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Leitartikel
Gesellschaft der Unbarmherzigen
Aus ff 41 vom Donnerstag, den 12. Oktober 2017
In Bozen ist vergangene Woche ein junger Flüchtling gestorben. Der 13-jährige Adan wurde nirgends aufgenommen. Die Politik verspricht Aufklärung. Doch dabei müsste sie mit dem Finger auf sich selber zeigen.
Vergangene Woche ist in Bozen ein junger Mensch gestorben, 13 Jahre alt, ein Flüchtlingskind aus dem Irak. Adan war an den Rollstuhl gebunden. Die Familie war von Schweden nach Bozen gekommen, in Schweden war ihr Antrag auf Asyl abgelehnt worden. In Italien einen neuen zu stellen, ist legal, auch wenn man das für eine der Absurditäten des europäischen Asylsystems halten kann.
Die Familie, Mann, Frau, vier Kinder, einschließlich des toten Jungen, fand, wenn überhaupt, nur eine provisorische Zuflucht – zuerst unter einer Brücke, in der evangelischen Gemeinde, in einem Hotel, gezwungen, den Tag im Bahnhofspark in Bozen zu verbringen. Als der Junge aus dem Rollstuhl fiel, kam er ins Krankenhaus in Bozen und starb noch in derselben Nacht.
Die offiziellen Einrichtungen für Flüchtlinge in Bozen hatten Adan abgewiesen. So ging das fast eine Woche lang. Folge einer mangelhaften Kommunikation. Vorauseilender oder nacheilender Gehorsam?
Deswegen zeigt man jetzt mit dem Finger auf Luca Critelli. Critelli ist ein Beamter, der tut, was ihm die Politik anschafft oder nahelegt. Critelli leitet die Abteilung Soziales beim Land Südtirol. Er hat vergangenen Herbst in einem Rundschreiben („Circolare Critelli“) verfügt, dass in den Aufnahmezentren für Asylbewerber in Südtirol nur Menschen unterkommen, die vom Staat offiziell Südtirol zugewiesen werden.
Luca Critelli ist ein Spiegel der Politik, das „Circolare Critelli“ entspricht der Haltung der Politik. Und diese Haltung ist: Nur so viel tun für Flüchtlinge, wie vorgeschrieben ist. Sonst kämen ja alle, heißt es, wo kämen wir hin, wenn wir barmherzig oder großzügig wären? Critelli ist nur der Weiterträger dieser Haltung. Landesrätin Stocker sagt jetzt, das Rundschreiben hätte Hilfe nicht ausgeschlossen. Waren in diesem Fall also die Dienste übergehorsam? Oder hatte sich in ihnen der Eindruck festgesetzt, sie sollten ja nicht zu viel tun, im Ernstfall nichts?
Muss man also mit dem Finger auf Critelli zeigen oder auf Landeshauptmann Arno Kompatscher, Landesrätin Martha Stocker und den Bozner Bürgermeister Renzo Caramaschi, die sich nach dem sinnlosen Tod von Adan hinter wortreichen Erklärungen verstecken? Der Bozner Bürgermeister ist seit Monaten nicht imstande, einen Platz für Obdachlose in Bozen zu finden, er lässt obdachlose Flüchtlinge systematisch von ihren Schlafplätzen im Freien vertreiben.
Man redet in Bezug auf Flüchtlinge in der Gemeinde lieber von Sicherheit und „decoro urbano“ (so, als wären Flüchtlinge ein Einrichtungsgegenstand) als von Hilfe. Und bedeutet damit auch denen, die Einrichtungen für Flüchtlinge leiten: Haltet euch stur an die Vorschriften. Wer dauernd von Sicherheit redet, verunsichert die Menschen, wer dauernd die Polizei schickt, jagt ihnen Angst ein. Auch in einer Stadt, die sicher ist und in der niemand Angst zu haben braucht.
Barmherzigkeit zu üben, wird an die vielen vielen Freiwilligen delegiert, die sich um Flüchtlinge kümmern, die in Bozen auf der Straße leben. Diese Freiwilligen müssen zuschauen, wie Flüchtlinge fast täglich von der Polizei bedrängt oder von der Müllabfuhr weggeputzt werden – sie können nur Decken, Essen und Getränke verteilen und ein bisschen menschlichen Trost spenden. Denn die Botschaft an die Menschen, die auf der Straße leben, lautet: „Macht euch unsichtbar!“ Die Politik schaut zu, wie die Freiwilligen sich aufreiben. Denn wer hilft und keinen professionellen Abstand zu seiner Arbeit hat, gefährdet am Ende sich selber.
Es ist die versteckte Politik der harten Hand, die die Verwaltung (Critelli) und Hilfsorganisationen wie Caritas oder Volontarius konditioniert. Würden sie gegen die Auflagen verstoßen, könnten sie es ja weniger bequem haben, Aufträge verlieren. Wie sonst soll man es erklären, dass die Familie von Adan überall abgewiesen wurde? Ist es möglich, dass von diesen Helfern niemand die Zivilcourage hatte, angesichts der Not gegen Regeln zu verstoßen, die womöglich sogar gegen das Gesetz verstoßen?
Jetzt gibt sich die Politik betroffen und verspricht Aufklärung. Meint sie es ehrlich, muss sie dabei mit dem Finger auf sich selber zeigen.
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