Aus ff 35 vom Donnerstag, den 31. August 2017
Wie viel Politiker darf ein Politiker sein? Und wie politisch die Politik? Der österreichische Wahlkampf liefert kuriose Antworten. Diese sollten Südtirol zum Nachdenken anregen – nicht aber zum Nachahmen.
Man kann Mitleid haben mit Sebastian Kurz. Der österreichische Außenminister und ÖVP-Parteiobmann hat alle Hände voll zu tun, um aus der Partei, die ihn groß gemacht hat und die seit 1987 ohne Unterbrechung regiert, eine frische Bewegung zu machen. Er verbraucht einen Großteil seiner Kraft damit, zu erklären, dass man die Politik nicht länger den Politikern überlassen dürfe. Und warum ausgerechnet er, der selbst nie etwas anderes gemacht hat als Politik, Österreich aus dem Tief führen könne. Wie Laokoon, der Priester des Apoll, mit seinen Schlangen, so ringt dieser 31-Jährige mit der Geschichte.
Wer Sebastian Kurz’ bisheriges Handeln im Wahlkampf resümiert, der ist zunächst geneigt, ein geschicktes Marketing ebenso wie eine gute Show zu beschreiben. Jung, dynamisch, innovativ – so was wünscht sich der Wähler heute ja.
Näher betrachtet muss man jedoch zum Schluss kommen, dass es ein äußerst absonderlicher Wahlkampf ist, den sich unser sogenanntes Vaterland da liefert. Die traditionelle Großpartei ÖVP heißt nun „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“, statt Schwarz ist Türkis die neue Parteifarbe, die abgehalfterte ÖVP wird kurzerhand zur „Bewegung“ erklärt. Und zu all dem dazu wird die von Kurz angeführte Bundesliste reichlich mit parteilosen Politik-Novizen besetzt – von einer ehemaligen Stabhochspringerin über die Opernball-Organisatorin bis hin zu einem Mathematik-Universitätsprofessor.
Kurz hat bereits Nachahmer gefunden. Der Grüne Peter Pilz zum Beispiel, seit über 30 Jahren im Parlament, geht nunmehr seine eigenen Wege – mit der „Liste Peter Pilz“. Das sei keine Partei, betont er, sondern „eine Initiative“. Man bekommt den Eindruck, dass es politisch zurzeit en vogue ist, als Politiker so wenig wie möglich Politiker zu sein. Die Politik soll doch bitte so unpolitisch wie möglich aussehn.
Es ist offensichtlich, dass sich Kurz und Pilz am neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dessen Organisation „En Marche“ orientieren. Damit gelang es diesem, den Überdruss der Wähler an den etablierten Parteien für sich zu nutzen – und zu siegen. Das ist skurril genug, zumal Macron selbst aus der Parteipolitik stammt – so wie auch Kurz.
So unterschiedlich alle sind, eines ist ihnen gemeinsam: Sie versuchen, die von Parteien dominierte Politik dadurch zu erobern, dass sie keine Parteien mehr sein wollen. Geht es so weiter, kann die Parteiendemokratie einpacken, weil sie durch die Listendemokratie ersetzt wird.
Südtirols Politik täte gut daran, die österreichischen Wahlkampf-Auswüchse gut zu beobachten. Sie jedoch bitte nicht nachzuahmen. Politische Konstrukte wie derlei Listen werden nicht von einem neuen, politischen Anliegen angetrieben, sondern allein vom Machtwillen des jeweiligen Listenanführers.
Eine Bewegung, die von oben kommt, kann keine Bewegung sein. Sie kann lediglich eine geschickte Werbekampagne sein, die den schlechten Ruf der Parteien nutzt. Wünschenswert freilich wäre es, wenn sie auch einen inhaltlichen Kern hätte, ein eigentliches Anliegen. Darüber wird in diesem Wahlkampf viel zu wenig geredet. Bislang versteht es niemand, den Wahlkampf anstatt mit überraschend gesetzten Kandidaten mit überraschend gesetzten Themen zu dominieren.
Und auch mit den Quereinsteigern ist das immer so eine Sache. Sie haben selten ein langes politisches Leben. Der politische Alltag entzaubert die Hoffnungsträger meistens bald.
Ob Laokoon ein Held oder vielleicht doch ein Opfer war, ob sich der Apollopriester mit letzter Kraft die von Athene geschickten Schlangen vom Leib hält oder aber hilflos in ihrem Würgegriff hängt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wie die Sache für Sebastian Kurz ausgehen wird, entscheidet sich am 15. Oktober, wenn bei der 26. Nationalratswahl das neue Parlament gewählt wird.
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