Haben Bäuerinnen die Voraussetzungen, Alte und Kranke zu pflegen. Gastkommentar von Kathrin Huebser und Marta von Wohlgemuth in ff 22/18
Leitartikel
Luft für die Demokratie
Aus ff 23 vom Donnerstag, den 07. Juni 2018
Landeshauptmann Arno Kompatscher beklagt das Misstrauen gegen Politik und Politiker. Beklagt er sich zu Unrecht? Oder hat die Politikerschelte jedes Maß verloren?
Der ehemalige Landeshauptmann Luis Durnwalder führte einen Terminkalender, der eng bekritzelt war. Er ist heute im Turm von Schloss Tirol ausgestellt, wo die Geschichte des Landes museal fixiert ist. Eng beschrieben war auch das Notizbuch in Durnwalders Kopf, wenn es um seine Widersacher ging. Er vergaß nicht, wer ihn bekämpft oder ihm widersprochen hatte.
Der jetzige Landeshauptmann Arno Kompatscher unterscheidet sich in vielem von seinem Vorgänger, sie fremdeln erkennbar, wenn sie zusammen auftreten (müssen). Kompatscher hat versucht, die Durnwaldersche Bittgang-Demokratie, die frühmorgendlichen Pilgerfahrten zum Landhaus 1 nach Bozen, in geordnete Bahnen zu lenken. Er hält Bürgerversammlungen ab – 100 im ganzen Land hat er schon hinter sich. Er poltert nicht, er hört zu. Hier tritt nicht mehr ein Patriarch auf, der einmal mit väterlicher Milde, ein andermal mit väterlicher Härte den Hof verwaltet. Hier tritt einer auf, der den Kontakt mit den Bürgern sucht – obwohl dies manchmal eher wie eine Pflicht denn wie ein Vergnügen wirkt.
Eines verbindet freilich Durnwalder mit Kompatscher. Kompatscher ist sehr, sehr empfindlich, wenn es um sein Image, um Kritik, sein Selbstbild geht. Kürzlich, bei einer der letzten Bürgerversammlungen in Bozen-Gries, beklagte Kompatscher das Misstrauen gegen Politik und Politiker. Den Worten war zu entnehmen, dass er es persönlich nimmt: Er verzichte zugunsten der politischen Arbeit auf vieles, sagte er.
Nun, wer Politiker wird, darf sich nicht beklagen. Er weiß, was er tut, er setzt sich freiwillig der Öffentlichkeit aus. Er muss mehr ertragen. Und Volksvertreter haben, was ihre finanzielle Ausstattung angeht, immer noch eine herausragende Position.
Aber beklagt Kompatscher sich ganz zu Unrecht?
Politiker sehen sich heute einer enthemmten Öffentlichkeit gegenüber, besonders im Netz, wo es von Unterstellungen und Halbwahrheiten nur so wimmelt. Nichts rechtfertigt die Verachtung und die Häme, die Politikern und Politik dort entgegenschlagen. Was Südtiroler Politiker tun (oder anstellen), ist in jedem Fall unproportional zum Hass, dem sie sich ausgesetzt sehen.
Hass und Häme kommen nicht selten aus dem Inneren des Systems, von den Parteien, die im System sitzen und sich als Antisystemparteien darstellen. Meister darin waren (sind) die Parteien, die jetzt in Rom regieren. Der Abbau der Demokratie hat nicht selten mit Politikern begonnen, die im Parlament das Parlament und die Demokratie diskreditierten. Wer zum Beispiel ein Parlament als „Schwatzbude“ bezeichnet, sollte wissen, dass die Nazis den Reichstag in der Weimarer Republik systematisch als „Schwatzbude“ denunzierten.
Der Abbau der Demokratie geht heute weiter mit den Trollen im Netz, die kritisieren und hetzen. Und sich verstecken. Warum treten sie nicht ans Licht, etwa indem sie sich in eine Partei einschreiben, Zeit aufwenden, um die Gesellschaft zu verändern? Sie würden dann am eigenen Leib erleben, dass Politik manchmal mühselig ist, dass Demokratie Kompromiss bedeutet, dass es mit Schreien nicht getan ist.
Demokratie ist Dialog, Auseinandersetzung auf der Grundlage von Argumenten (unter Umständen auch hart und pointiert). Dialog basiert auf Fakten, auf Wissen, nicht auf Gefühlen – doch in vielen Fällen, vor allem im Netz, aber auch im Wahlkampf oder im Landtag herrscht die Politik der Gefühle, die Diktatur des Bauches.
Es herrscht großes Misstrauen gegenüber der Politik und den Politikern. Dabei sagen selbst Leute, die sich nicht leicht einseifen lassen: Politiker arbeiten viel und hart, sie sind in der Regel nicht die Nichtstuer, als die sie in der Öffentlichkeit dargestellt werden.
