Leitartikel

Die Grenze für die „Fremmen“

Aus ff 49 vom Donnerstag, den 07. Dezember 2017

Zitat
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Braucht Südtirols Tourismus eine Obergrenze? Nein. Verbote werden wenig helfen. Doch machen wir weiter wie bisher, werden wir unseren Wohlstand selber durch Unmäßigkeit zerstören.

Als Christdemokraten, Grüne und Liberale in Deutschland versuchten, nach „Jamaika“ zu gelangen, ging es immer wieder um die „Obergrenze“. Am Ende erfand man für den Zuzug von Flüchtlingen sogar eine „atmende Obergrenze“. Es half nichts – die Koalitionsverhandlungen scheiterten.
Jeder hat so seine Obergrenzen.
Die einen haben sie bei Flüchtlingen, die anderen bei Touristen. Wobei: Früher unterschied man in Südtirol nicht groß zwischen den beiden. „Fremme“ waren die einen wie die anderen. Es war „Fremdenverkehr“, wenn die einen wie die anderen kamen. Heute freilich heißen die einen Asylbewerber/Migranten/Flüchtlinge, die anderen Gäste. Wehe, wer zu Tourismus noch „Fremdenverkehr“ sagt! Doch die Frage sei erlaubt: Wer hat Südtirol mehr verändert oder wird es mehr verändern, die Migranten, die die „Fremmen“, oder die Touristen, die die ­Gäste sind?
Die Südtiroler Grünen finden jedenfalls, dass es für den Tourismus eine Obergrenze braucht, manche Gastwirte oder Tourismusprofessoren finden das auch (ein bisschen wenigstens). Das Landesinstitut für Statistik Astat vermeldet jedenfalls für das Sommerhalbjahr 2017 (Mai bis Oktober) einen neuen Rekord: 4,5 Millionen Ankünfte. 4,5 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Man merkt ja an sich selber die Versuchung, schnell nach einer Obergrenze zu rufen (so schnell wie die Rechtspopulisten nach einer Obergrenze für Flüchtlinge rufen, nein: schreien), wenn man über den Christkindlmarkt in Bozen geht oder einen Zug besteigt, in dem sich schon die Christkindlmarkt-Karawane drängt, wenn es wehttut, wie Südtirol sich verkauft, mit Kitsch und schlechtem Echtheitstheater, dem Widerspruch zwischen Sein (totaler Kommerz) und Schein (das authentische Volk von Bauern und Gastwirten), wenn man als Stadtbewohner den Waltherplatz in Bozen für zwei Monate nicht benutzen kann (wenn man den Aufbau und Abbau des 08/15-Standmobiliars einrechnet). Ein Wunder, dass da noch niemand protestiert.
Aber wollen wir deshalb eine Obergrenze ziehen? Helfen Obergrenzen etwas? Sind Obergrenzen demokratisch oder eine autoritäre Versuchung? Wer würde dann nach Südtirol kommen, wenn man eine Obergrenze für die „Gäste“ schüfe? Hilft es, wenn man Menschen zu etwas zwingt? Es wird ja auch wahrscheinlich keinen Fremdenfeind überzeugen, wenn man seine Gemeinde durch Geldstrafen nötigt, Asylbewerber aufzunehmen.
Obergrenzen wären wie Grenzen ja nur dazu da, um sie zu überwinden, zu umgehen. Sie hätten, nimmt man jetzt den Tourismus, wahrscheinlich nur den Effekt, die Gesellschaft noch klarer zu teilen: in Menschen, die haben, und Menschen, die nicht haben. Deshalb muss diskutiert werden: Wollen wir nur einen Reichentourismus, der wiederum nur einen Teil der Menschen im Lande wohlhabender macht und die anderen zurücklässt?
Im Kern ist das ja die Strategie der Südtiroler Tourismuswerbung (die Proleten, überspitzt formuliert, an den Ballermann nach Mallorca, die Mittel- und Oberschicht, die Ruhe sucht, zu uns). Und im Übrigen müssen bei den Gehältern in Südtirol (gerade im Tourismus) eher Untergrenzen als Obergrenzen einziehen.
Obergrenzen kann man nicht so einfach verordnen, Verbote helfen wenig. Aber man muss über sie reden. Man muss darüber reden, was wir für ein Land wollen, ob wir es ernst meinen mit den Werbebotschaften von Ruhe, Naturnähe und Entschleunigung. Bislang tun wir alles, um noch mehr Menschen ins Land zu locken, aber werden sie noch kommen, wenn sie stundenlang im Stau stehen, weil die Verkehrsverbindungen es einfach nicht mehr hergeben, wenn sie auf den Gipfeln die Motorräder röhren hören, wenn sie kapieren, dass ihnen auf den Christkindlmärkten Authentizität nur vorgegaukelt wird (wobei Authentizität, überstrapaziert wie er ist, sowieso ein völlig untauglicher Begriff geworden ist).
Südtirol geht es gut. Noch. Aber wir sind dabei, diesen Wohlstand selber zu zerstören, wenn wir uns nicht zu mäßigen wissen, Konsum und Kommerz keine Grenzen kennen. 

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