Der Autonomiekonvent übergibt sein Enddokument dem Landtag. Nun beginnt die nächste Phase des Experiments. Große Lust darauf hat aber niemand.
Leitartikel
Mutti Angela und ihre Kinder
Aus ff 38 vom Donnerstag, den 21. September 2017
Die Große Koalition spricht der Mehrheit der Deutschen aus der Seele, die Minderheit aber bleibt außen vor. Am Sonntag dürfte die Quittung serviert werden. Warum Deutschland nicht nur Merkel, sondern auch wieder einen streitbaren Bundestag nötig hat.
Umfragen sind Stimmungsbilder, die sich jederzeit ändern können. Umfragen zufolge hätte Hillary Clinton die US-Wahl gewonnen. Stattdessen schickten uns die Wähler diesen Gottseibeiuns, dem die Meinungsforscher keine Chance gaben: Donald Trump.
Es ist also klug, den Sonntag abzuwarten, anstatt schon jetzt die Siegerin auszurufen. Nun ja, niemand zweifelt, dass Angela Merkel bestätigt wird. Spannend ist nicht, wer in Deutschland die Wahl gewinnt, sondern wie die kommende Bundesregierung aussieht. Vor allem: Wie kann es sein, dass diese Merkel, Kanzlerin seit 2005, oft bereits abgeschrieben, von Kommentatoren als blasse, langweilige Mutti verhöhnt, die Konkurrenz in Grund und Boden trampelt? Wie ist es zu erklären, dass in Frankreich, Österreich, ja auch in Südtirol smarte Jungspunde die Wähler begeistern, aber noch niemand aufgetaucht ist, nicht in Europa und schon gar nicht in den USA, der Angela Merkel das Wasser reichen könnte?
Mutti Angela ist Garant für den Status quo. Und in diesem lässt es sich für die Mehrheit der Deutschen hervorragend leben. Als sie die Grenzen für Flüchtlinge und damit auch für Migranten geöffnet hat, sagten viele das Ende ihrer politischen Karriere voraus. Jetzt weiß man: Mit ihrem Hausverstand und ihrer Sensibilität für deutsche Geschichte hatte sie auch damals richtig gehandelt.
Erinnern wir uns an ihre Worte. Im September 2015 sagte sie: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Unvorstellbar, wenn sie auf die Flüchtlingswelle reagiert hätte wie ihr ungarischer Amtskollege Viktor Orbán oder wie der ungehobelte Klotz in den USA. Über Nacht hätte die Weltöffentlichkeit Deutschland nicht mehr als das erfolgreiche Land bewundert, das in der Lage ist, auch mit schwierigsten Situationen fertigzuwerden, sondern als Neuauflage des Hitler-Regimes beschimpft.
Dieser klugen Merkel haben weder die Sozis noch die Grünen etwas entgegenzusetzen. Die Kanzlerin und die CDU/CSU haben es verstanden, wirtschafts-, sozial- und umweltpolitisch all das von der Konkurrenz abzukupfern, was diese auf ihrem kleinen Angebotszettel stehen haben. Warum sollte heute der typische Durchschnittsdeutsche die Kanzlerin abwählen?
Mutti Merkel hat freilich nicht nur glückliche Kinder. Das Hauptproblem westlicher Wohlstandsgesellschaften ist es, dass viele Menschen an diesem Erfolg und an diesem Wohlstand nicht mehr teilnehmen können. Dass sie nicht nur das Gefühl haben zurückzubleiben, sondern tatsächlich den Anschluss nicht mehr schaffen. Auch Südtirol kennt das Phänomen.
Wenn die Alternative für Deutschland (AfD) am Sonntag als drittstärkste Partei in den Bundestag einzieht, dann ist dies nicht Merkels Schuld. Es ist die Schuld aller im Bundestag vertretenen Parteien. Die AfD hat nichts zu bieten, außer: eine Plattform des Widerspruchs. Diese Plattform, das Salz der Demokratie, ist im Bundestag mit der Großen Koalition beseitigt worden.
Politik bedeutet auch, Menschen, die anderer Meinung sind, zu überzeugen und mitzunehmen. Dies setzt voraus, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt – auch zu unbequemen Themen wie Flüchtlinge, Migranten und Sicherheit. Merkel und die Große Koalition (Groko) haben sich um die Mehrheit der Deutschen hervorragend gekümmert, man spricht sich aus der Seele. Die Minderheit aber, die blieb außen vor. Am Sonntag dürfte die Quittung serviert werden.
Je stärker die AfD, desto wahrscheinlicher eine Neuauflage der Groko.
Um Himmels willen, möchte man den Deutschen zurufen, bloß keine Neuauflage der Groko! Eine solche mag mitunter realpolitisch sinnvoll, ja sogar unausweichlich sein, für die Demokratie ist sie bestenfalls ein Schlafmittel.
Und Schlafmittel können bei Überdosierung tödlich sein.
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