Leitartikel

Politische Bettgeschichten

Aus ff 15 vom Donnerstag, den 12. April 2018

Zitat
© FF-Media
 

Man tritt heutzutage aus der Kirche aus, lässt sich scheiden oder wechselt den Arbeit­geber. Aber wehe, eine Partei wechselt ihren Partner!

Es gibt da dieses Spiel, das wohl fast jeder schon mal als Kind gespielt hat. Jeder Spieler, bis auf einen, stellt sich zu einem Baum. Dieser eine steht zwischen den Bäumen und ruft irgendwann: „Bäumchen wechsle dich“. Daraufhin laufen alle anderen Spieler zu einem neuen Baum, Stehenbleiben verboten. Wer keinen freien Baum mehr findet, wird zum neuen Fänger.
Politik ist oft ein solches Spiel in fest abgestecktem Kreise wie „Bäumchen, wechsel dich“. Statt Bäume muss man sich nur Parteien und Bewegungen denken. Da rennen erwachsene Menschen, alias Politiker, von einem Baum zum anderen in der Hoffnung, a) ein Mandat zu finden, das beim vorigen nicht mehr zu haben ist, oder b) einen neuen Partner zu finden, bei dem man sich bessere Machtoptionen verspricht. Wer zu lange in der Mitte verweilt, geht leer aus.
Insbesondere vor jeder Wahl, und kurz nach jeder Wahl lässt sich dieses politische Ringelspiel gut beobachten. Manchmal dreht es sich so schnell, dass man leicht den Überblick verliert.

Die SVP zum Beispiel. Seit Jahren hat sie sich einem Abkommen mit dem Partito Democratico (PD) verschrieben. Auf nationaler Ebene in Rom, auf lokaler Ebene in der Landesregierung. Davon abgehalten, sich mit den italienischen Rechten zusammenzutun, wenn es opportun erscheint, hat die große Partei das nie.
In Leifers regiert sie mit der Lega, in Bruneck mit dem rechten Polo di Brunico. Im europäischen Parlament sitzt sie gemeinsam mit Parteien wie Forza Italia von Berlusconi und der ungarischen Fidesz-Partei von Viktor Orban in der Fraktion der Europäischen Volkspartei. Für die Wahl selbst war sie allerdings noch eine Listenverbindung mit dem PD eingegangen.
Oder damals, im Sommer 2008, als der ehemalige Lega-Minister Roberto Calderoli den damaligen Landeshauptmann Luis Durnwalder in Pfalzen besucht hat. Was gab es da für einen Aufschrei! Vom „patto dello speck“ war da die Rede, von einem „politischen Sommerflirt“ und parteiintern zoffte sich der soziale Flügel mit dem Wirtschaftsflügel über eine Blockfreiheit.
Heute findet sich die SVP wieder in einer Situation, wo sie nicht umhinkommt, „selbstverständlich mit allen zu reden, die an uns herantreten“ – so benennt das Parteiobmann Philipp Achammer. Die SVP habe diesbezüglich keine Vorbehalte. Der Oppositionspolitiker Andreas Pöder nennt das: „sich durch die politischen Betten schlafen“. Die SVP, sagt der ­Abgeordnete der Bürgerunion, „ist wie eine politische Prostituierte“, sie lege sich in Rom „mit dem gerade Meistbietenden ins Bett“. Damit setze sie Südtirols Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Dass das ein Mann sagt, der selbst viele Gesichter hat, ein politisches Chamäleon, das rechts wie links ankommen will, macht das Ganze nicht besser.

Es ist heutzutage ja oft so: Man tritt aus der Kirche aus, lässt sich scheiden, wechselt den Arbeitgeber, nur die Partei, oder gar den politischen Bündnispartner, den sollte man doch bitte lieber nicht wechseln. Dabei verhält es sich mit der Treue in der Politik heute so unklar wie eh und je. Fast jeder kann mit jedem.
Keiner will sich festlegen oder sich von vornherein Machtoptionen verbauen. Wahrhaftigkeit, Treue und Ehre sind im politischen Geschäft zwar hehre Begriffe. Aber zwischen Worten und Taten klaffen große Lücken.
Beppe Grillo warnte jüngst Luigi Di Maio vor einem „inciucio“, einem Techtelmechtel. Die Fünfsternebewegung solle ja nicht mit dem Feind ins Bett steigen. Sie verlöre ihre Jungfräulichkeit, ihre politische Integrität.
Die Politik hat ihre eigenen Spielregeln. Es ist immer wieder faszinierend zu beobachten, wie sich ihre Vertreter das eigene Verhalten – ob beim „Bäumchen wechsle dich“-Spiel oder in anderen Bereichen – schönreden. Wie bei sich ein ­Verhalten rechtfertigen, das sie bei anderen ­verurteilen?
Diese Charakterlosigkeit aber, die seit geraumer Zeit zu beobachten ist, richtet genau jenen Schaden bezüglich der Glaubwürdigkeit der Politiker an, den sie sonst lauthals beklagen – bei anderen. Aber klar, was ficht sie das schon an? Es geht um ihren Platz bei einem Baum und darum, dass sie nicht übrig bleiben. 

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