In einem hat Arno Kompatscher recht: Wer etwas für die Demokratie tun will, muss handeln. Man bewahrt sie nur so, egal, in welcher Partei und mit welcher politischer Gesinnung. Sonst ist es wie mit der Luft. Erst, wenn man um Atem ringt, merkt man, dass sie fehlt.
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Leserkommentare
1 KommentarMarkus Hopfenspirger
07. Juni 2018, 11:40Ich denke auch, dass Politiker viel – meist sogar sehr viel – arbeiten. Eine 40 Stunden Woche dürfte für die meisten Politiker wie Urlaub klingen. Und Hass, egal gegen wen, sollte bekämpft werden!!!
Das Mistrauen gegen Politiker heutzutage wächst in der Bevölkerung, nach meinem Empfinden, immer mehr an und daran sind die Politiker teils selbst Schuld.
Ein Beispiel bezogen auf Herrn Kompatscher zum Thema Mals: In einer Antwort auf eine E-Mail Aktion zum Thema Pestizidfreiheit schreibt Herr Kompatscher:
„… In Bezug auf Ihr Schreiben zur Unterstützung der „Pestizid-Rebellen von Mals“ ist es mir ein großes Anliegen, Sie darauf hinzuweisen, dass die Informationen auf den Internetseiten des Umweltinstituts München e.V. in weiten Teilen falsch bzw. durch extreme Vereinfachungen gekennzeichnet sind. So ist auf der genannten Seite beispielweise Folgendes zu lesen: „Die BürgerInnen aus dem Südtiroler Dorf Mals haben als erste Gemeinde Europas beschlossen, Pestizide in ihrem Ort zu verbieten. Doch die Landesregierung will lokale Pestizidverbote unmöglich machen, indem sie den Gemeinden die Zuständigkeit entzieht.“ Der Sachverhalt ist ein anderer: Von Anfang an war klar, dass die Gemeinde in diesem Bereich keine Zuständigkeit hat, weil die nationale und europäische Gesetzgebung greift. Die Gemeindepolitik hat beschlossen, sich darüber hinwegzusetzen und trotzdem eine Volksbefragung abzuhalten. Nun scheitert die Gemeinde an der Umsetzung eines Versprechens, das von Anfang an unhaltbar war. Die Verantwortung dafür der Landesregierung zuzuschieben, ist falsch. …“ (Quelle: Zitat aus dem Mail vom 28.3.2017 von Herrn Kompatscher an alle Teilnehmer der Mail Aktion)
Die Klarstellung des Umweltinstituts daraufhin: „In einer Antwort an die TeilnehmerInnen unserer Aktion behauptete Kompatscher, dass kommunale Pestizidverbote von Anfang an nicht möglich waren. Tatsächlich jedoch hat die Landesregierung den Gemeinden erst nach dem Bürgerentscheid in Mals per Gesetz die Zuständigkeit entzogen.“ (Quelle: Zitat aus der Richtigstellung des Umweltinstituts vom 7.4.2017)
Was stimmt nun?
Der Bürgerentscheid von Mals war Anfang 2016. Das neue Gesetz für das Verbot solcher Bürgerentscheide auf Gemeindeebene („den Gemeinden [...] im Bereich der nachhaltigen Verwendung von Pestiziden jene Verwaltungsbefugnisse zu[stehen], die ihnen vom Land Südtirol im Einvernehmen mit dem Rat der Gemeinden zugewiesen oder übertragen werden.") kam erst im April 2016 und wurde vom Südtiroler Landtag, also von der Landesregierung, verabschiedet.
Herr Kompatscher schreibt in dem Mail von oben auch: "In Südtirol verfolgen wir seit Jahrzehnten eine Politik, die den Schutz der Umwelt und die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel im Fokus hat. … Nahezu jeder zweite Bio-Apfel in Europa kommt aus Südtirol."
Ich war die letzten zwei Wochen in Südtirol im Urlaub. Bis auf "Südtiroler Bio Heumilch", ein (ein einziges von einer sonst riesigen Auswahl) Bio Brot in einer Bäckerei und ein paar vereinzelte Bio Produkte in den Regalen konnte ich keine Bioprodukt in den zahlreichen Lebensmittelgeschäften finden, die ich aufgesucht habe. Bio Äpfel, Obst und Gemüse aus Südtirol fehlte vollständig...
Ich stimme Herrn Kompatscher voll und ganz zu: Wer Demokratie will muss handeln. Bei einigen Politikern (Herr Kompatscher evtl. ausgenommen) sind die Worte schön, aber es folgt kein Handeln - oder sogar ein Handeln entgegen der Worte...
Politiker die Ihre Worte und Versprechen umsetzten, das würde Vertrauen schaffen. antworten
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