Leitartikel

Die grausliche Macht von Symbolen

Aus ff 30 vom Donnerstag, den 26. Juli 2018

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Der Fall Mesut Özil lehrt uns, wie gefährlich es ist, leichtfertig mit Gesten und Symbolen umzugehen. Fahnen und Hymnen können Freude bereiten – aber auch Menschen gegeneinander aufbringen. Das gefährliche Spiel mit dem Doppelpass.

Symbole können wunderbar sein – oder grauslich. Symbole könne dazu dienen, Menschen zusammenzubringen – oder zu trennen.
Der Doppelpass, so sagt man mir, sei ein Symbol: für die Verbundenheit der Südtiroler mit ihrem Vaterland. Klingt schön. Blöd nur, dass der Begriff Südtiroler in diesem Fall nicht alle Südtiroler meint, sondern nur einige, nur die „richtigen“, die „echten“. Für die anderen, die nicht gemeint sind, also die „nicht richtigen, nicht echten“ Südtiroler, wird der Doppelpass, auf den sie kein Anrecht haben werden, notgedrungen zu einem Symbol der Trennung – der Trennung von den eigenen Mitbürgern. Hier die richtigen, dort die falschen Südtiroler.
Ich gebe zu: Ich habe ein Schwäche für Symbole. Wenn vor einem WM-Spiel die Nationalhymne erklingt und Spieler wie Fans mit geschwollener Brust und lauter Kehle irgendeinen bescheuerten Text zu einer meist martialischen Musik grölen, läuft es mir angenehm kalt über den Rücken. Weil ich das Gemeinsame, das Verbindende darin sehe: eine eingeschworene Gruppe von Freunden, die sich abklatschen, give me five, wie man heute sagt, und ins Abenteuer aufbrechen. Kitschig, romantisch, schön.
Dann gibt es jene, die das Schöne und Kitschige missbrauchen – für politische Zwecke. Oder jene, die nicht mitsingen und damit zu verstehen geben, dass sie eigentlich nicht dazugehören. Nicht dazugehören wollen. Weil sie anders sind, etwas Besonderes, weil sie in diesem symbolischen Ritus nicht das Gemeinsame, sondern das andere sehen, von dem sie sich abheben, mit dem sie nichts zu tun haben wollen.
Aus der Affäre rund um Mesut Özil kann man lernen, wie schnell eine banale symbolische Geste in eine knallharte politische Auseinandersetzung umschlagen kann – und daraus sogar ein veritabler Rassenkrieg entsteht. Mesut Özil: in Deutschland geboren, in Deutschland zum Fußballspieler ausgebildet, Weltmeister mit der deutschen Nationalmannschaft 2014. Und was tut dieser Kerl, der als Symbolfigur für gelungene Integration von Menschen mit Migrationshintergrund gilt? Er überreicht kurz vor der WM dem türkischen Präsidenten Erdogan ein Leibchen – mit der Botschaft: „Meinem Präsidenten“.
Die Symbolkraft der Geste war klar: Ich spiele für Deutschland, aber mein Herz schlägt für die Türkei und dessen Präsidenten. Diktator hin oder her: Erdogan ist „mein Präsident“, nicht Steinmeier. Rums.
Eine kleine Geste nur, ein kleines Symbol – aber mit gewaltiger Sprengkraft. Plötzlich ist dieser Özil nicht mehr Symbol für gelungene, sondern für gescheiterte Integration. Plötzlich knüppeln die Deutschen mit der Rassismuskeule auf sich ein. Hier die richtigen Deutschen, dort die falschen. Hier gut, dort Vaterlandsverräter.
Egal, ob der deutsche Multimillionär und Erdogan-Fan Özil bewusst provozieren wollte – oder ob er zum willkommenen Sündenbock wurde, um offene Rechnungen zwischen Volksgruppen zu begleichen und Ressentiments zu befeuern. Interessanter ist die Eigendynamik solcher Gesten: Es scheint, dass es immer noch genügend Menschen gibt, die nur darauf warten, die gewissen Symbolen innewohnende Kraft in gesellschaftlichen Sprengstoff zu verwandeln. Das macht die Sache gefährlich.
So sehr ich mich bemühe, im Doppelpass ein Symbol für etwas Verbindendes, Europäisches zu sehen: Ich fürchte, dass jene, die ihn fordern, etwas anderes im Sinne führen – etwas, das uns Südtirolern gar nicht guttun kann.
Aber es ist doch bloß ein kleines Symbol, wird jetzt jemand einwenden. Was soll denn daran schlecht sein?
Es wäre nicht das erste Mal, dass mit einem kleinen Symbol großer Mist gebaut wird.

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