Leitartikel

Überhitzter Tourismus

Aus ff 33 vom Donnerstag, den 16. August 2018

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Der Fremdenverkehr ist eine wichtige Konjunkturlokomotive. Einerseits. Andererseits empfinden viele Einheimische die Beliebtheit ihrer Heimat oft auch als Heimsuchung.

Meer oder Berge. Schwimmen oder Schwitzen. Fischplatte oder Knödel. Badeanzug oder Trekkingkleidung. Es sind jeden Sommer die gleichen Fragen, die einen quälen. Doch es gibt keinen Kompromiss. Man muss sich entscheiden.
In diesen Tagen um Ferragosto, Mariä Himmelfahrt, steigert sich der Sommer zu seinem Höhepunkt. In vielen Städten ist es auch der Höhepunkt der Leere: Selbst die, die sich keinen richtigen Urlaub leisten können, machen einen Kurzausflug ans Meer oder in die Berge, je nach Nähe der Haustür.
Von Leere kann in Südtirol keine Rede sein. Eben weil sich viele Urlauber auch in diesem Jahr für dieses Land entschieden haben, für Ausspannen und Auftanken zwischen Brenner und Salurn. Ende Juli hat beispielsweise das Landesinstitut für Statistik (Astat) Daten zu den Tourismusströmen in den Alpenregionen veröffentlicht. Mit 4.000 Betrieben und über 150.000 Betten liegt Südtirol demnach nach Tirol auf Platz zwei unter elf Alpenregionen. Was den Beherbergungsindex jedoch anbelangt sowie den Index der Tourismus-
intensität, liegt Südtirol mit 13,2 Prozent ganz vorne – gefolgt von Tirol mit 12,7 Prozent.
Wow, denkt man da, das Tourismus-Wunderland Südtirol – die pure Verlockung.
Nicht unbedingt aber für die Einheimischen. Viele nämlich empfinden – unbeschadet von den positiven Effekten für Konjunktur und Beschäftigung – die Beliebtheit ihrer Heimat als Heimsuchung. Sie stecken noch öfter und noch länger im Stau, überfüllt sind neben den Straßen auch Bus und Bahn, ja, und selbst die bloße Anwesenheit von immer größeren Touristenmassen ist an vielen Orten gewissermaßen psychologisch unerträglich geworden. Auch für die Touristen selbst. Wo Tausende Urlauber Wanderwege, Gasthöfe und Ortskerne bevölkern, und man oft keinen Schritt machen kann, ohne dem anderen auf die Flip-Flops oder Bergschuhe zu steigen, fühlen sich weder Gäste noch Gastgeber wohl.

In den vergangenen Monaten ist oft über die Frage „Wann ist genug genug?“ diskutiert worden. Und, ehrlich gesagt, sie kann nicht oft genug thematisiert werden. Neben allem Verständnis für den Wohlstand und die Wirtschaft des Landes sollten die politisch Verantwortlichen nicht den Schutz der Einheimischen vergessen beziehungsweise vernachlässigen. Weil, es ist nicht zu erwarten, dass sich die Branche selbst freiwillig Grenzen auferlegt.
Und wenn sie dann, wie vergangene Woche, darüber klagt, dass die Hotels im August noch nicht ausgebucht seien, dann kann man nur den Kopf schütteln und sich wundern. Die Vier-Sterne-Betriebe, so heißt es, würden nun ihre Preise senken. Was freilich wiederum Auswirkungen auf die Nachfrage bei den unteren Kategorien zur Folge hat. Gleichzeitig wird vermeldet, dass immer häufiger nun auch Gäste aus Südkorea, Japan und Russland in den Sommermonaten buchen. Schließlich will man ja etwas vom Unesco-Weltnaturerbe Dolomiten gesehen haben.
Fragt sich also: Bitte, was soll das?
Wie wäre es, anstatt bei einigen leeren Betten gleich den Teufel an die Wand zu malen, die Einheimischen verstärkt miteinzubeziehen?
Zum Beispiel bei der Frage, wie der Tourismus in ihrem Dorf, in ihrer Stadt, in ihrem Land aussehen soll. Auch die Politik wird gewinnen, wenn sie begreift, dass sie das Land auch in dieser Hinsicht weiter reformieren muss. Denn ein Urlaub, der den Grund für den Urlaub – nämlich die Kultur, die Landschaft und die Schönheit eines Ortes – zerstört, ist widersinnig.

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