Leitartikel

Die Affen – das sind wir

Aus ff 06 vom Donnerstag, den 08. Februar 2018

Zitat
© ff-Grafik
 

Deutsche Autobauer haben Dieselabgase an Affen und Menschen testen lassen. Skandal! Entlang der Brennerautobahn werden Menschen und Tiere täglich einer Überdosis an Dieselabgasen ausgesetzt. Das ist aber anscheinend kein Problem.

Es war eines der Topthemen der vergangenen Tage: Deutsche Autobauer haben in den vergangenen Jahren ein paar Affen und Menschen auf Dieselabgase testen lassen. Und das ging so: In den USA wurden zehn Affen in einen Raum gesperrt. Dort mussten sie die Auspuffgase eines VW Beetle Diesel einatmen – vier Stunden lang. Ihnen sei es anschließend gut gegangen.
Bei den Menschen war es ähnlich: Die Uni Aachen ließ neunzehn Männer und sechs Frauen mehrere Stunden lang Stickstoffdioxid (NO2) einatmen. In unterschiedlicher Konzentration. Danach untersuchten Wissenschaftler das Blut, die Lungenfunktion und die Ausscheidungen der Probanden. Das Ergebnis auch hier: „keine signifikante Beeinträchtigung“ der Gesundheit.
Für die deutschen Autobauer VW, BMW und Daimler wurden die Tests dennoch zum Desaster. Statt zur Reinwaschung der Dieselmotoren (NO2 = ungefährlich) kam es zu einem Aufschrei. Autoexperten bezeichneten die Tests an Affen und Menschen „jenseits von Gut und Böse“, Politiker bekundeten ihr „Entsetzen“. Skandal! An Tieren und Menschen testet man keine so gefährlichen Gase wie Stickstoffdioxid. Dies sei „unethisch“. Und damit moralisch nicht vertretbar.
Das ist interessant, denn entlang der Brenner­autobahn findet ähnlich Skandalöses statt, seit Jahren: Hier werden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) beinahe täglich überschritten, zum Teil um 100 Prozent und mehr. Zehntausende Menschen und noch viel mehr Tiere müssen quasi in einem riesigen Feldversuch belastete Luft einatmen, jeden Tag, jede Stunde.
Das Reizgas NO2, das weiß man längst, belastet die Gesundheit von Menschen und Tieren. Bei Kindern kann es das Lungenwachstum verzögern, zu Atemwegsbeschwerden, zu Allergien und zu Asthma führen. Bei Erwachsenen kann sich die Lungenfunktion verschlechtern, es kommt zu Asthmasymptomen und Herz-Kreislauf-Problemen.
Mehr noch: Aus dem jüngsten Luftqualitätsbericht der EU geht hervor, dass in Europa jedes Jahr 75.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von erhöhten Stickoxid-Werten sterben. Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz rechnet mit jährlich rund 70 vorzeitigen Todesfällen in Südtirol. Skandal?
Es hat nicht den Anschein. Südtirols Politiker nehmen die skandalösen Zustände entlang der Brennerautobahn seit Jahren hin, nicht einmal die Grünen haben mehr genug Luft, um ihre Empörung – sofern sie überhaupt noch empört sind – lauthals zu verkünden.
Einzig der Tiroler Transitguru Fritz Gurgiser wird nicht müde, wöchentlich auf den „Transit-Terror“ aufmerksam zu machen. Die „Xundheit“ von Mensch und Tier, sagt er, müsse an erster Stelle stehen. Und nicht der freie Warenverkehr.
Da ist schon was dran, an der Kritik ­Gurgisers. Denn die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Das wusste schon der Philosoph Arthur Schopenhauer.
Tröstlich könnte an dieser Stelle stimmen, dass es den zehn Affen nach dem Abgastest gut gegangen ist. Sie erlitten angeblich keine gesundheitlichen Schäden. Aber die Affen mussten ja auch nur vier Stunden in der Beetle-Abgas-Kammer ausharren.
Wir Affen, die da entlang der Brennerautobahn leben, werden ungleich länger dem Reizgas Stickstoffdioxid (NO2) ausgesetzt. 24 Stunden pro Tag, 168 Stunden pro Woche, 8.760 Stunden pro Jahr, 700.000 Stunden pro Leben eines 80-Jährigen. Da braucht es die Robustheit eines Pferdes, um nicht schon vorher ins Gras zu
beißen.
Nur Skandal zu rufen, hilft natürlich niemandem. Aber diese unhaltbaren Zustände einfach so hinzunehmen, wäre ein noch größerer Fehler. 

Leserkommentare

Kommentieren

Sie müssen sich anmelden um zu kommentieren.