Ein Brief an unsere Leser in ff 36/18; Leserbrief von Leopold Steurer in ff 37/18 Leopold Steurer kannte ich bisher nur als Geschichtslehrer an ...
Leitartikel
Die Zukunft der Vergangenheit
Aus ff 39 vom Donnerstag, den 27. September 2018
Die SVP bietet in diesem Wahlkampf trickreich einige Möglichkeiten, sich an Vergangenem zu wärmen. Eine klare Aussage zum „Doppelpass“ bleibt sie trotzdem schuldig.
Am vergangenen Samstag feierte die Südtiroler Volkspartei auf Schloss Sigmundskron ihren offiziellen Wahlkampfauftakt. Als schönes Familienfest, mit Kind und Kegel. Die SVP nimmt ja für sich gerne in Anspruch, so etwas wie eine große Familie zu sein: Wer einmal seine Füße unter ihren Tisch setzt, kann Wärme und Geborgenheit erfahren. Wenn der Wind aber mal eisiger weht, muss sich jeder an die Parteiorder halten: geschlossen zusammenhalten.
Für den Zusammenhalt braucht es bekanntlich einen guten Klebstoff. Zum Beispiel ein gemeinsames politisches Ziel. Die Freude daran, miteinander Politik zu machen. Auch die gemeinsame Tradition kann so ein Klebstoff sein. Oder aber auch die Angst vor den Landtagswahlen.
In den vergangenen Jahren hat man nicht immer viel gemerkt von diesem SVP-Klebstoff. Es war streckenweise ein labbriges Irgendwas. Jetzt, im Wahlkampf, wird eine Spezialmixtur aus Tradition, Freude und Inhalten bemüht.
Und so zeigen sich SVP-Kandidaten jetzt gerne in Dirndl, Lederhosen und Sarner-Janker, immer noch strahlkräftige Symbole für Südtirol. So lassen sich der Parteiobmann und der Landeshauptmann historiengetreu mit einem alten Citroën auf Schloss Sigmundskron kutschieren. So platziert man den hölzernen Altlandeshauptmann Silvius Magnago, der ansonsten die Parteizentrale bewacht, mitten auf die Sigmundskroner Bühne und hält sich an ihm fest. Und so sagt man nun, in der heißen Phase des Wahlkampfes, dass die doppelte Staatsbürgerschaft eigentlich ganz eine gute Sache sei. Eine Gelegenheit, um den Wert des Zusammenlebens zu bekräftigen – so sagten es etwa die SVP-Senatoren in Rom.
Die trickreichen Möglichkeiten, sich an Vergangenem zu wärmen, sind viele. Sie schaffen ein großes Wohlfühlbad. Es ist aber eine verdrehte Welt: Mit ihrer Fixierung auf vergangene Zeiten will die SVP einen Kommentar über die Probleme der Gegenwart abgeben.
Um beim Beispiel doppelte Staatsbürgerschaft zu bleiben: Ja oder nein? Hü oder hott? Das einmal klar auszusprechen, wäre nur konsequent. Der Landeshauptmann sagt, die Frage sei „im Dialog“ mit Rom und Wien zu lösen. Der Bundeskanzler sagt, die Sache müsse „gut vorbereitet sein“, dann werde man auch „in Diskussion mit Rom treten“. Der römische Außenminister sagt, diese Initiative schade dem gegenseitigen Vertrauen. Der SVP-Obmann sagt, die Ausrichtung müsse „eine klar europäische sein“.
Aber was bitte heißt das denn konkret? Doppelpass ja, aber „im europäischen Geiste“. Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Die Pass-Sache ist etwas rein Symbolisches, gewidmet der Nostalgie. Inhaltliches liegt noch nichts vor. Mit einer Zukunft im europäischen Geiste hat das Ganze nichts zu tun. Die Europäische Union hat ihre besten Zeiten hinter sich, das hat nicht zuletzt die Flüchtlingskrise gezeigt. Einst bedeutete EU Aufbruch in eine gemeinsame Freiheit, Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Europa aber erodiert.
Eine Flüchtlingsfamilie in einem Südtiroler Dorf aufnehmen? Nein, danke. Mehrsprachige Schulen? Mmh, schwierig. Auch Südtirol ist ein unsicheres Konstrukt. Ebenso wie das Autonomiesystem ein empfindliches ist. Es gibt noch immer nur ein gutes Nebeneinander der Sprachgruppen anstatt ein freudvolles Miteinander. Warum einen weiteren Keil in die Bevölkerung treiben mit diesem Doppelpass? Im SVP-Wahlprogramm ist von einer „umfassenden Unionsbürgerschaft“ die Rede, die doppelte Staatsbürgerschaft sei ein „Zwischenschritt“. Der SVP-Obmann sagt, im europäischen Geiste betrachtet, könne so eine Doppelstaatsbürgerschaft gar nicht spalten.
Das mag gut klingen, macht die Sache aber nicht einfacher. In einer Gesellschaft mit retro-patriotischen Anwandlungen spaltet so ein Thema notgedrungen. Es spaltet Italiener und Deutsche sowie die Deutschen untereinander.
Vor zwei Monaten war der damalige SPÖ-Vorsitzende Christian Kern in Südtirol, bei den SVP-Arbeitnehmern. Auch Landeshauptmann und Obmann waren da. Der SPÖ-Politiker sagte da, dass er den Doppelpass für einen falschen Weg halte. Eben weil man mit der europäischen Einigung schon eine gemeinsame Perspektive für Südtirol und Österreich gefunden habe.
Eine eindeutige Aussage. Schade, dass sich die SVP um eine solche drückt.
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