Wie Südtirols Landwirte Politik und Gesellschaft aufwiegeln. Titelgeschichte in ff 41/17
Leitartikel
Die neue Trendfarbe: bläulich
Aus ff 43 vom Donnerstag, den 26. Oktober 2017
Sebastian Kurz wird also mit Heinz Christian Strache regieren. Der junge Messias der christlich-sozialen Volkspartei mit dem Radaubruder der Rechten: Kann das gut gehen? Aber selbstverständlich.
Früher waren die ÖVPler „die Schwarzen“. Diese Farbgebung wollte nicht etwa nahelegen, dass die ÖVP etwas mit den Faschisten gemein habe. Schwarz meinte stattdessen die Nähe der ÖVP zur Kirche: Das Parteilogo hatte die Farbe der Soutanen.
Es war nicht Zufall, sondern Programm: ÖVP und Kirche standen immer für die selben Werte. Unterschiedlich zwar in den Nuancen: die einen des Zeitgeistes wegen moderner, um junge Wähler nicht ganz vor den Kopf zu stoßen, die anderen konservativer, um ihre ältere Klientel nicht zu vergraulen. Aber im Wesentlichen stand man für dieselben Inhalte. Um es auf den Punkt zu bringen: Man war christlich und sozial.
Sebastian Kurz will jetzt „eine neue Politik“. Dazu gehört die Farbgebung: Das Logo der ÖVP ist ab sofort nicht mehr schwarz, sondern türkis. Ich gebe zu, ich musste Wikipedia um Rat bitten. Erst dann verstand ich: Aha, die ÖVP ist jetzt irgendwas zwischen blau, grau und grün. Nennen wir die Mixtur der Einfachheit halber bläulich.
Kurz ist nicht nur ehrgeizig bis zur Unverschämtheit. Er ist auch schlau. In Rekordzeit ist es ihm gelungen, die Themenhoheit in der Alpenrepublik an sich zu reißen. Gelungen ist ihm dies mit einem Trick, der so banal ist, dass es verwundert, weshalb ihn Regierungsparteien nicht öfter anwenden: von der Konkurrenz lernen.
Die Konkurrenz, das sind in Österreich die Freiheitlichen. Für Außenstehende mag es schwer zu verstehen sein, warum diese Skandalpartei, die bereits mehrmals am Rande des Abgrundes stand, in der Alpenrepublik dermaßen erfolgreich ist. Wie kann man bloß, fragte ich einen Klagenfurter Freund, wie kann man bloß Strache wählen? Die Wirtschaft boomt, den Leuten geht es gut, die Strukturen funktionieren – warum also laufen die Leute diesem Strache nach?
„Du hast keine Ahnung“, klärte mich mein Freund auf, „du weißt nicht, welcher Muff sich in einem halben Jahrhundert ÖVP- und SPÖ-Regierung angesammelt hat. Die Politik in Wien ist so was von abgehoben, ja arrogant, dass sie tatsächlich jedes Feeling zu den Menschen verloren hat.“ Mein Freund sprach tatsächlich von Feeling.
Ich vermute, Sebastian Kurz würde sich ähnlich ausdrücken. Jedenfalls hat er verstanden, dass ein Politiker den Leuten zuerst einmal zuhören muss, wenn er von ihnen gewählt werden will. Und was sagte ihm das Feeling? Es sagte ihm, was seine alten Parteifreunde nicht gehört haben, weil sie es nicht hören wollten: Die Migrationskrise ist das Thema Nummer eins. Ohne Kurz wäre die FPÖ in Österreich stärkste Partei geworden. Die alte ÖVP hätte keine Chance gehabt.
Jetzt kann man süffisant-böswillig diesen Kurz einen „Neofeschisten“ nennen, wie das der Wiener Falter getan hat. Aber man kann auch festhalten: Er hat der ÖVP Haus und Hof gerettet.
Kurz wird jetzt Heinz-Christian Strache in die Regierung holen. Er hat nicht der Versuchung nachgegeben, doch zum Altbewährten zurückzugreifen und mit den Sozis weiterzupaktieren.
Wer über die große Koalition Häme und Spott vergoss, sollte keine Krokodilstränen vergießen, wenn demnächst in Wien ein grüner Bundespräsident einen ehemaligen Nazisympathisanten zum Minister vereidigt.
Sehen wir es positiv. Demokratie ist nicht nur dann toll, wenn „die Richtigen“ gewinnen. Joschka Fischer, bekennender ehemaliger Kommunist und Steinewerfer, bevor er zum Grünenpolitiker wurde, war einer der besten Außenminister, den Deutschland je hatte. Ohne Strache mit Fischer vergleichen zu wollen: Aber eine Chance muss man auch ihm geben.
Keine Sorge, ich werde nicht in den Chor jener einstimmen, die eine neue Achse des Bösen an die Wand malen, die von Istanbul über Budapest und Warschau bis Wien reicht. Die Demokratie in Österreich ist zu gefestigt, um jetzt in Panikmache zu verfallen.
Allerdings ist die SVP, die Schwesterpartei der von Kurz verschrotteten ÖVP, gut beraten, ganz genau hinzuschauen, was da in Wien abgeht.
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