Leitartikel

Italien ist unregierbar. Wirklich?

Aus ff 10 vom Donnerstag, den 08. März 2018

Zitat
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Keine Aussicht auf eine Regierung: Das ist die Stimmung nach den Parlamentswahlen in Italien. Dabei gäbe es ein Bündnis, das Italien nachhaltiger verändern könnte als je zuvor.

Italien ist nach den Wahlen am Sonntag unregierbar. Wieder einmal. Ist es wirklich unregierbar? Italien hat nach dem Zweiten Weltkrieg viele Regierungen gesehen, aber es war immer eine stabile Demokratie. Den Brigate Rosse, der P2, den faschistischen Putschgelüsten, der kommunistischen Partei, als sie noch moskauhörig war, oder Silvio Berlusconi zum Trotz.
Jetzt liegt das Parteiensystem zum zweiten Mal nach Tangentopoli in Trümmern. Der Partito Democratico (PD) wird sich in den kommenden Wochen selber zerlegen und Forza Italia werden die Kräfte schwinden trotz Gesundheitskuren für den alten Silvio, dessen Sirenengesänge die Kraft verloren haben.
Jetzt gibt es eine neue starke Kraft, der es seltsamerweise gelingt, die Gegensätze zusammenzuzwingen, deren Exponenten entlaufene Grüne und Kinder von alten MSI-Funktionären sind und deren Programm ein Supermarkt ist, aus dem sich alle bedienen können, Ausländerhasser wie Umweltschützer. Es ist die 5-Sterne-Bewegung mit Luigi di Maio im Vorder- und Beppe Grillo im Hintergrund. Die 5-Sterne-Bewegung ist eine junge politische Partei (Pardon: „Bewegung“), noch jünger als die Lega, die sich von der Separatistenpartei zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen, großmäuligen politischen Kraft gewandelt hat. Freilich ist nicht die Lega die älteste Partei im Parlament, wie in italienischen Fernsehsendungen gerne behauptet wird, sondern die Südtiroler Volkspartei.
Italien wird viel Häme ertragen müssen nach dieser Wahl, dabei müssten gerade deutsche Medien vorsichtig sein nach der schwierigen Regierungsbildung in Deutschland. Es wird von ­Chaos die Rede sein, von einer „Wutwahl“, von einer Zersplitterung der Parteienlandschaft. Das hat freilich ebenso Tradition wie das Mehrheitswahlrecht in Großbritannien. Und was ist falsch daran, die politische Vielfalt des Landes im Parlament abzubilden? Ist nicht gerade das Demokratie?
Man muss jetzt nicht auf das Klischee der italienischen Improvisationskunst abheben, um sich eine Regierung vorzustellen. Sie muss nicht unbedingt aus Lega und Cinquestelle bestehen, dem Monster, das die Wahlverlierer von PD und Liberi e uguali und ausländische Medien an die Wand malen. Es könnte auch eine Regierung aus PD, ohne Renzi, und Cinquestelle sein, wenn die „Sterne“ einsehen, dass jetzt die Chance besteht, diese Republik nachhaltiger zu verändern als je zuvor. Die „Sterne“ wissen ja, sie könnten verglühen, wenn sie sich noch einmal fünf Jahre in der Opposition aufreiben. Für Luigi di Maio, ­ihren Spitzenkandidaten, ist es ohnehin die erste und letzte Chance zu regieren, wenn die 5-Sterne-Bewegung nicht die Beschränkung auf zwei Mandate aufhebt.

Die 5-Sterne-Bewegung war im Wahlkampf das Hassobjekt von Renzi und Berlusconi: Nach der Wahl versteht man, warum. Gerade der PD und die 5-Sterne-Bewegung neigen dazu, einander zu dämonisieren. Matteo Renzi, der Vorsitzende des PD, hat keine Gelegenheit ausgelassen, di Maio an den Pranger zu stellen. Medien wie La Repubblica sind ihm dabei willig gefolgt. Andere sind in der Beurteilung der Arbeit der Cinquestelle fairer. ­Florian Kronbichler, der scheidende Abgeordnete der Grünen in Rom, erzählt gerne, dass er aufseiten der 5-Sterne-Bewegung viele fähige Kollegen getroffen habe.
In Wahrheit haben PD und Grillini mehr Schnittmengen, als sie zugeben wollen, und auch in der Migrationsfrage sind sie nicht so weit voneinander entfernt. Schon vor fünf Jahren hätte die 5-Sterne-Bewegung die Chance gehabt, Italien zu verändern. Sie war dazu nicht imstande, weil unfähig zum Kompromiss – das scheint sich zu ändern. Was macht der PD? Wird er die Chance ergreifen, wenn Luigi di Maio zum Gespräch bittet? Wenn nicht, drohen Neuwahlen, bei denen Mitte-links auf Zwergengröße zu schrumpfen droht und die Lega noch stärker wird.
Politiker müssen keine Freunde sein, aber sie müssen die Kunst des Kompromisses beherrschen, die Kunst, Untergriffe zu verdrängen, und in einer ungewöhnlichen Lage ungewöhnliche Dinge tun. Im Namen des Volkes. 

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