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Leitartikel
Drakonisch gescheitert
Aus ff 47 vom Donnerstag, den 23. November 2017
Trotz immer schärferer Gesetze und härterer Strafen steigt die Zahl der Verkehrstoten und der Drogenmissbrauch nimmt ebenfalls zu. Mit „Null Toleranz“ konnten die eigentlichen Probleme noch nie gelöst werden.
Haben Sie schon mal die Straßenverkehrsordnung gelesen? Und vielleicht auch das Strafgesetzbuch? Nein? Sollten Sie aber: Wenn Sie gelesen haben, was in Italien „legge“ ist, setzen Sie sich nie mehr hinters Steuer. Denn jedesmal, wenn Sie das tun, riskieren Sie nicht nur den finanziellen Ruin, sondern auch eine lebenslange Gefängnisstrafe. Für den Staat sind Autofahrer wie Sie und ich potenzielle Gewaltverbrecher und Totschläger.
Ich vermute, auch die Jugendlichen unterlassen es, jene Paragraphen zu lesen, die ihren Umgang mit Alkohol und Drogen betreffen. Täten Sie es, sie würden weder saufen noch kiffen. Da sie die Paragraphen nicht lesen, haben Sie keine Ahnung, was der Staat mit ihnen vorhat, wenn er sie beim „Abusus“ erwischt.
Irgendein Politiker hat irgendwann einen Begriff geprägt, dessen finale Folgen noch nicht abzusehen sind: „Null Toleranz“. Als Kind wurden wir darauf getrimmt, tolerant zu sein, Toleranz zu lernen. Toleranz ist, so glaubten wir, eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit Gesellschaften überhaupt funktionieren können.
Irgendwann hat der Gesetzgeber den Begriff Toleranz mit dem Begriff „Null Toleranz“ ausgetauscht: Wer einen Fehler begeht, wird nicht mehr bloß zurechtgewiesen und bestraft, sondern: „Seine kriminelle Tat wird mit einer drakonischen Strafe sanktioniert.“ Erziehung zur Vernunft, lernen aus Fehlern? Gibt es nicht mehr.
Mit drakonischen Maßnahmen bekämpft der italienische Staat, so behauptet er zumindest (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge): die Mafia, die Steuerhinterziehung, tödliche Verkehrsunfälle, den Drogenkonsum, die illegale Bautätigkeit, Korruption, Bestechung und und und.
Obwohl der Begriff „drakonisch“ Jahr für Jahr mit fantasievollen Steigerungsformen immer drakonischer wurde, ja mittlerweile das drakonisch maximal Vorstellbare erreicht hat (die Todesstrafe ist in Italien verboten), konnte keines der oben genannten Probleme ausgemerzt werden. Im Gegenteil: Je drakonischer die Strafen, desto mehr Steuern werden hinterzogen, desto mehr Drogen werden konsumiert.
Die gute Nachricht: Trotz der Gesetze jenseits von Vernunft und Angemessenheit geht das Leben weiter. Die Menschen arbeiten, fahren Auto, trinken mit Freunden ein Feierabendbierchen, rauchen hie und da einen Joint, hauen hie und da über die Stränge. Kurzum: Sie lassen sich von denen da oben den Spaß nicht nehmen.
Die schlechte Nachricht: Die da oben – ich nenn sie mal so – haben immer noch nicht kapiert, dass Verbote und noch so drakonische Strafen keine Probleme lösen. In den USA gibt es die Todesstrafe, trotzdem nimmt die Zahl der Morde und Gewaltverbrechen zu und nicht ab.
Im Jahr 2016 hat es in Südtirol 38 Verkehrstote gegeben: 2 mehr als 2015, 9 mehr als 2014, 12 mehr als 2013. Obwohl seit 2013 die Gesetze schärfer, die Strafen drakonischer wurden, sterben wieder mehr Menschen auf den Straßen.
„Es gibt eine Minderheit von Personen, die auch mit solch abschreckenden Strafen nicht erreicht werden.“ Was der Verkehrspsychologe Max Dorfer am Dienstag den Dolomiten sagte, ist das Eingeständnis eines Scheiterns. Wer will, kann aus diesen Zeilen sogar einen Hilferuf, einen Appell an die Vernunft heraushören.
Aber in Italien verpuffen Appelle an den Hausverstand rascher als ein Furz. Lieber werden Forderungen nach noch schärferen Gesetzen und drakonischen Strafen gehört. Nichts ist eben leichter, als scharfe Gesetze und drakonische Strafen zu beschließen. Egal, ob man damit Probleme löst – oder neue schafft.
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