Leitartikel

Einkommen, das befreit

Aus ff 38 vom Donnerstag, den 20. September 2018

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In Italien wird über das „Bürgereinkommen“ diskutiert. Es ist an Bedingungen gebunden und wenig mutig. Eine radikale Wende wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen, das Bürger nicht mehr zu Bittstellern macht.

Die 5-Sterne-Partei hat im Wahlkampf mit einem Grundeinkommen um Stimmen geworben. In den Werbebroschüren wurde verschleiert, dass es an Bedingungen gebunden ist. Um es zu beziehen, muss jemand etwa arbeitslos sein, sich um Arbeit bemühen oder freiwillig die Straße kehren. Die Partei gab ihm den schönen Namen „reddito di cittadinanza“. Jetzt kämpft sie darum, es einzuführen. Doch das Geld, das dafür zu Verfügung steht, wird immer weniger, der Kreis der Bezieher immer kleiner.

Die Vorhaben der 5 Sterne kosten viel Geld. Im Vergleich zur Partei von Vizepremier Matteo Salvini hat die Partei von Vizepremier Luigi di Maio die Arschkarte gezogen, Salvinis Attacken gegen Migranten sind billig, er macht Politik auf Kosten anderer. Das nennt man Populismus.

Ein Grundeinkommen, das an Bedingungen gebunden ist, gehört eigentlich zum Standardreportoire des Wohlfahrtsstaates. Einmal heißt es „Reddito di inclusione“, einmal „Mindesteinkommen“, einmal „Grundsicherung“. Es ist immer zu wenig, um ein anständiges Leben zu führen. Und es ist immer eine Leistung, bei der die Bürger Bittsteller sind. Sie müssen quasi öffentlich erklären, dass sie arm sind, sie werden genö­tigt, sich zu demütigen. Auch das erzeugt Wut.

Wer regelmäßig mit der Nase auf die eigene Lage gestoßen ist, wendet sich eher gegen das System, als wer vom System vorbehaltlos unterstützt wird, wer nicht vom Wohlfahrtsstaat gesagt bekommt: Wir vertrauen dir nicht, dass du mit Geld gut umgehst. Seltsamerweise sind es immer die Armen, denen man das nicht zutraut und nicht die Spekulanten, die die Welt vor zehn Jahren in die große Finanzkrise getrieben haben.

Was die 5 Sterne also wollen, ist nicht einmal die Cousine des bedingungslosen Grundeinkommens, über das etwa vor gut zwei Jahren in der Schweiz abgestimmt wurde. 23 Prozent waren dafür. 69 Prozent der Schweizer rechnen damit, dass es noch einmal zu einer Abstimmung darüber kommt. Die Arbeitsverhältnisse verändern sich ja rasant, Maschinen übernehmen die Aufgaben der Menschen. Und was dann? Der niederländische Historiker Rutger Bregman schreibt in seinem Buch „Utopien für Realisten“: Das wahre Problem sei nicht, dass es uns nicht gut ginge, „nein, das wahre Problem ist, dass wir uns nichts Besseres vorstellen können“.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Machtverhältnisse in der Arbeitswelt grundlegend verändern. Müllmann oder Putzfrau könnten dann wirklich mit dem Arbeitgeber den Lohn verhandeln. Wer grundsätzlich, nicht zusätzlich, zum Beispiel 1.000 Euro im Monat an Einkommen hat, kann seine Energien der Gesellschaft zur Verfügung stellen, in der Nachbarschaftshilfe, in der Pflege, in der Kunst oder auch als Vereinsmeier.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist den Linken wie den Rechten verdächtig, es ist ein liberales Projekt, weil es auf die Initiative des Einzelnen baut, weil es eben nicht abhängig macht, weder von der Fürsorge des Staates noch von der Fürsorge eines Patrons. Es ermächtigt das Individuum. Die Linke, Bregman nennt sie „Underdog-Sozialisten“, mag es nicht, weil es allen ­zugute käme, auch dem Milliardär.

Die Rechte mag es nicht, weil sie es als Einladung zur Faulheit betrachtet. Dabei erklärten in der Schweiz gerade einmal zwei Prozent der Menschen, sie würden bei Bezug eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht mehr arbeiten wollen. Was ist das für ein Menschenbild, das den Menschen von Natur aus für unfähig hält, selbstbestimmt zu handeln? In Dauphin in Kanada bekamen die Menschen vier Jahren lang ein Grundeinkommen. Es gab weniger Verbrechen, die Menschen lebten gesünder, die Kinder lernten mehr.

Wer soll das bezahlen? Ein Grundeinkommen würde zum Beispiel Sozialleistungen und Renten und die damit verbundene Bürokratie hinfällig machen. Es würde auch die Arbeitgeber von Sozialabgaben entlasten. Es wäre ein Experiment und nicht ohne Risiko. Aber es wäre auch ein Gegenmittel gegen die Wut auf die Demokratie, gegen das Gefühl, zurückgelassen zu werden.

So gesehen, wäre das bedingungslose Grundeinkommen die wahre Selbstbestimmung.

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