Leitartikel

Von „älteren und mächtigen“ Männern

Aus ff 45 vom Donnerstag, den 09. November 2017

Zitat
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#metoo hat eine wichtige Debatte über sexuelle Belästigungen angestoßen. Aber wird sie auch wirklich etwas verändern?

Die weltweite Debatte zu sexuellen Übergriffen ist nun auch in unserem Nachbarland Österreich angekommen. Und das gleich mit voller Wucht. Am vergangenen Samstag verkündete der frühere Grünen-Politiker und Listengründer Peter Pilz nach 31 Parlamentsjahren seinen Rückzug aus dem Nationalrat – wegen Vorwürfen der sexuellen Belästigung in gleich zwei Fällen. Das passiert ausgerechnet jenem Mann, der sich gerne als Saubermann und „Aufdecker der Nation“ präsentierte. Der 63-Jährige sagte, er könne sich zumindest an einen Vorfall nicht erinnern, jedoch gälten für ihn dieselben Maßstäbe, die er auch für andere setze, und ziehe deshalb die Konsequenzen. „Wir älteren und mächtigen Männer“, sagte er laut Medienberichten bei der Pressekonferenz, „müssen bereit sein, auch etwas dazuzulernen.“
Manch einer wird jetzt entnervt mit den Augen rollen, wenn es um das Thema Sexismus geht. Aber bitte, bevor man über den „Sexismuswahnsinn“ schimpft und dumme Sprüche macht, sollte man noch einmal etwas nachdenken.
Unabhängig von den vielen Verschwörungstheorien und dem parteipolitischen Hickhack rund um den Fall Pilz, zeigt dieser doch eines: Für eine tatsächliche Veränderung der Gesellschaft ist es notwendig, dass sexuelle Belästigung öffentlich wird und wir alle darüber diskutieren. Hätten die Frauen in der Affäre Harvey Weinstein nicht den Mut gehabt, von den Vergewaltigungen und Belästigungen durch den oscarprämierten Filmproduzenten zu berichten, wir wüssten nichts über sexuelle Übergriffe durch andere Männer in der Filmbranche, in der internationalen Kunstszene oder in der Politik. Der britische Verteidigungsminister Michael Fallon beispielsweise ist vor wenigen Tagen von seinem Amt zurückgetreten. Ein weiterer britischer Abgeordneter ist nun auch ins Gerede gekommen und wurde bereits aus seiner Fraktion ausgeschlossen.
Seit rund zwei Monaten gehen alle paar Sekunden neue Geschichten über Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen auf Twitter ein, sie sind gebündelt unter dem Schlagwort #metoo – ich auch. Die gewaltige Wirkung dieses Hashtags zeigt, dass das Thema da ist, und dass es groß ist. Und dass es noch verdammt viel zu reden gibt.

Im Kern geht es um Macht und um Abhängigkeiten. Sexuelle Übergriffe sind das ­primitivste Ausnutzen von Machtpositionen. Ob am Arbeitsplatz, im Zug oder auf einer Veranstaltung. Und nicht jede Frau ist stark genug, sich selbst beschützen zu können. Nicht jede hat den Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen und von einem Tag auf den anderen aus Machtstrukturen auszubrechen. Schweigen hat mit alten kulturellen Mustern zu tun – der Scham und der Schande. Mit Fragen wie: Was habe ich falsch gemacht?
In der #metoo-Debatte werde alles in einen Topf geworfen, heißt es jetzt häufig, vom dummen Spruch bis hin zur Vergewaltigung. Aber sollte es in so einer Debatte mit Hunderttausenden von Beiträgen nicht in erster Linie darum gehen, dafür zu sorgen, dass nicht doch wieder alles weitergeht wie bisher?
Schließlich kommt es häufig genug vor, dass sexistisches Verhalten keine Konsequenz hat. Die Kampagne mag in Teilen voyeuristisch, ja, auch hysterisch sein, sie macht Opfern aber Mut, sich zu wehren und endlich ihre Geschichte öffentlich zu machen.
Manche Männer sind nun verunsichert, fragen sich: Was darf man überhaupt noch? Wo verläuft die Grenze, was ist Kompliment, was Belästigung? Nichts spricht gegen einen Flirt, Männer und Frauen sind sexuelle Wesen. Wenn sich Männer jetzt aber mal Gedanken über ihr Verhalten machen müssen, ist das nur fair. Frauen machen das seit Jahrhunderten. Es wird Zeit, dass wir damit beginnen, gemeinsam zu diskutieren und nicht gegeneinander.
Peter Pilz stellte am Montag früh im Übrigen richtig, er werde bis Mittwoch entscheiden, wie er nun wirklich mit seinem Mandat umgehen werde. Er sei sich nämlich nicht der geringsten Schuld bewusst. Im Laufe des Tages folgte dann eine erneute Kehrtwende: Er, Pilz, nehme das Mandat nun doch nicht an.
So viel also noch zu den „älteren und mächtigen Männern“. 

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