Titelgeschichte in ff 32/18 über den Südtiroler Usman Khan, der vor drei Jahren nach Pakistan abgeschoben wurde
Leitartikel
Zuerst umarmen, dann verstoßen
Aus ff 35 vom Donnerstag, den 30. August 2018
Drei Jahre hielt in Innichen die Koalition aus SVP und Bürgerliste. Es war von Anfang an ein wackeliges Konstrukt. Trotzdem hat es Hoffnungen geweckt.
Es war vor allem ein politisches Signal, eine Wette auf die Zukunft. Die Hoffnung auf etwas, das man vielleicht irgendwann in mehr Gemeindestuben, ja, in der Politik insgesamt antreffen würde. Eine Wette, die mehr versprach als viele andere Optionen.
Rosmarie Burgmann und Simone Wasserer waren das erste Damen-Doppel an der Spitze einer Südtiroler Gemeinde. In einem Land, in dem Frauen noch immer kein großer politischer Machtfaktor sind, haben die zwei Innichnerinnen damals, im Juni 2015, eine atemberaubende Wende vollzogen. Atemberaubend auch deshalb, weil die eine, Burgmann, als Bürgerlistlerin zur Bürgermeisterin gewählt wurde, und sich dann die andere, Wasserer, eine SVP-Quereinsteigerin, zur Stellvertreterin nahm.
– „Jeder im Dorf weiß, dass Rosmarie eine fähige Frau ist, eine Kämpferin“, sagte Wasserer damals zu ff, und Burgmann: „Ich bin sicher, dass wir durch unser Frausein eine andere Diskussionskultur etablieren werden.“ –
Es geschehen, so dachte man, noch Zeichen und Wunder – auch in der Politik. Man mochte den zwei Frauen wirklich glauben, sie hatten irgendwie einen neuen Ton gefunden.
Mittlerweile ist aus der weiblichen Politik wieder eine konventionelle geworden. Vor einer Woche hat die SVP das Regierungsbündnis mit der Bürgerlisten-Bürgermeistern aufgekündigt. „Bei fast jeder Initiative“, so heißt es im entsprechenden Schreiben der Partei, „wurde uns großes Misstrauen entgegengebracht und mit allen Mitteln versucht, die Vorhaben zu verhindern“.
Das Paradoxe ist: All diese Vorwürfe sind bekannt. Nur war es in Vergangenheit immer die politische Opposition, die der SVP genau dasselbe vorgeworfen hat: zu wenig Transparenz, zu undemokratisch, zu selbstherrlich, zu viele Machtspielchen und und und. „Eine solche Art, Politik zu machen“, heißt es im SVP-Schreiben, „hat es in der Vergangenheit nie gegeben.“ Ein Satz, der gleichermaßen tragisch wie komisch ist. Natürlich hat es eine solche Art von Politik nie gegeben. Weil die SVP in Vergangenheit vor allem eines kannte: die Alleinherrschaft. Zusammenarbeit oder gar Koalition mit anderen Parteien, das war fast so, als tränke der Teufel Weihwasser.
Aber auch in Südtirol ticken die Uhren mittlerweile anders als im Rest der Welt. Sie gehen nicht mehr langsamer, auch wenn die SVP sich das so sehr wünscht. Früher konnte nur die SVP sich selbst wirklich gefährlich werden; immer dann, wenn sie sich Intrigen und Affären hingab. Heute aber ist die große Partei verletzlich geworden. Sie befindet sich in einem Transformationsprozess. Dazu gehört auch, dass sie nicht immer die Hauptrolle spielen kann, sondern ab und zu eben auch eine Nebenrolle einnehmen muss. Ganz abgesehen davon, dass die wahre Koalition ja jene mit den Bürgern sein sollte. Wieso nicht etwas vom Führungsanspruch aufs Volk verlagern? Dieses kann – ob man es glaubt oder nicht – auch zwischen den Wahlen mitreden.
Koalitionen vorzeitig auflösen, parteipolitisches Gezänk, gegenseitige Vorwürfe sind jedenfalls keine Politik, die hilft, das Vertrauen in sie wieder zu stärken.
Die SVP-Bürgerlisten-Regierung in Innichen gibt es also nicht mehr, sie hat keine Mehrheit mehr. Die Bürgermeisterin und ihre Bürgerliste wird sich nun vor jeder Entscheidung bemühen müssen, die notwendigen Stimmen zusammenzubekommen. Eine Minderheitsregierung freilich ist nichts Halbes und nichts Ganzes, ein Wagnis, ein Wackelmodell. Aber sie ist auch nicht ohne demokratiepolitischen Reiz. Wenn um Mehrheiten gerungen werden muss, findet wieder eine wirkliche politische Debatte statt – auf Gemeindeebene ebenso wie auf Landesebene. Wert und Bedeutung jedes Abgeordneten steigen. Das kann das politische Klima im Land verändern. Viele Politiker haben das begriffen; viele wissen es im Grunde, wollen es aber noch immer nicht begreifen.
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