Einheimischenrabatt oder nicht? Die Erfahrungen einer Exilsüdtirolerin
Leitartikel
Wenn die Lüge zur Wahrheit wird
Aus ff 41 vom Donnerstag, den 11. Oktober 2018
Bestimmte Politiker schlagen um sich wie ein Kind außer Kontrolle, kaum dass sie kritisiert werden. Was passiert mit einer Gesellschaft, die Fakten nicht mehr akzeptiert?
Südtirol geht es gut. Viel zu gut offenbar. Für diese Erkenntnis reicht ein Blick auf den Landtagswahlkampf. Hier liefern sich Politiker gerade einen Schlagabtausch, den man eher nicht als Wahlkampf bezeichnen möchte. Denn dafür fehlt es den meisten schlicht an Inhalten. Viele Kandidaten bedienen bloß Stimmungen und Gefühle, anstatt zu sagen, was sie eigentlich konkret machen wollen.
Freilich, die Klage über die Inhaltsleere des Wahlkampfes ist nicht neu, sie wird mehr oder weniger in jedem Wahlkampf geführt. Dabei waren die Jahre des ersten Kabinetts von Arno Kompatscher turbulent genug. Baustellen gäbe es viele. Das sanfte Dahinplätschern dieses Wahlkampfes aber ist nur Kulisse, dahinter brodelt es. Ab dem 21. Oktober werden wir wissen, wie die Politiker und Parteien nach dem Wegräumen der Kulisse agieren werden.
Weiter südlich im Staat kann man indes beobachten, wie leicht es sein kann, Wahlen zu gewinnen – einfach ein Mindesteinkommen für alle versprechen, Steuersenkungen und einen früheren Rentenbeginn. Freilich, Regieren ist schon schwieriger. Denn da muss man sagen, wie man all die Wohltaten bezahlen will. Deshalb gibt es in Rom nun Krach, die Regierung kündigt an, einfach mehr Schulden zu machen. Ihm bedeuten die Bürger mehr als die „numerini“, sagt Vizepremier Luigi Di Maio, und dass er für ein „Budget für das Volk“ kämpfe.
Aber damit nicht genug. Jetzt hetzt das Vizepremier-Duo, Luigi Di Maio und Matteo Salvini, auch gegen die Medien des Landes. „Jeden Tag werden wir von Zeitungen und Fernsehen attackiert“, sagt Salvini. „Doch ich beklage mich nicht, ich kaufe einfach keine Zeitungen.“ Und Di Maio fügt hinzu: „Zum Glück sind wir gegen die Fake News der Zeitungen geimpft, und das sind auch viele Bürger. Viele Zeitungen sterben, weil sie die Wahrheit verzerren.“
Keine zwei Monate sind vergangen, seit man ähnliche Worte vom deutschen Bundesinnenminister zu hören bekam. CSU-Chef Horst Seehofer warf Teilen der Presse vor, ihn zu diffamieren, sprach von einer „Kampagne der Medien“, die sich gegen ihn richte. Er kündigte an, künftig sein Kommunikationsverhalten zu beschleunigen: Er fange nun selbst das Twittern an. Di Maio wiederum kündigt an, den Zeitungen die staatlichen Förderungen zu streichen.
Ist all das eine Vorschau darauf, wie Politiker künftig ihre Öffentlichkeitsarbeit auszurichten gedenken? Ein Vorgeschmack auf eine Ära gelenkter Demokratie? Muss sich der Journalismus wappnen gegen immer heftigere Angriffe auf seine Glaubwürdigkeit? Di Maios, Salvinis, Seehofers Anhänger sollen wohl nur noch ihre Tweets und Facebook-Einträge für die reine Wahrheit halten. Politiker wie diese dulden nicht die leiseste Form von Kritik, schlagen um sich wie ein Kind außer Kontrolle, kaum dass man ihnen auf die Füße tritt. Manche Themen lassen sich aber nun einmal nicht auf Tweetlänge darstellen.
Vor allem Rechtspopulisten tendieren gerne dazu, die Medien als Feind zu betrachten. Journalisten werden zum Sündenbock für alles, was nicht nach Plan läuft. Alle, die keine Schmeichler sind und ihre Aufgabe ernst nehmen, nämlich den Mächtigen auf die Finger zu schauen, werden sofort als „Lügenpresse“ und Wahrheitsverdreher abgestempelt. Auch in Südtirol gibt es derlei Angriffe immer wieder.
Was passiert mit einer Gesellschaft, in der anerkannte und recherchierte Fakten durch die jeweilige Laune von Politikern ersetzt werden? Was, wenn die Wahrheit zwischen echten und „alternativen“ Fakten verloren geht? Die kritische Berichterstattung – für eine Demokratie lebensnotwendig – nimmt Schaden. Die Gesellschaft bricht auseinander, Regeln lösen sich auf, die Menschen werden grob zueinander.
Klar, auch Journalisten können Fehler begehen, berichten mal voreingenommen oder vorschnell. Aber das ist nicht neu. Das Korrektiv dafür ist seit jeher der Käufer, notfalls die Gerichte. Das böse Erwachen hat George Orwell schon vor rund 70 Jahren in seinem Roman „1984“ vorhergesehen: „Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde
Wahrheit“.
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