Leitartikel

Mehr Opposition wagen

Aus ff 11 vom Donnerstag, den 15. März 2018

Zitat
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Die Parteien der Opposition eint das Schicksal, Opposition zu sein. Aber anstatt gemeinsam als Gegenspieler der Regierung zu handeln, zerfleischt sie sich lieber selbst.

In den letzten Jahren seines Lebens ließ der Schriftsteller Stefan Zweig „Die Welt von Gestern“ noch einmal auferstehen, das alte Europa, die k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn, Wien, die Welt der Jahrhundertwende, die spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg untergegangen war. Die neue Welt fraß die alte auf.
Viel deutet darauf hin, dass es wieder so weit ist, eine „Welt von gestern“ zu verabschieden. Viele alte Gewissheiten brechen weg, die guten alten ideologischen Trennlinien werden immer undeutlicher, an den Rändern etablieren sich neue Wettbewerber, und den etablierten Parteien kommen die Wähler abhanden.
In der Welt von heute hat die Verachtung gegenüber Politik und Politikern erschreckende Ausmaße angenommen. Doch die reagieren bislang hilflos oder gar nicht.
Und so lässt sich nach diesen Parlamentswahlen viel Kurioses beobachten. Das irrwitzige nationale Ergebnis ist nur eine Facette davon. Eine andere, wenngleich viel kleinere, ist das große Gefeixe der Opposition in unserer Provinz. Anstatt mit Einigkeit gegenüber der Regierung aufzutreten, zeigt sie interne Zerstrittenheit.
Die Freiheitlichen zum Beispiel, die größte Oppositionspartei, stehen nach dieser Wahl ziemlich gerupft da, obwohl sie selbst nicht einmal kandidiert haben. Genau das kritisieren nun einzelne Exponenten und Mandatare der ­Blauen öffentlich – nachzulesen im Tagblatt der Südtiroler. Es sei „nicht richtig, am Spielfeldrand zu sitzen und hineinzubrüllen“, heißt es beispielsweise. Oder dass man die eigenen Wähler „im Regen“ habe stehen lassen. „Wenn man die Bude rocken will, sollte man zumindest bei Wahlen antreten.“
Das mag alles stimmen. Eine Oppositionspartei, noch dazu die stärkste im Land, die den Wählern die Alternative vorenthält, erledigt wahrlich nicht ihr Geschäft. Nachtreten allerdings ist schlechter Stil.
Die Menschen sollten merken, dass die Alternative fehlt, sagt der Freiheitlichen-Obmann. Mit Verlaub, aber ist es nicht der der Job der Opposition, aufzuzeigen, dass man die Alternative ist? Politisch zu sein, bedeutet doch – und auch Oppositionspolitiker sind ja per se politisch –, dass man die Welt für veränderbar hält. Und dass man sich selbst nicht als Spielfigur böser Mächte betrachtet und sich schmollend in die Ecke zurückzieht. Wie will man von den Menschen politisches Engagement fordern, wenn man sich selbst nicht am Spiel beteiligt?

Von Jacques Chirac, dem ehemaligen französischen Präsidenten, stammt der schöne Satz: „Aufgabe der Opposition ist es, die Regierung abzuschminken, solange sie auf der Bühne steht.“
Die Opposition sollte sich nicht selbst abschminken.
Die Südtiroler Grünen zum Beispiel haben sich Chiracs Aussage zu eigen gemacht und kandidiert. Sie haben sich getraut, obwohl auch sie wussten, dass es mit diesem Wahlgesetz für sie ­alles andere als leicht würde. Freilich, das Wahlergebnis ist bescheiden, das Bündnis mit Liberi e uguali überzeugte nicht alle. Aber muss man deshalb noch einmal kräftig nachtreten?
Man hätte sich „mehr darum bemühen sollen, schlagkräftige Allianzen zu schmieden“, wird der Kammerabgeordnete Florian Kronbichler von der Südtiroler Tageszeitung zitiert. Und: Hätte im Bezirk Bozen-Unterland ein Riccardo Dello Sbarba kandidiert, „hätten wir das Spiel der SVP mit ihrer geliehenen Kandidatin eher durchkreuzen können“. Auch habe man es verabsäumt, mit den Parteien, die nicht zur Wahl angetreten sind, zumindest mal zu reden.
Auch hier kann man nickend zustimmen. Doch mit derlei internem Gezänk bleibt die Opposition unter ihren Möglichkeiten, einmal wieder. Dabei würden es ihr die Regierung und die Mehrheitspartei nicht schwer machen: Auch sie blieben weit unter ihren Möglichkeiten.
Für die SVP bleibt es dennoch bequem: Sie sieht sich keinem geeinten Oppositionsblock gegenüber, sondern einem Hühnerhaufen, in dem alle durcheinandergackern.
Ob die großen Umbrüche unserer Zeit in den Untergang führen oder in eine bessere Zeit, ist noch nicht ausgemacht. Fakt ist: Wir, die Wähler gleichermaßen wie die Politiker, sind keine Zuschauer. Wir sind mittendrin. 

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